Kapitel 2

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Etwas zupfte an ihrem Verstand. Brummend wollte Malia sich umdrehen und weiterschlafen. Es zupfte energischer. Sie wurde ärgerlich. Schließlich durchfuhr sie ein leichter elektrischer Schlag und Malia riss die Augen auf.

Das erste, das sie bemerkte, war der ekelhafte, sterile Gestank des Krankenhauses, die weiße Zimmerdecke und das steife Laken. Verwirrt setzte Malia sich auf und erstarrte sogleich wieder. Etwas stimmte nicht.

Nicht der Umstand, dass sie noch am Leben zu schein schien.

Nicht das aufgeregte Piepsen der Geräte, die an ihrem Körper angeschlossen waren.

Nicht die hastigen Schritte vor ihrem Zimmer.

Eher die Erkenntnis, dass Malia nicht das kleinste Ziehen oder Piksen spürte. Es fehlte ihr an jeglichen Empfindungen. Eigentlich hätte sie sich winden müssen vor Schmerzen, geschweige denn in der Lage sein sollen, sich aufzusetzen.

Langsam hob sie ihren Arm. Sie keuchte und sprang entsetzt auf.

Da starrte sie voller Schreck in ihr eigenes, geschundenes Gesicht. Man hatte die Wunde an ihrem Kopf genäht und ein dickes weißes Pflaster darüber geklebt, trotzdem konnte sie die dunklen Nähte hindurchschimmern sehen. Der Rest ihres Körpers war an mehreren Stellen eingegipst und die Maschine neben dem Krankenhausbett passte auf, dass ihr Herz gleichmäßig schlug.

Ihr blasses Gesicht war so weiß wie das Laken, auf dem sie lag. Dunkel zeichneten sich tiefviolette Abdrücke und Schürfwunden auf einer Gesichtshälfte ab, während die andere von zarten Äderchen durchzogen war.

Malia sah schrecklich aus, wie ein Gespenst aus einem Horrorstreifen. Zerbrochen und kalt.

Ihr Herz setzte kurz auf. Der Kasten piepste. Dann schlug es holprig weiter wie der Motor des alten Buick ihres Großvaters.

Ein herzzerreißender Schluchzer zerriss die Luft und Malia drehte ihren Kopf. Da sah sie sie.

Ihre Mutter hing schluchzend und mit bebendem Oberkörper am Fußende ihres zerstörten Körpers, ihre schwarzen Haare waren wie ein Fächer um sie gebreitet. Ihr Vater kniete neben ihr, die Hände verkrampft in das Laken gekrallt. Sein Körper war starr, nur Tränen liefen ihm übers Gesicht und hatten den hellen Stoff dunkel gefärbt.

»Mom, Dad?« Ihre Stimme klang seltsam verzerrt, als würde sie in einer Schlucht stehen.

Als Malia versuchte, ihre Hand auf die Schulter ihrer Mutter zu legen, fuhr sie erschrocken zurück. Sie glitt einfach durch sie hindurch. Malia starrte erneut ihre Hände an, oder besser das, was von ihnen übriggeblieben war. Weiße, geisterhafte Finger fuhren durch das Bettgestell, ohne Reaktion.

»Was soll das?«, fragte Malia niemand bestimmten. Keine Antwort. Verzweifelt versuchte sie erneut, die Schulter ihrer Mutter zu schütteln, aber wieder spürte sie nichts als eine leichte Kälte, dort wo eigentlich ihre Hand sein hätte müssen.

Die Tür flog krachend auf und knallte gegen die Wand. Lexa stürmte ins Zimmer, gefolgt von einer aufgebrachten Krankenschwester.

»Sie dürfen hier nicht herein! Nur Verwandte sind gestattet!« Lexas Wimperntusche war über ihr ganzes Gesicht verteilt, als sie herumwirbelte und die Krankenschwester wütend anfauchte »Ach ja? Soll ich ihnen mal etwas sagen, ich steck ihnen ihre Vorschriften gleich in den-« Bevor Lexa ihren Satz beenden konnte, erhob sich Malias Vater zitternd und hob beschwichtigend die Arme. Seine fahlen Augen waren blutunterlaufen und seine Schultern hingen schlaff und kraftlos herab. Er sah schrecklich aus.

»Es ist schon okay, sie gehört praktisch zur Familie.«, wandte er sich an die empört dreinblickende Krankenschwester.

»Aber Sie-«

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