Kapitel 32

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Anthony schritt die unendlichen Flure entlang, das Papier in seiner Hand war inzwischen sicherlich schon zerdrückt.

Auch wenn es ihm das Herz brach, was er als nächstes tun würde, aber es musste sein. Entweder das, oder Morpheus würde noch mehr Gefühle für Malia entwickeln, und Anthony wusste leider nur zu gut, wohin das führen würde. Schließlich war er das letzte Mal auch dabei gewesen. Und er wollte Morpheus einen Teil der Schmerzen ersparen, wenn er jetzt dazwischen schritt, als wenn er Malia noch länger in seine Nähe ließ.

Aber nach seinem Besuch würde Morpheus hoffentlich soweit sein, dass er sie höchstens in die Hölle schicken wollte.

Als er an den mächtigen Flügeltüren ankam, zog er scharf die Luft ein, als ihn die dunklen Schwingungen trafen, die durch jede Rille herausquollen. Er betrachtete runzelnd das Papier in seiner Hand.

War es richtig, was er da tat? Nein, ganz und gar nicht. Führte ein Weg daran vorbei? Anthony wünschte, es wäre so.

Aber er hatte Jahrhunderte damit verbracht, Bücher und Schriftrollen zu studieren, nur um irgendetwas zu finden, das seinen Freund von seinem trostlosen Dasein befreite und er endlich das Leben führen durfte, das ihm scheinbar nicht bestimmt war.

Aber bis zum heutigen Tag war seine Suche nicht gerade erfolgreich verlaufen und Morpheus hatte die Hoffnung längst aufgegeben.

Anthony stieß die Türen auf und bereitete sich innerlich auf den Teil vor, der jetzt kommen würde. Seine Miene spiegelte echte Verzweiflung.

»Morpheus!«, rief er und seine Stimme brach. Es muss sein.

Schatten kauerten im Dunkeln und beobachten ihn, als wäre er ihre nächste Beute. Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. Morpheus musste wirklich dringend herunterfahren, sonst...

»Was.«

Anthony zuckte bei dem emotionslosen Klang von Morpheus Stimme zusammen und drehte sich um. Er saß hinter seinem Schreibtisch, mitten im Chaos von zerbrochenen Lampen und zerrissenen Büchern. Die Ringe unter seinen Augen waren dunkel, ebenso wie seine trostlosen Augen, die ihn stumm anstarrten. Aber immerhin waren sie nicht rot. Zumindest noch nicht.

Anthony trat näher und schüttelte den Kopf. Eine Kiste stand vor seinem Freund auf dem Tisch, das einzige, das seinen Wutausbruch überlebt hatte. Anthony konnte nicht sehen, was sich darin befand.

Aber er fühlte es. Und es jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken.

Morpheus hob eine Augenbraue »Redest du jetzt endlich und erzählst mir, was du hier zu suchen hast, oder willst du mich einfach weiter so angaffen?«

»König...Es ist etwas passiert.«

Anthony hörte Morpheus Kiefer mahlen, als wäre dieser am Ende seiner Geduld »Und was genau ist passiert?«

Anthony senkte den Kopf und starrte auf seine Füße, er konnte ihm einfach nicht in die Augen sehen. Langsam streckte er die Hand aus und ließ das Papier vor Morpheus auf den Tisch segeln.

Morpheus starrte auf das Papier mit den runden Kreisen, die Malias Tränen dort hinterlassen hatten.

»Malia...Sie ist weg, verschwunden. Und sie hat die anderen Mädchen mitgenommen.«

Für einen unendlichen Augenblick konnte Anthony nur seinen eigenen Atem hören, sogar die Schatten waren erstarrt.

Dann fing Morpheus zu sprechen an, und die Wände erzitterten.

»Anthony, du weißt, was du mir versprechen musstest?« Erstaunlicherweise war seine Stimme die Ruhe selbst.

»Was? Ich verstehe nicht-«

»Es ist bald soweit. Bring die Angestellten weg und evakuiere die umliegenden Dörfer. Danach kommst du wieder hier her.« Er schnippte mit einem Finger und warf Anthony einen Brocken zu, den er nur mühsam fangen konnte. »Du nimmst die Macht und erschaffst ein Gefängnis. Ein richtiges, ausbruchsicheres Gefängnis, das Magie undurchlässig ist. Keiner soll hinein und nichts soll herausgelangen.«

»Aber-«

»GEH!« Morpheus Stimme donnerte durch den Palast und Anthony hörte in der Ferne ein Fenster nach dem anderen zu Bruch gehen. Aber das unheimlichste waren Morpheus Augen, die langsam ihre Farbe änderten.

Anthony erinnerte sich vage daran, was passiert war, als dies das letzte Mal geschehen war.

Es ging nicht gut aus.

Also schluckte er und legte seine Hände um den Stein, der so viel Energie enthielt, dass Anthony das Gefühl hatte, eine Atombombe in den Fingern zu halten.

Als er verschwand, fragte er sich, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, oder ob er damit nur alles schlimmer gemacht hatte.

Morpheus saß ganz still. Keinen Muskel bewegte er. Ein Teil von ihm war schon nicht mehr zu retten, wie er sich eingestehen musste, als er seine Finger betrachtete. Schwarze, krallenähnliche Nägel, die nur zu leicht weiche Haut durchbohren konnten.

In seinem Kopf hämmerten immer wieder die gleichen Worte.

Sie ist weg. Sie ist geflohen. Vor dir. Weil sie endlich das Monster in deinen Augen gesehen hat.

Dieses Monster, das durchaus real war, brüllte verletzt auf. Alles, was es wollte, war Malia zurückzuholen. Morpheus schloss schmerzverzerrt die Augen. Sein Atem ging nur noch stockend, während er um die Kontrolle kämpfte.

Er brauchte Gewissheit. Er musste wissen, ob es wahr war.

Schwarze Finger griffen nach dem dünnen Papier. Stumm registrierte er, dass sie geweint hatte, als sie die Zeilen niedergeschrieben hatte. Der obere Rand war abgerissen.

Mit einer eisigen Furcht, die sein schwarzes Herz umklammerte, begann er zu lesen.

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