Kapitel 25

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»Du solltest ihr ihr ungehorsames Verhalten nicht ständig durchgehen lassen, die anderen werden sich ein Beispiel daran nehmen.«

Morpheus schloss die Flügeltüren hinter sich, durch die kein Laut dringen würde, sobald sie geschlossen waren und drehte sich zu seinem einzigen Freund um, der in einem der Sessel auf ihn gewartet hatte. Er war stark geneigt, die Augen zu verdrehen.

»Nein, das werden sie nicht tun.«

Anthonys Augen funkelten »Warum bist du dir da so sicher?« Morpheus nahm sich ein Glas, das auf dem Tablett stand und wanderte in seinem Gemach herum. Die Wandteppiche, die Bücher, sie alle waren unbezahlbar. Und doch hätte er nicht einmal mit der Wimper gezuckt, würden sie am Scheiterhaufen brennen.

»Weil ich ihr König bin. Sie fürchten mich genug, um zu wissen, dass ich keinen Ungehorsam dulde.« Er leerte sein Glas. Wie Feuer brannte sein Hals, aber gerade deswegen trank er den Wein, der scheinbar aus der Sonne gemacht wurde. Weil ihn der leichte Schmerz daran erinnerte, dass er noch am Leben war. Irgendwie.

»Und dennoch lässt du sie einfach so ihres Weges gehen. Ohne Ermahnung, ohne jede Folge.« Er stand auf und folgte ihm in die Bibliothek. »Sie macht dich schwach, Morpheus, siehst du das denn nicht?«

Morpheus fuhr herum, das Glas in seiner Hand bekam Risse. Anthonys vorwurfsvoller Blick zuckte zu seiner Hand »Siehst du. Du hast deine Kräfte nicht unter Kontrolle.«

»Es ist noch lange nicht soweit, alter Freund. Und Malia ist nicht der Auslöser für diese kleinen Ausrutscher, deine Sorge ist unbegründet.« Er ließ das Glas fallen und es verschwand im Nichts, bevor es am Boden auftraf. Ein weiterer Beweis, wie nah das Dunkle schon unter der Oberfläche lauerte, verflüchtigte sich damit.

»Bist du denn so blind? Was ist an ihr so besonders, dass du es wagst, dein Reich aufs Spiel zu setzten?« Anthony verschränkte unnachgiebig die Hände vor der Brust. Morpheus drehte sich um und riss die Schubladen seines Schreibtisches auf. Nachdem er nicht gefunden hatte, wonach er suchte, stemmte er die Hände auf das Holz und hielt inne. In seinem Inneren knackste es. Er sprach leise, als er antwortete.

»Alles an ihr. Einfach alles. Ich kann es nicht erklären.«

»Sie ist nicht gut für dich!«

Morpheus fuhr herum. Ein Blitz zuckte über den blauen Himmel »Vielleicht ist sie es doch, hast du daran schon mal gedacht? Nicht jeder ist wie Bianca, vergiss sie endlich! So wie ich es getan habe, begrabe sie und sprich nie wieder über sie.«, fauchte er.

Verzweifelt packte Anthony ihn an den Schultern »Ich will dich nur beschützen! Das letzte Mal...Ich will so etwas nie wieder erleben. Du standest nur ein Haarbreit davon entfernt loszulassen, und alles was ich damals tun konnte war hilflos mitanzusehen, wie es dich aufgefressen hat! Ich kann das nicht noch einmal mitansehen, verstehst du mich?« Er rüttelte ihn. Morpheus nahm Anthonys Hände von sich und sah seinem Freund in die Augen.

»Dieses Mal ist es anders. Mein Herz, um das du so besorgt bist, wird dieses Mal keinen Schaden davontragen.« Denn es schlug nicht mehr in seiner Brust. Bitterkeit grub tiefe Linien um seinen Mund.

Anthony schüttelte den Kopf, und ballte die Hände zu Fäusten »Weil sie dir nicht zu Füßen liegt, wie Bianca es getan hatte? Weil sie bei der erstbesten Gelegenheit das Weite suchen würde, wenn sie könnte? Weil sie in dir nicht den stolzen Mann sieht, sondern ein-« Er verstummte und biss die Zähne zusammen, so laut, dass es knirschte.

»Was? Sag es, na los! Sag, dass sie mich für abscheulich und grausam hält!« Morpheus riss sich von ihm los »Glaubst du, ich weiß das alles nicht? Glaubst du, ich sehe es nicht in ihren Blicken?« Er verschwieg Anthony, was er noch in ihren stahlgrauen Augen gesehen hatte, die ihn jede wache Minute verfolgten. Zerwürfnis, Schmerz, Trauer und Schrecken.

Mit diesen Dingen hatte er allerdings nichts zu tun. Sie lagen in der Vergangenheit und hatten Narben hinterlassen. Morpheus vermochte nicht sagen, wie tief sie gingen. Aber er hatte genug gesehen, um denjenigen, der ihr diese schrecklichen Erinnerungen eingebracht hatte, schlimme Dinge antun zu wollen. Sehr schlimme, schmerzhafte Dinge.

Sein Zorn war so stark, dass die Bestie gegen die Wände schlug und an die Oberfläche drängte, denn auch es wollte Vergeltung. Schmerz für Schmerz.

»Geh jetzt. Ich benötige deine Dienste nicht mehr.«

Wut spiegelte sich ebenso in den fast schwarzen Augen seines Gegenübers »Heute vielleicht nicht mehr. Aber diese Diskussion ist noch nicht vorbei!«

Morpheus hörte, wie eine Türe lautstark ins Schloss fiel. Erst jetzt gelang es ihm, seine verkrampften Fäuste zu öffnen. Er erstarrte. Seine Fingernägel bis hin zu den Gelenken waren schwarz, als wären sie in Teer getaucht. Morpheus stürzte in das angrenzende Bad und starrte in den Spiegel.

Rot wie Glut glomm es unter dem blassem Violett und seine Finger krallten sich so fest in den Marmor, dass Morpheus fühlte wie der Stein Risse unter seinen Händen bekam.

»Nein!« Er hieb mit der Faust gegen den Rahmen des kostbaren Spiegels. Es krachte. Tiefe Furchen zogen sich über den gesplitterten Holzrahmen hinein in das Glas. Verzerrt starrte ihm sein Spiegelbild entgegen.

Monster.

»Noch nicht. Noch nicht.« Seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern. Morpheus stemmte sich gegen das kaputte Waschbecken und presste die Augen zusammen. Sein Brustkorb hob sich angestrengt.

Als er die Augen wieder aufschlug, war nur noch die klare Farbe von Flieder zu sehen. Sein Finger berührte den zerstörten Spiegel, der sich unter seiner Berührung wieder Stück für Stück zusammensetzte. Das gleiche geschah mit dem Waschbecken.

Er war erschöpft. Wie viele Jahre kämpfte er nun diesen Kampf gegen sich selbst? Hatte er nicht auch Erlösung verdient?

Morpheus ging zurück in die Bibliothek. Die Erinnerung war verschüttet gewesen, jetzt breitete er die Schwingen aus und flog zu den obersten Regalreihen, an die nur er gelangen konnte. Er schob einige Bücher beiseite und legte das Siegel frei. Er drückte die Schnitzerei einer Mohnblume hinein in das Holz und wartete. Die versteckte Schublade öffnete sich ächzend, zum ersten Mal nach Jahrhunderten.

Behutsam nahm Morpheus das Kästchen heraus und flog zurück auf den Boden. Er setzte sich hinter den Schreibtisch und stellte es vor sich ab. Eine Weile betrachtete er nur das Holz und die Verzierungen. Warum zögerte er, die Kiste zu öffnen?

Schließlich hob er den Deckel. Obwohl sein Gesichtsausdruck wie immer nichts verriet, schlug sein Herz schneller als üblich.

Vorsichtig griff er nach der pechschwarzen Kugel, die so lange in der Kiste gelegen hatte und hielt sie gegen das Licht. Kein Lichtstrahl drang durch die Dunkelheit, die sich darin befand.

»So viel Schmerz.«, flüsterte er.

Die glatte Oberfläche rollte über seine Hand. Vor langer Zeit hatte er beschlossen, es lebe sich viel besser ohne die schmerzenden Erinnerungen, die ihn Stück für Stück auseinandernahmen und tiefer in den Abgrund stießen, und so hatte er sie entfernt wie ein sterbendes Organ. Danach war es ihm tatsächlich besser ergangen, er hatte nichts mehr gefühlt als die dumpfe Kälte, die ihm half, das Monster hinter Gitter zu sperren.

Morpheus ließ seine Erinnerungen zurück in die Kiste gleiten und schloss den Deckel.

Er schloss sein Herz weg. Er hatte nicht gelogen, sein schwarzes Herz schlug wirklich nicht mehr in seiner Brust und war somit davor bewahrt, erneut zu zerbrechen.

GefangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt