Ding Dong.
"Mach bitte auf."
Ding Dong.
"Ich komme!"
Genervt riss John die Tür auf und sah zu seiner Großmutter herab, die etwas kleiner war als er und es schien, als wäre sie seit dem letzten Weihnachten geschrumpft. Keiner von beiden sagte ein Wort, bis die kleine, alte Frau tief Luft holte: "Was, mein Kind, was ist mit dir passiert!?"
"Mama hat gesagt, dass sie euch darum bittet nichts zu sa-"
"Deine Mutter hat gesagt, du hast abgenommen, nicht, dass du quasi tot bist!"
"Mama, du hast mir versprochen, es zu versuchen!", mischte sich Anne sofort ein, während sie, noch mit der Schürze an ihrem Körper, zur Tür rannte. "Aber Kind, wie soll ich denn nichts sagen, ich werde ja fast schon ohnmächtig! Aber gut, ein bisschen mehr Freude bitte, Jesus hat Geburtstag!"
Diese Worte ließen John sich schuldig fühlen und plötzlich tat ihm seine Erkrankung leid, auch wenn er wusste, dass seine Oma höchstwahrscheinlich nur übertrieb -sie machte das ständig.
Seine Großmutter jedoch schenkte ihm nicht mehr wirklich Aufmerksamkeit, zumindest nicht aktiv und nur wenige Minuten nach ihrem Kommen klingelte es wieder. Diesmal standen jedoch viel mehr Menschen auf einmal vor der Tür, als hätten sie sich verabredet oder aufeinander gewartet. Kaum war die Tür geöffnet worden, fing auch schon das ganze Begrüßen an, das John furchtbar auf die Nerven ging. Ab und zu spürte er besorgte Blicke auf sich, mal angeekelte, entsetzte -alle negativen Emotionen waren irgendwie vertreten.
Die Familie fand eigentlich nur an Heiligabend so wirklich zusammen und dementsprechend viel wurde dann auch geredet. Es wurde erzählt, von guten Noten, gewonnenen Preisen, darüber, wer wen schon wieder betrogen und wer sich von wem getrennt hatte -es war alles dabei.
Dann wurde sie gestellt; die Frage aller Fragen -sie kam von seiner Tante.
"John, Schatz, hast du eigentlich eine Freundin?"
Kurz spielte er mit dem Gedanken, sich zu outen, verwarf diesen schließlich wieder und schüttelte den Kopf. "Wie denn auch? Er ist doch so dünn. Er kann doch kaum für sich selbst Sorgen und erst recht nicht für eine Frau.", nahm nun auch seine Großmutter an dem Gespräch teil und John sah beschämt auf seine Hände.
"Wird's nicht langsam Zeit? Warum klappt es denn nicht?", fragte seine Tante -den Kommentar ihrer Mutter ignorierend-weiter, sie war schon immer neugierig, was das anging. Sie war es auch, die in 90% der Fälle für den Klatsch und Tratsch am Tisch verantwortlich war.
"Ich... ich weiß nicht wirklich, Marianne. Bin halt nicht das, was die Mädchen wollen, schätze ich."
[A/N: Tante Marianne, meine Damen und Herren. Bitte stellt sie euch nicht vor, wie die wirkliche Tante Marianne, mir ist nur kein Name eingefallen.]
Zum ersten Mal an diesem Abend meldete sich Johns sechsjähriger Cousin Fabian zu Wort: "Sag sowas nicht. Übrigens bin ich fertig, dürfen John und ich raufgehen?"
Zustimmendes Nicken von Anne war der Auslöser für das förmliche Aufspringen der Jungs und als hinge ihr Leben davon -mehr oder weniger- ab, liefen sie in Johns Zimmer. Sie hatten sich schon lange nicht mehr gesehen und eigentlich mochten sie sich auch.
Kaum war die Zimmertür geschlossen, unterbrach Fabian sein Umsehen, setzte sich auf Bett und deutete John mit einem Klopfen an, neben ihm Platz zu nehmen. Dieser tat das auch und lächelte den Jungen vor sich leicht an.
"Johnny, warum isst du nicht?", unterbrach seine kindliche Stimme die Stille im Raum und der Ältere suchte nach Worten -vergeblich.
"Weißt du, Kleiner, irgendwie will ja jeder schön sein. Ich fand mich selbst nicht schön und wollte ein bisschen dünner werden, doch dann bekam ich diese Krankheit und dachte, dass ich immer noch zu dick bin."
"Obwohl du es nicht warst?"
"Ja, doch das wusste ich ganz lange nicht."
"Aber jetzt habe ich Angst, dass du kaputt gehst, wenn ich dich anfasse, Johnny." Fabians Worte trieben John beinahe Tränen in die Augen, doch er konnte sie zurück halten, er wollte jetzt nicht weinen.
"Findest du dich jetzt schön?" Bei dieser Frage zuckte der Ältere zusammen. "Nein", antwortete er ehrlich.
"Aber Johnny, warum isst du dann nicht?"
•••
Hach ja, Kinder.
DU LIEST GERADE
federleicht
Teen FictionMagersucht. Ein Kampf um Leben und Tod. ••• F: „Wenn du nichts isst, ist es vorbei!" J: „Lieber bringe ich mich um." John ist mit seinem Freund, Florian, gerade erst fast drei Monate zusammen, als die gefährliche Krankheit die...