7.1: Ver(w)irrt

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"Scheiße", fluchte ich und drehte mich einmal um die eigene Achse.

"Mia?"

"Ja?"

Ich drehte mich erneut um mich selbst, was jedoch nur dazu führte, dass ich mich mit der Leine einwickelte wie ein Paket und mein Hund aus diesem Grund empört bellte.

"Was ist los?", hinterfragte meine Schwester besorgt.

"Du hast mir gerade eine sehr gute Frage gestellt, die ich leider nicht beantworten kann", erklärte ich ihr, kletterte aus der Leine und sah mich nun schon zum dritten Mal um. Ich konnte Bäume erkennen, so viel stand fest. Leider weder einen Weg noch irgendein Zeichen von Zivilisation.

"Warte, ich leg mal eben auf, dann kann ich vielleicht jemanden anrufen, der mich abholt", murmelte ich.

"Okay", gab Leah zurück. "Schreib mir, wenn du bei dir bist!"

"Mach ich."

Damit drückte ich sie weg und schluckte einmal schwer. Es konnte ja kein so großes Problem werden, irgendwie aus diesem Wäldchen hinter meinem Haus hinaus zu finden! Nun ja, nur, dass dieses Wäldchen wohl doch eher ein Wald war und mein Haus wohl doch eher weiter weg stand.

"Karly!", rief ich nach dem Dobermann, der sofort auf meinen Befehl hörte und zu mir trabte.

"Such unser Zuhause, Karly, such!"

Er ließ sich auf die Hinterpfoten plumsen, legte den Kopf schief und sah mich freundlich an.

"Nein! Wir wollen nach Hause, Karly!", versuchte ich ihm verständlich zu machen. Ich hatte einmal gehört, dass man sich nicht vom Fleck rühren sollte, wenn man sich verlief, damit man sich nicht womöglich noch weiter von seinem Ziel entfernte. Aber ebenso hatte ich irgendwo gehört, dass Tiere einen besonders ausgeprägten Orientierungssinn hatten und fast immer nach Hause fanden. Also konnte ich mich bestimmt auf meinen Hund verlassen!

"Nach Hause, Karly", sagte ich noch einmal, dieses Mal schon mit weniger Begeisterung.

Mein Hund sah mich noch immer treuherzig an, streckte dann eine Pfote aus und hielt sie mir entgegen.

"Nein, nicht - Moment mal, seit wann kannst du überhaupt Pfoten geben, Hund?"

Verwundert kratzte ich mich am Kopf. Wenn ich den Befehl dazu gab, machte er es nie! Vielleicht sollte ich damit anfangen, 'nach Hause' statt 'gib Pfote' zu sagen. Nach Hause. Das war das Thema.

"Karl, wenn du nicht die ganze Nacht hier in diesem verdammten Wald bleiben willst, dann bewege deinen faulen Hundehintern und führe uns jetzt bitte zurück zu unserem Haus!"

Warum verstanden Hunde unsere Sprache auch nicht? Und warum hatte ich ein so unglaublich dummes Exemplar eines Hundes, das es nicht einmal schaffte, zum eigenen Fressnapf zu finden? Seufzend holte ich mein Handy hervor, etwas, was ich, obwohl ich es Leah bereits angekündigt hatte, gerne vermieden hätte. Es konnte nämlich sehr peinlich werden, jemandem zu erklären, dass man sich beim Gassi gehen mit dem Hund im Wald verirrt hatte. Und vor allem, wie mir beim Durchsehen meiner Kontakteliste auffiel, konnte es peinlich werden, wenn man ausgerechnet seinen Chef anrief, um ihn darum zu bitten einem zu helfen. Aber gut, ich hatte anscheinend keine andere Wahl. Keiner meiner Bekannten wohnte sonst in dieser Umgebung!

Seufzend drückte ich auf das kleine, grüne Telefon, mit dem man jemanden anrufen konnte, bevor ich noch zu einem anderen Entschluss kommen konnte und hier wirklich bis morgen zeltete. Das beunruhigende, in kurzen Abständen hintereinander ertönende Tuten, das aussagte, dass es besetzt war, ließ mich aufstöhnen. Warum musste der Junge auch gerade jetzt telefonieren?!

Grummelnd steckte ich das Handy erneut weg. Denn, wie gesagt, ich hatte keine anderen Bekannten, die sich hier gut genug auskannten, um mich aus dem Wald heraus führen zu können. So lange würde Louis schon nicht telefonieren! Er war ja schließlich kein Mädchen. Aber warte mal, was war mit der Theorie, dass er schwul war? Scheiße. Oder er war nicht schwul, telefonierte aber trotzdem ewig mit irgendjemandem. Mit seiner Freundin vielleicht? Hatte er überhaupt eine Freundin? Neugierig geworden, zog ich mein Handy erneut hervor, um es zu googeln. Wenn man sonst nichts Besseres zu tun hatte? Dank meinem unfassbaren Talent, Begriffe in die Suchleiste eingeben zu können, fand ich heraus, dass Louis Tomlinson momentan Single war. Oder mit Harry Styles zusammen. Je nachdem, welcher Quelle man Glauben schenkte. Ich vermutete jedoch eher, dass die Single-Theorie stimmte.

Noch einmal versuchte ich ihn anzurufen, wieder war es besetzt. Na großartig! Was machte Louis so lange?! Als ich auf meine Akku-Anzeige sah, fiel mir auf, dass das Googeln vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war, denn ich hatte nur noch 10%. Kein Problem, wenn ich gleich wieder zu Hause sein würde, aber mit der Möglichkeit, hier noch ein wenig Zeit verbringen zu müssen, war es eher ungünstig.

Meine trüben Gedanken wurden jedoch durch das Handyklingeln unterbrochen. Erleichtert atmete ich aus, als ich erkannte, dass es sich dabei wirklich um Louis handelte.

"Hallo du Tratschtante", meinte ich sofort.

"Hallo du Kampfhuhn."

"Kampfhuhn?", rief ich empört.

"Tratschtante?", gab er trocken zurück und ich rollte mit den Augen.

"Wer braucht denn sonst so verdammt lange zum Telefoniernen?!"

"Ich habe mit den Jungs gesprochen", erklärte er mir, aber das war mir gerade eigentlich ziemlich egal.

"Kannst du mich abholen, Louis?", fragte ich also schnell, um zu vermeiden, dass er mir einen ewig langen Vortag über irgendetwas hielt, was mich jetzt nicht kümmerte.

"Jetzt noch?", grummelte er.

"Ja!", gab ich eindringlich zurück. "Jetzt!"

Er seufzte.

"Wo genau bist du denn?"

Etwas hilflos sah ich mich um. Das war nun eben die Frage.

"Also ... hier sind Bäume", antwortete ich dann, wenig hilfreich.

"Geht es etwas präziser?"

Ich schluckte. Jetzt kamen wir zum peinlichen Teil der Sache.

"Ich weiß nicht. Also ich bin einen Feldweg entlang gelaufen und dann irgendwie abgebogen und auf irgendeinem Trampelpfad durch einen Wald gewandert, der sich aber, ohne, dass ich es bemerkt habe, irgendwann aufgelöst hat", berichtete ich mit kläglicher Stimme.

"Du willst sagen, du hast dich verirrt", grummelte er.

"So würde ich es nicht ausdrücken. Ich habe lediglich telefoniert und dann ist der Weg weggelaufen!"

"Du hast dich verirrt", seufzte er. "Ich glaub es nicht, Mia! Wolltest du nicht nur kurz mit dem Hund rausgehen?"

"Das bin ich ja!", erwiderte ich.

"Und kann dein Hund dich nicht nach Hause bringen?"

Aha, wir hatten also die selbe, lügenverbreitende Doku gesehen!

"Nein", jammerte ich, fügte jedoch noch hinzu: "Aber er kann Pfote geben!"

Ich konnte mir denken, dass er die Augen verdrehte, während ich ein genervtes Stöhnen hörte.

"Okay, bleib wo du bist. Ich komme dich abholen."

Schutzengel || l.t. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt