3.3: Eine unglaublich große Memme?

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"Es lohnt sich nicht, zu einem anderen Geschäft zu gehen", erklärte mir Louis seufzend, während uns der Taxifahrer auf Umwegen zu dem Parkhaus fuhr, in dem mein Auto stand.

"Du warst gerade mal in einem Laden!", protestierte ich ungläubig.

"Ja. Aber es spricht sich rasend schnell herum, wenn ich in der Stadt bin. Sie werden alle größeren Geschäfte belagern und darauf warten, dass wir auftauchen."

Das klang, wie wenn wir von Zombies oder Monstern verfolgt werden würden.

"Wir kommen einfach in ein paar Stunden oder an einem anderen Tag noch mal, dann ist es wieder leerer. Aber momentan würden wir nicht mal in die Nähe eines Eingangs kommen. Dafür bräuchten wir wirklich ein ganzes Aufgebot an Bodyguards", stellte er fest.

"So viele Leute können's doch nicht sein", murmelte ich, fragte mich allerdings gleichzeitig, ob es nicht vielleicht doch so sein konnte.

"Wie machst du das denn ansonsten?", fragte ich ihn. "Du wirst doch wohl nicht immer nur in einen Laden gehen, wenn du shoppen gehen willst!"

Er schüttelte mit dem Kopf.

"Nein, heute haben sie uns erstaunlich schnell gefunden. Ansonsten haben wir meistens ein oder zwei Stunden Zeit, bevor die ersten Fans auftauchen. Wahrscheinlich haben sie uns schon gesehen, als wir reingegangen sind und über das Internet hat sich die Botschaft eben ziemlich schnell verbreitet. Außerdem bin ich meistens mit mehreren Bodyguards unterwegs."

Ich konnte nicht anders, als schon wieder ein schlechtes Gewissen zu haben. Vielleicht war er ja doch keine so große Memme, wie ich gedacht hatte.

"Wir reden schon wieder so über deine Fans, wie wenn sie irgendwelche gefährlichen Irren wären", fiel mir auf und er lachte.

"Stimmt", musste er zugeben. "Ich hoffe es ist dir klar, dass ich das auf keinen Fall so meinte. Ich meine, ich mag meine Fans wirklich unglaublich gerne, jeden von ihnen!"

"Ich weiß nicht", hielt ich entgegen, "kann man jemanden mögen, den man nicht einmal kennt? Ich meine, du kennst die meisten wahrscheinlich wirklich nicht einmal und weißt auch nicht, wie sie aussehen."

Überlegend kratzte er sich den Kopf.

"Eine berechtigte Frage", meinte er, "aber ich würde sagen, dass das schon funktioniert. Ich meine, auf eine andere Art und Weise, versteht sich, aber ich bin wirklich jedem Einzelnen dankbar, der mich und meine Musik mag und mich unterstützt. Ab einer gewissen Anzahl fängt man natürlich an, ein wenig anders zu denken, denn, so gerne ich es würde, ich werde wahrscheinlich niemals jeden Menschen dieser Welt kennen lernen, der mich mag, deshalb ist es eine gute Frage, wie man sagen kann, dass man jemanden liebt, den man nicht kennt. Aber allein die Tatsache, dass derjenige mich unterstützt, macht mich dankbar. Also denke ich, dass man schon sagen kann, dass ich jeden einzelnen meiner Fans auf eine gewisse Weise lieb habe und ihnen allen unendlich dankbar bin."

Mich erstaunte die ausführliche Begründung seiner Antwort. Es ließ mich vermuten, dass er nicht zum ersten Mal über diese Frage nachdachte und er wurde mir durch die Tatsache, dass er die Personen, die ihn unterstützten, nicht einfach als eine Masse ansah, sympathischer.

"Gut gesprochen", lobte ich ihn deshalb und nickte anerkennend.
"Danke", meinte er nur.

Daraufhin schwiegen wir eine Weile.

"Und wie sieht die Planung der nächsten Tage aus?", fragte ich ihn dann und er zuckte mit den Schultern.

"Nun ja. Einmal die Probe, dann das Konzert ... und dann werde ich mal schauen. Ich wollte noch einige Sachen organisieren, vielleicht auch mal meine Familie besuchen ..."

Ich nickte nur, während mir klar wurde, dass ich bei letzterem Fall würde mitreisen müssen. Komischerweise machte mir dieser Gedanke nicht allzu viel aus.

"Was genau soll ich eigentlich bei der Probe machen?", wollte ich als nächstes wissen. "Viel Schutz wirst du dabei doch nicht brauchen, oder?"

"Nein", gab er zu, "aber du kannst dich mal erkundigen, was du beim Konzert machen sollst. Zwar bist du eigentlich mein Bodyguard, allerdings gibt es auch da garantiert irgendwas für dich zu tun."

Ich nickte nur.

"Du wirst es schon verstehen, wenn du es siehst", meinte er beruhigend. 

Eine Weile schwiegen wir und ich sah aus dem Fenster. An Londons Größe hatte ich mich mittlerweile gewöhnt, obwohl ich aus der Umgebung einer winzigen Ortschaft in der Nähe von Oxford stammte. Wirklich im Dorf hatten wir nicht einmal gewohnt, der Hof lag etwas außerhalb, doch ich war so früh wie möglich ausgezogen und schließlich hier hängengeblieben. Ich hatte schon immer in einer größeren Stadt leben wollen. Von vielen Stadtbewohnern hörte ich jedoch, dass sie liebend gerne auf dem Land wohnen würden, daher vermutete ich, dass man wohl nie mit seiner eigenen Situation zufrieden war und immer glaubte, das andere sei besser.

"Deine Fans sind teilweise schon ein bisschen ... nähebedürftig, oder?", brach ich die Stille irgendwann.

Er kicherte.

"Nun ja ... so kann man es auch ausdrücken", sagte er achselzuckend. "Aber sie sind meistens total aufgeregt und weinen oder schreien wie verrückt. Das kann ich nicht so ganz verstehen ..."

"Ich auch nicht", ärgerte ich ihn.

"Oha!"

Das ehemalige Bandmitglied zog schmollend die Unterlippe nach vorne.

"Ich mag keine falsche Bescheidenheit", erklärte ich ihm. "Du weißt, dass sie dich total feiern und einfach alles gut finden, was du machst. Du musst nicht so tun, als wenn du es nicht wissen würdest!"

Zu meiner Überraschung wurde er ein wenig rot.

"Es gefällt mir eben nicht, mich selbst als irgendeine besondere Person darzustellen", verteidigte er sich. "Ich bin trotz allem auch nur ein ganz gewöhnlicher Mann, dessen Beruf es eben ist, zu singen. Ich werde keinen ... dritten Weltkrieg aufhalten können oder so."

"Louis", begann ich, "es erwartet keiner von dir, dass du das tun kannst. Du hast eben eine Leidenschaft fürs Singen und bist ziemlich gut darin, was etliche andere Menschen auch so sehen. Mach dieses Lob doch nicht kleiner als es ist! Freu dich einfach darüber, dass es Leute gibt, die dein Talent erkennen und dich unterstützen."

Er sah mich kurzzeitig mit großen Augen an.

"Wir beide sind heute ja richtig philosophisch drauf", sagte er fassungslos.

"Stimmt", pflichtete ich ihm bei. "Das sollten wir ändern. Bock auf Pizza?"

"Klar", antwortete er grinsend.

Dieses Gespräch im Taxi hatte dafür gesorgt, dass ich den Braunhaarigen schon nach kurzer Zeit mit anderen Augen sah. Er hatte mir eine andere, nachdenklichere Seite von sich gezeigt.

Schutzengel || l.t. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt