Alvin der Heimtückische

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Ich starrte noch lange tiefe Löcher in das Meer, bis mich ein Streit zwischen Hakenzahn und Kotz und Würg aus meiner Trance riss. Ich schüttelte irritiert den Kopf und wandte mich zu den beiden. Der Riesenhafte Albtraum hatte sich wieder einmal in Flammen versetzt und fauchte: "Ihr habt doch mit dem ganzen angefangen! Hättet ihr nicht diese dämlichen Stiefel geklaut, hätten die Wikinger keine Vorurteile von uns gehabt!"

"Und du hast die Große Halle verwüstet!", warf der zweiköpfige Drache ein, "Natürlich musstest du zur Krönung noch etwas reißen, damit wir endgültig von Berk verbannt werden! Typisch für dich!"
"Hey, hört auf mit dem Schwachsinn!", schlichtete ich den Streit, "Keinem von uns trifft die Schuld, versteht das endlich mal!"
Wortlos gingen sie sich aus dem Weg, was mir genügte. Das hatte Hicks sicherlich mit Aufpassen gemeint. Und schon wieder sprangen meine Gedanken zu ihm. Sehnsüchtig tappelte ich zu dem Sattel, welchen ich in einer Kule versteckt hatte. Als ich meine Schnauze an dem Leder rieb und den vertrauten Duft meines Freundes einatmete, kam ein Wimmern in mir auf.

"Hicks, wo bleibst du nur?", winselte ich und schlich mich anschließend zu einer Klippe. Ich kannte die Insel noch gut, damals hatte ich sie mit Feuerblüte erforscht, wenn unsere viel zu kurze Freizeit es mal erlaubte. Während ich auf den Horizont blickte und mein Gesicht nur von Sehnsucht gezeichnet war, musste ich nicht nur an Hicks, sondern auch an meine Schwester denken. Jahrelang hatte ich sie nicht mehr gesehen.

Damals hatte ich noch so sehr geweint, weil ich Angst hatte, sie eines Tages einfach zu vergessen. Angst, dass ihr Name mir fremd klingen würde. Angst, dass mir ihr Charakter und ihr Aussehen entfallen würde. Angst, dass ich mich nicht mehr entsinnen konnte, jemals eine Schwester gehabt zu haben.

Ich hatte schon so viele Nachtschatten in meinem Leben verlieren müssen. Angefangen hatte es mit meinem Vater, der seinem Namen nie gerecht wurde. Anschließend folgte Mama, daraufhin Mondstaub, gefolgt von Nachtflug und letztlich... Feuerblüte. Und vor diesem Tag hatte ich so Angst! Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass man im Leben so viele Personen verlieren konnte und heute fragte ich mich: Wie viele noch?
Würde Hicks, mein bester Freund, der nächste sein? Es grenzte an einem Wunder, dass ich noch atmte und lebte. Und dieses Wunder vergaß ich in meinem Leben viel zu oft, als dass ich es verdient hätte.

Tränen tropften mein Gesicht entlang und ich vermutete, dass die Spiegelung im Wasser, der meinen Augen glich.
"Ohnezahn?" Ich zuckte auf und bekam für Sekunden Herzrasen, bis ich Sturmpfeil neben mir realisierte.
"Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken... Ähm, soll ich dir für heute Abend Fische fangen? Du bist schließlich flugunfähig und deshalb dachte ich mir...", bot mir der weibliche Drache an, aber ich unterbrach sie schon: "Danke dir, das wäre echt nett." Sie nickte kurz, ehe sie aufs Meer hinaus flog und sich auf die Nahrung konzentrierte.

Während der Tag in langen Zügen verging, erkundete ich mit dunklen Gedanken einige geheime Orte, an denen Feuerblüte und ich uns damals aufhielten. Ja, wir waren nicht nur Geschwister, sondern auch Freunde. Ich wusste noch genau, als sie aus ihrem Ei schlüpfte, hatte mich ihr Quieken und Jaulen täglich genervt. Ich hasste es so sehr, dass ich tagsüber mit Nachtflug unsere Heimat erforschte und nachts schlaflos den ausgewachsenen Nachtschatten zusah, welche pfeifend ihre Runden drehten und mit ihren Plasma Strahlen die Nacht erhellten.
Aber jetzt vermisste ich ihre Laute. Noch einmal möchte ich sie fieben hören, ihrer kindlichen Stimme lauschen und ihr Lachen wahrnehmen. Nur einmal und ich hätte Feuerblüte wieder frisch in meinen Erinnerungen.

Als ich den inaktiven Vulkan betrat, fiel mir direkt ein kleines Schlupfloch ins Auge. Ich kannte es noch von früher, weshalb ich mich diesem näherte und einen schwachen Plasma Strahl gegen die Felswand spie, um den Hohlraum zu erleuchten. Das violette Licht fiel auf das Schlupfloch. Blitzartig kamen Szenarien aus alter Vergangenheit in mir hoch, wie Feuerblüte und ich uns in dieses Versteck zwängten, weil wir Feuerschuppe, welcher nun auf den Namen Hakenzahn hörte, provoziert hatten. Er war ein sehr reizbarer Drache, woran wir uns damals amüsierten. Ein Lächeln schlich in mir auf, als ich an diese Zeit dachte. Vermutlich erinnerte sich Hakenzahn nicht mehr daran, aber ich verspürte dieses Adrenalin in mir jetzt so sehr, wie ich es zu jener Zeit verspürt hatte, als ich mich vor ihm versteckte.

Ohnezahns LebensgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt