Kapitel 29

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Sie konnte sehen, wie Morpheus sich veränderte. Die Muskeln unter ihren Händen wurden hart wie Granit, als er sich aufrichtete. Er presste den Kiefer so fest zusammen, dass Malia es leise Knacken hörte. Er sah sie nicht an.

»Du weißt, dass ich das nicht kann.«

Jetzt rannen ihr die Tränen unaufhaltsam über die Wangen, ihre Kehle war zugeschnürt, doch Morpheus eisiger Blick ließ sie erstarren.

»...Was hast du getan?«

»Nein!«

Der Schmerz in ihrem Kopf stieg ins Unermessliche. Morpheus Gesicht verschwamm zu einem undeutlichen Bild vor ihren Augen. Ihre Finger krallten sich in den Stoff seines Jacketts.

»Bitte...« flüsterte sie tränenerstickt. Er bewegte sich nicht, starrte sie nur weiter kalt und wutentbrannt an. Seine Hände fielen nachlässig an seine Seite zurück und ballten sich zu Fäusten.

»Nein.« Etwas in seiner Stimme hatte sich verändert. Auch seine Augen leuchteten nicht mehr in ihrem gewohnten blasslila, sondern hatten sich zu einem Kupferviolett verdunkelt. Eine Gänsehaut breitete sich über Malias Arme aus.

Sie stieß sich wütend von Morpheus ab. Er hatte kein Recht, sie gefangen zu halten wie ein...ein Ding, das er besitzen wollte!

»Warum kannst du mich nicht einfach gehen lassen?«, rief sie zornig und boxte ihm halbherzig gegen die Brust. Die Lampen um sie herum fingen an zu flackern. Malia drehte sich abrupt von ihm ab, als er sie nur stumm ansah, ungerührt von ihren Tränen und Wut. Einen kleinen Augenblick herrschte Ruhe. Kein Grashalm wagte sich zu bewegen.

Wie eine Welle brach Morpheus Macht und sein verzweifelter, grimmiger Schrei über ihr zusammen und fegte über die Lichtung hinweg. Aufgeregt kreischend erhoben sich Vögel aus den Baumkronen und nahmen kreischend Reiß aus.

»Weil ich dich verdammt noch mal brauche!«, brüllte er und riss Malia zu sich herum. Eine heftige Schneeböe fuhr durch seine Haare, sodass sie zu allen Seiten abstanden.

Eine gefährliche Anspannung lag in der Luft, die Malia beinahe mit den Händen greifen konnte.

Die Lampen gingen eine nach der anderen aus. Malias Nackenhaare stellten sich vor Angst auf.

Schwach konnte sie seine bebende Silhouette vor ihr im fahlen Mondlicht erkennen.

Malia konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, doch sie biss trotzig die Zähne zusammen. Bilder zuckten ohne jeglichen Zusammenhang vor ihrem inneren Auge vorbei und lösten ein grauenvolles Déjà-vu-Gefühl in ihr aus. Ihre Wut ballte sich zu einem explosiven Ball in ihrer Magengrube zusammen.

Bevor sie nachdachte, verließen die Worte Malias Mund.

»Und wenn ich dich nicht brauche? Wenn ich einfach gehe? Du kannst mich hier nicht gefangen halten, Morpheus! Ich sterbe lieber, als deine ewige Gefangene zu sein!«

Für eine Sekunde glaubte Malia, Morpheus Augen rot in der schalen Dunkelheit aufglühen zu sehen.

Als sein ganzer Körper sich anspannte und er sich gefährlich langsam und geschmeidig auf sie zubewegte, schrien alle Alarmglocken in ihrem Hirn Malia zu, zu fliehen. Doch sie blieb wie angewurzelt wo sie war.

Dunkle Schatten hatten sich über sein entsetzlich schönes Gesicht gelegt und die Dunkelheit um sie herum wurde dichter. Sie war dick und träge, sodass Malia nicht einmal mehr den Himmel über sich sehen konnte. Kalter Angstschweiß rann ihren Nacken hinab.

Dicht vor ihr blieb Morpheus stehen und sah von oben auf sie herab. Immer noch lag dieses unheilvolle Glühen in seinen Augen. Als er sprach, hatte seine Stimme alles Sinnliche verloren, stattdessen war sie so kalt, dass Malia das Gefühl hatte, der eisige Nordwind würde ihr entgegenschlagen.

»Wenn du denkst, du könntest einfach aus meinen Palast herausspazieren und abhauen, bist du entweder sehr mutig, oder einfach nur sehr, sehr dumm.«

»Sei still! Du machst alles nur noch schlimmer!«, flehte der Engel und wollte ihr die Kontrolle entreißen, aber dieses eine Mal war Malias Zorn noch stärker und sie schleuderte sie zurück.

»Dann musst du mich wohl oder übel einsperren. Oder gleich umbringen, denn ich werde nicht kampflos aufgeben.«, presste Malia hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.

Im Nachhinein betrachtet, wusste sie nicht, ob sie wirklich so wütend auf Morpheus war, oder einfach nur darauf, dass er erkannt hatte, was mit ihr nicht stimmte.

Da packte er sie plötzlich grob am Handgelenk und zerrte sie durch den Schnee. Kälte bohrte sich in ihre nackten Fußsohlen, doch Morpheus hielt nicht an.

Er war noch nie grob zu ihr gewesen, und sein Verhalten erschreckte sie zutiefst. Was war nur los mit ihm?

»Wenn du schon darum betteln musst!«, zischte er und spreizte die Finger. Schatten lösten sich aus der Dunkelheit und schlossen sich zu einem wirbelnden Tor zusammen.

Er zog sie mit einem Ruck an seine Brust und zischte »Du bist mein! Hörst du? Mein!«

Finger auf ihrer Haut, der Geruch von Alkohol und Schweiß ließ sie würgen, als sie versuchte, sich zu befreien. Stinkender Atem an ihrem Ohr.

»Du bist mein...«

Malia riss die Augen auf und ihre Knie gaben unter ihr nach. Galle stieg in ihrer Kehle hoch, aber das bemerkte sie nicht einmal mehr. Sie bemerkte überhaupt nichts mehr. Ihr Gehirn war in eine Art Schockzustand verfallen.

Morpheus achtete nicht auf Malia, sondern zog sie wieder hoch. Strähnen fielen ihr ins Gesicht, als sie gegen ihn sackte, unfähig, sich zu bewegen.

Morpheus stieß sie durch das schwarze Portal, das er erschaffen hatte und sie ging auf dem Teppich in ihrem Salon zu Boden. Wo sie regungslos liegen blieb.

Keine Sekunde später trat Morpheus ebenfalls heraus und starrte auf das Häufchen Elend herunter, das dort nass und frierend auf dem Boden lag.

»Du wirst hierbleiben, auch wenn ich dich zwingen muss.« Für einen Sekundenbruchteil trat wahrhaftiger Schmerz in seine Augen, »Es hätte anders ablaufen können, Malia. Ich...« Er verstummte und schüttelte den Kopf. Er raufte sich die Haare und seine Augen waren glasig.

Der Schmerz in seiner Stimme brach Malia das Herz. Aber sie bekam alles nur noch aus weiter Ferne mit und der Schmerz in ihrem Kopf war schlimmer als der in ihrer Brust.

»Ist es wirklich unmöglich, mich zu lieben?«

Malia starrte an die Decke. Sie legte den Rest ihrer Kraft in ein einziges Wort.

»Ja.«, erwiderte sie tonlos.

Morpheus zog zischend die Luft ein und die Vase neben Malia zerbarst, doch sie war am Ende, sodass sie nicht einmal mehr zusammenzuckte. Dann schnippte er mit den Fingern und drehte sich um, bereit zu gehen.

Ein metallisches Klicken ertönte und endlich ruckte ihr Kopf herum.

Undurchdringbare Stahlplatten deckten die riesigen Panoramafenster und auch die Balkontür ab und versperrten ihr nicht nur den Ausgang nach draußen, sondern auch die Sicht.

Kaltes Entsetzten breitete sich schließlich doch in Malia aus.

Sie versuchte zu sprechen, aber es kam nicht mehr als ein heißeres Krächzen heraus. »B-B...« Tränen verschleierten ihre Sicht und ihr Körper begann in seinem Schockzustand unkontrolliert zu zucken. Morpheus betrachtete sie unbeteiligt.

»Vielleicht kommst du irgendwann zur Besinnung, aber bis dahin...« Langsam löste sich seine Gestalt in Rauch auf und er war verschwunden.

Malia blieb zitternd und zusammengekrümmt in ihrem Gefängnis zurück.

»B-Bleib!«, wisperte sie. Aber es war niemand mehr da, der sie hätte hören können.

GefangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt