Kapitel 7

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»Wieso sie?« Kaum hatte er sein Schlafgemach betreten, trat Anthony mit verschränkten Armen aus der Dunkelheit, wo er still auf seine Rückkehr gewartet hatte.

»Ich weiß nicht, wen du meinst.«, erwiderte er ohne jede Spur einer Empfindung, während er sich auf einen der abgewetzten Ledersessel niederließ, die er in einer Ecke seines Gemachs aufgestellt hatte. Sein ganzer persönlicher Bereich war eine Mischung aus verschiedensten Jahrzehnten und Kulturen. Niemand außer Anthony hatte je einen Blick darauf geworfen. Kein anderer würde es nur wagen, seine Türen auch nur einen Spalt breit zu öffnen.

Er platzierte die Beine locker über die Fußlehne und legte den Kopf in den Nacken, um die sonderbare Zimmerdecke zu betrachten. Ein lebender Sternenhimmel, eine perfekte Nachbildung schimmerte dort oben, als würde er draußen in der lauen Abendluft sitzen und zu den Sternen hinaufstarren.

»Du weißt genau, wen ich meine.« Anthony kam näher.

»Das Blümchen?« Bilder von weicher Haut und Augen so wild wie ein Gewittersturm tauchten vor seinem inneren Auge auf.

Anthony schnaubte »Wohl eher die ungezogene, kleine Furie.«

Hätte er vor Jahrtausenden nicht eine Entscheidung getroffen, hätte er jetzt wohl gelächelt.

»Was ist mit ihr? Ich dachte du wolltest, dass ich endlich ein Mädchen auswähle? Jetzt sind es sogar drei!«

»Sie ist nicht gut für dich. Ich habe gesehen, was sie bei dir ausgelöst hat, Morpheus.« Anthonys Augen nahmen einen flehenden Ausdruck an »Du hast mir vor Äonen ein Versprechen abgerungen. Lass es nicht so weit kommen, dass ich es wahrmachen muss!«

»Ich weiß, was du mir versprechen musstest.« Er betrachtete seine Finger »Aber keine Sorge, mein Freund, so weit ist es noch nicht.« Doch Anthony stand nur da und betrachtete ihn kritisch. Er glaubte ihm nicht. Seine Miene wurde noch kühler, hätte er nicht geblinzelt, hätte man meinen können, er sei eine Statue.

»Wie du meinst, König. Aber ich sage es dir noch einmal; Pass auf dich auf. Auf dein Herz. Auf deine Seele.« Anthonys Augen wurden kurz dunkel, als eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten auflebte »Denn ich will nicht anwesend sein, wenn er kommt.«

Er. Der andere.

Die Eiskristalle, die sich unter seinen Fingerspitzen auf dem weichen Leder bildeten, waren nur eine kleine Erinnerung an seinen Freund, dass er sich sehr wohl unter Kontrolle hatte. Anthony presste die Lippen zusammen und schwieg.

»Ich lasse dich jetzt alleine.« Dasselbe, dass er zu ihr gesagt hatte, kaum Minuten zuvor. Er nickte und spielte mit den Schneeflocken, die über seine Handfläche tanzten. Er hörte, wie Anthonys leise Schritte über den Boden hallten, bis schließlich eine Tür ins Schloss fiel.

Er wartete noch eine Minute, bis auch das letzte Geräusch verstummt war. Er saß still und stumm da, legte die Finger an die Lippen und sah aus dem Fenster in die rote Abendsonne.

Dann sprang er ohne jede Vorwarnung auf und warf den Sessel gegen das deckenhohe Regal, sodass braune Seiten wie Blätter um ihn herum zu Boden segelten. Die Lampe an der Wand zersprang in tausend Stücke und ein plötzlicher Sturm riss die Fenster gewaltsam auf. Er ging auf die Knie, zwischen dem Wirbel aus Worten und blasser Tinte und fuhr sich durch die Haare.

Er atmete heftig und starrte mit leeren Blick auf das Chaos.

Nicht ein Mal in den letzten tausend Jahren hatte er die Beherrschung verloren. Die eisige Maske, die Emotionslosigkeit waren das Einzige, dass ihn davon abhielt, ein Monster zu entfesseln. Ein Monster, das das Ende seines Reiches bedeuten könnte.

Nur eine Berührung, ein Blick hatte genügt, um all das zunichte zu machen.

Allein.

Er war schon so lange alleine, dass die Einsamkeit zu etwas so Alltäglichem geworden war, dass er sie nicht mehr wahrnahm. So wie nichts in seinem Innern.

Aber jetzt begann ihn das Verlangen nach Nähe von innen heraus aufzufressen.

Und das Monster begann sich zu regen.   

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