5.5: Die Metapher mit Louis und dem Affen

2.4K 113 6
                                    

"Louis", sprach ich den jungen Mann an, sobald dieser in meinem Sichtfeld auftauchte. Ich erinnerte mich an eine Frage, die ich ihm noch stellen wollte.

"Mia?", entgegnete er mit hochgezogener Augenbraue.

"Eine Frage: Warum wohnst du eigentlich nicht hier?"

Diese Idee war mir gekommen, als ich gesehen hatte, wie glücklich er und sein Sohn zusammen aussahen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es dem Sänger leichtfiel, ihn am anderen Ende der Welt zu wissen. Sein Blick verriet mir, dass ich damit ein ungünstiges Thema angesprochen hatte.

"Hab ich ja", murmelte er irgendwann, "aber das funktioniert nicht so einfach, wie du vielleicht denkst. Quasi meine ganze Existenz ist in England. Die befreundeten Musiker ebenfalls ... und die Atmosphäre ist hier einfach eine andere."

Er seufzte.

"Es ... ich kann hier einfach nicht arbeiten. Ich habe es versucht, aber es klappt einfach nicht."

Okay, jetzt hatte ich meine Antwort, doch ich war ein wenig enttäuscht, dass es eine wirkliche Begründung dafür gab. Fast hätte ich mir ausgemalt, wie ich durch diesen einzigen Satz mit einem Schlag seine Probleme lösen konnte. Nun jedoch fand ich das eher unrealistisch, denn Louis hatte garantiert schon alle Hebel in Bewegung gesetzt. Da mir die Situation unangenehm war, versuchte ich das Thema zu wechseln.

"Sind Briana und Freddie im Auto?", fragte ich also und nickte in Richtung des schwarzen Wagens, der in etwa zehn Metern Entfernung geparkt war.

"Ja", bestätigte er, wohl ebenfalls darüber erleichtert, nicht mehr über das niederschmetternde Thema nachdenken zu müssen. "Briana fährt. Ich komme immer mit dem Rechtsverkehr durcheinander."

"Warum fahren auch fast alle anderen Länder falsch?", grummelte ich, setzte mich daraufhin in Bewegung und stieg im hinteren Teil des Wagens ein, sodass ich neben einem glücklichen Freddie in seinem Kindersitz saß.

-----

Von der Fahrt ließ sich nicht allzu viel berichten, es war nunmal eine einfache Autofahrt in einem ganz gewöhnlichen, schwarzen Auto, in dem eine nicht ganz so gewöhnliche, kleine Familie zusammen mit dem privaten Bodyguard saß. Jedoch bemerkte ich, dass Louis genau das richtige Ausflugsziel für seinen Sohn gewählt hatte, denn dieser kicherte fröhlich und war ganz entzückt über die verschiedenen Tiere.

Wir hatten es bisher geschafft, lediglich von einem jungen Pärchen entdeckt zu werden, welches sich aber total freundlich verhalten hatte und lediglich ein Foto mit dem Star machen wollte, bevor sie ihre Aufmerksamkeit erneut den bunten Vögeln zugewandt hatten. Nun standen Louis und ich etwas abseits der Menschenmenge, die sich um das Affengehege drängte, denn wir wollten unser Glück nicht überstrapazieren. Freddie und seine Mutter versuchen währenddessen, einen guten Blick auf die Tiere erhaschen zu können. Nachdenklich beobachtete Louis nun die armen Affen, die von der Glaswand her angegafft wurden.

"Weißt du, manchmal fühlt man sich wirklich wie sie", sagte er irgendwann. "Die ganzen Leute von der Presse, all das ... ich komme mir teilweise auch so beobachtet vor wie die Tiere hier."

Er schien schon wieder in seiner nachdenklichen, traurigen Phase zu sein. Da ich nicht wusste, was ich sonst machen sollte, strich ich ihm einmal beruhigend über den Rücken.

"Du hast allerdings eine ganze Welt, auf der du dich bewegen kannst, nicht nur so einen mickrigen Käfig", versuchte ich ihn aufzuheitern.

Er wiegte den Kopf hin und her.

"Stimmt."

"Und außerdem", fuhr ich dann fort, "kannst du mir nicht sagen, dass es dir nicht auch Spaß macht, ein solches Leben führen zu können. Ich meine, du musst ja auch die positiven Sachen daran sehen!"

Er warf mir einen flüchtigen Blick zu, nickte dann und zog halbherzig einen Mundwinkel nach oben.

"Vielleicht hast du Recht", murmelte er.

"Natürlich habe ich Recht!", entgegnete ich und boxte ihm leicht in die Schulter. Wir wurden unterbrochen, da Freddie auf seinen Vater zugerannt kam.

"Schau mal, Daddy!", rief er aus und zerrte an der Hand des Älteren. "Da vorne!"

Lachend ließ dieser sich von dem Kleinen mitnehmen, welcher zum Gehege rannte und seinem Vater einen besonders jungen Affen zeigte, den er soeben entdeckt hatte.

Ich blieb zurück und beobachtete aufmerksam die Menge, denn ich wollte kein Risiko eigenen, dass Louis versehentlich von einem VerFab überfallen wurde. Jedoch blieb ich nicht lange allein, denn Briana, Freddies Mutter, gesellte sich zu mir.


"Na du?", meinte sie und lächelte scheu. "Ich hoffe, wir nerven dich nicht allzu sehr ..."

"Ach was!"

Ich winkte ab.

"Ich bin gern mit Louis unterwegs. Jedenfalls noch. Ich hab den Job erst seit guten zwei Wochen. Vielleicht bin ich irgendwann davon genervt, allerdings wäre es schon traurig, wenn das bereits nach so kurzer Zeit der Fall sein würde."

Sie nickte nur.

"Wie bist du denn dazu gekommen?"

Achselzuckend gab ich meine Antwort: "Mein Trainer hat mich drauf angesprochen. Ich mache Judo und mein Verein ist landesweit vertreten. Also denke ich, dass sie wohl alle möglichen Leute auf potentielle Bewerber für die Stelle angesprochen haben. Und da er wusste, dass ich gerade nach Arbeit gesucht habe, hat er mir wohl den Tipp gegeben. Ich denke, dass es sehr viel mehr Glück als Fähigkeiten gebraucht hat ..."

"Ich denke schon, dass du gut genug im Kämpfen bist, um ihn im Notfall zu verteidigen", beruhigte sie mich. "Und es tut ihm gut, mal wieder ein wenig 'privater' unterwegs zu sein. Uns allen. Sicher, du bist auch ein Bodyguard, aber ich glaube, bei dir ist das Gefühl ein anderes. Du wirkst eher wie eine Freundin und du kannst dir gar nicht vorstellen, wie entspannt es für ihn sein muss, mal ohne einen riesigen, muskelbepackten Typen unterwegs zu sein, vor dem alle zurückschrecken."

Es machte mich verlegen, dass sie so positiv über mich sprach, daher senkte ich mit leicht geröteten Wangen den Blick.

"Ich bin sicher, dass Rick oder Dave genauso gute Freunde darstellen könnten", nuschelte ich.

"Bestimmt", entgegnete Briana, "aber auch mit ihnen wirkt der Ausflug eher wie ein geschäftiges Unternehmen. Man kann nicht einen Moment lang vergessen, dass man anders als alle anderen ist."

Während ich Louis und Freddie dabei beobachtete, wie sie den Affen glücklich beim Klettern zusahen, musste ich überlegen, dass diese wirklich in einer ähnlichen Position wie der Sänger waren. Und ich stellte das Glas dar, was sie davor schützte, von den Mengen erdrückt zu werden. Hoffentlich war ich stark genug dafür.

Schutzengel || l.t. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt