Kapitel 26

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»Wieso jetzt? Wieso lässt du mich jetzt gerade im Stich?«, stöhnte Malia und fuhr sich mit den Händen verzweifelt über das Gesicht. Rücklings ließ sie sich in das Moos fallen, das an dieser Stelle im Wald so dick wie eine Matratze war. Seit Stunden, wie ihr schien, geisterte sie nun schon durch die Gegend, flog und lief und fand keinen ruhigen Gedanken. »Komm schon...Etwas Originelles, Aufregendes, das ein jahrtausendalter Kerl in einem Land noch nicht erlebt hat, das voll von Wundern und Wahnsinn ist!«

»Mach dich mal locker, du schaffst das schon.«

»Ach ja? Ich sitze hier im Nirgendwo, bis jetzt ist mir noch keine zündende Idee gekommen, was zum Teufel ich Morpheus bieten könnte, das er noch nicht kennt!« Malia schüttelte sich Grünzeug aus den Haaren »Außerdem rede ich mir selbst, wieder ein Zeichen dafür, was alles in meinem Kopf nicht richtig läuft!«

»Ach was, viele Leute führen Selbstgespräche!«, sagte der Engel.

»Ja, aber bei den meisten Leuten antworten keine Stimmen!«

»Hey, sieh's positiv, wenigstens hast du jetzt zwei weitere Leute, die dir für die Aufgabe zur Verfügung stehen!«

»Aber ich will diese blöde Aufgabe nicht einmal machen!« Sie warf die Hände in die Luft und setzte ihren Weg ins Unbekannte fort.

»Doch, weil du nicht willst, dass Scarlett oder Caroline gewinnen.«

»Nein! Doch, ach verdammt, halt die Klappe, ich kann nicht denken, wenn du so herumschreist.«

Schlecht gelaunt wollte Malia einen Stein wegkicken, der auf ihrem Weg lag.

»Scheiße!«, fluchte sie und hüpfte auf einem Bein durch die Gegend. Der Stein, der anscheinend kein Stein war, klappte seine winzigen Füße aus, zwei Stielaugen wuchsen aus der harten Schale und stierten Malia wütend an. Zumindest glaubte sie das. »Was?«, fauchte sie und das Was-auch-immer nahm die Beine in die Hand und krabbelte schleunigst weg von ihr.

»Das ist der Horror! Mein Hirn ist wie leergefegt.«

»Vielleicht brauchst du eine andere Perspektive?«

»Das ist eine überraschend gute Idee.« Malia lief das kurze Stück auf den hellen Fleck zwischen den Bäumen zu, die eigenartig verdreht und verformt aus der Erde wuchsen, dorthin, wo sie nicht so dicht standen und eine Lichtung bildeten. Ihr Rücken kribbelte, ein kurzer Schmerz setzte ein, bevor die Flügel aus ihrem Körper wuchsen. Mit einiger Anstrengung gelang es ihr, sich in den Himmel zu schwingen. Inzwischen hatte sie herausgefunden, dass das Aufrechterhalten ihrer Flügel stark an ihren Kraftreserven zehrte, aber das war es absolut wert. Fliegen war der reine Wahnsinn.

Für eine Weile genoss sie nur das Gefühl, wie der Wind zwischen den Federn hindurchblies während Malia sich über die weiten Wälder tragen ließ. Die Landschaft veränderte sich nicht, soweit das Auge reichte, sah Malia nur grün. Immer nur grün grün grün. So war diese Welt, wenn man nicht gerade in einen Traum eines Menschen eintauchte. Auch wenn sie die Natur liebte, ein wenig Abwechslung wäre schön gewesen. Als ihre Flügel sie nicht länger tragen zu mochten, ließ sie sich sinken und steuerte auf eine weitere, weitläufige Lichtung zu. Das glasklare, fast türkise Wasser des Sees dort lockte sie an.

Sanft landete sie in dem knapp kniehohen weichen Gras und ließ die Flügel verschwinden.

Der See nahm gut zwei Drittel der Fläche ein, das Wasser schwappte träge an das Kiesufer, der Rest war mit herrlich duftenden Blumen bedeckt, die es in der wirklichen Welt sicherlich nicht gab. Wäre zu schön gewesen, goldene Gänseblümchen einfach mal so vom Wegrand zu pflücken. Wie die Oberfläche eines Diamanten schimmerte die Wasseroberfläche des Sees und spiegelte die letzten Sonnenstrahlen darin.

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