Vierundzwanzigstes Kapitel

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Roscoe

Da ist ein Feuer in mir drin, das durchgehend gefährlich lodert. Es gibt fast nichts, was es einzugrenzen vermag, geschweige denn ersticken kann. Doch es gibt mindestens eintausend Dinge, die es Funken sprühen und nach mehr Kraft lechzen lassen. Dagegen bin ich machtlos. Dem Feuer bin ich hoffnungslos ausgeliefert.

Und gerade droht es zu explodieren.

„Hast du nicht vielleicht etwas vergessen?", frage ich vor Wut zitternd und schaue aus meiner Ecke, in die mich Ernesto hat sperren lassen, empor zu seinem hochroten Gesicht. Selbst im Halbdunkeln des Kellers erkenne ich den Zorn und die Angst in seinen Augen. Und ich weiss genaustens, wovor er Angst hat.

„Natalia lebt noch – wofür dir kein Dank zukommt", raunt er und schaut mich abschätzig an. Zwar hat er mich in unsere einzige, kleine Zelle einsperren lassen, doch ich weiss bereits genau, dass ich hier nicht lange werde drinbleiben müssen.

„Nicht, dass es dich etwas angeht, so wie du sie behandelt hast", hängt er kalt an.

„Wie bitte?", kontere ich stirnrunzelnd. „Was soll das jetzt heissen?"

„Dass du einfach abgehauen bist, als sie dich gebraucht hat. Das heisst es."

„Ich hätte nichts für sie tun können. Aber da draussen, da konnte ich etwas unternehmen", verteidige ich mich überzeugt. Ich weiss, dass Ernesto das insgeheim auch so sieht. Noch bevor er etwas darauf erwidern kann, fahre ich mit erhobenem Kinn fort:

„Das ist nicht, worauf ich hinaus wollte."

„Was dann?", fragt Ernesto ungeduldig und verdreht seine Augen. Seine offensichtliche Abscheu lässt eine neue Flammenzunge in mein Innerstes brechen. Lange werde ich diese Diskussion nicht mehr aushalten. Ich muss mir seine Angst zu Nutzen machen.

„Willst du nicht wissen, ob wir Noe gefunden haben? Du verwendest mehr Gedanken darauf, wütend zu sein, als dich für ihn einzusetzen."

Wunden Punkt genau getroffen. Sprachlos starrt mich Ernesto erst an und dreht sich dann ab.

„Was habt ihr herausgefunden?", fragt er nach einer Weile erzwungen. Auf genau das habe ich hingearbeitet. Darauf, dass er meine Hilfe braucht. Er, der grosse Anführer – hilflos wie ein Rehkitz. Seine grösste Angst ist es, dass ich seine Macht übernehme, dass ich ihn übertrumpfe und die Funken das sehen. Das Feuer in mir brennt noch immer, doch nun mischen sich lachende Blitze herein. Alles läuft genau nach Plan.

„Ich will hier raus", verlange ich stolz und lege meinen Kopf an die kühle Wand hinter mir. Obwohl er mich nicht anschaut, muss Ernesto genau spüren, dass ich ihm in diesem Moment überlegen bin.

„Vergiss es", raunt er. „Du wirst Noe auch helfen, wenn du hier nicht rauskommst."

„Stimmt. Aber sobald ich dir erzähle, was ich erfahren habe, wirst du meine Hilfe ohnehin erflehen. Wir können das ganze Drama also überspringen und gleich zur Sache kommen."
„Vergiss es", widerholt Ernesto aufgebracht. „Du denkst wohl, dass hier nichts ohne dich läuft. Du sagst mir jetzt sofort, was du herausgefunden hast."

„Na gut", willige ich selbstsicher ein. Entschlossen spiele ich sein Spiel mit. „Wie du willst, Anführer."

Ernesto schnaubt kopfschüttelnd auf. Während in mir Wut und Schadenfreude gleich stark lodern, steckt er definitiv irgendwo zwischen Hilflosigkeit und Ungeduld.

„Wir hatten Erfolg, natürlich hatten wir das. Noe ist bei einer Angestellten der Regierung untergebracht und seither einige Male in die Labore gebracht worden. Ich weiss nicht genau, was für Tests sie dort durchgeführt haben, oder ob es ihm überhaupt gut geht. Wir müssen ihn dort unbedingt so bald wie möglich herausholen."

Fehlerhaft - Bist du das Leben wert?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt