Kapitel 47

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Die nächsten Tage verliefen in einem apathischen Gleichmaß. Ich stand morgens auf, würgte mein Müsli hinunter, obwohl ich eigentlich gar keinen Hunger hatte, ging zur Schule, in der ich mich nun sehr fremd fühlte, da ich mich schon so sehr an meine Klasse im Internat gewöhnt hatte. Nachmittags fuhr ich mit dem Bus zu Danci, longierte sie meistens (seit meinem Rausschmiss aus der Show war ich nicht mehr geritten, da ich es einfach nicht mehr über mich brachte. Warum sollte ich auch trainieren? Ich war sowieso die nächsten drei Monate gesperrt!) und verkroch mich danach wieder in meinem Zimmer, um mit Tränen in den Augen den Livestream der Show anzusehen. Meine Eltern und Charly hatten es mir zwar eigentlich verboten, doch ich tat es trotzdem und jedes Mal, wenn ich wieder vor dem PC saß und in die glücklichen Gesichter von Alice, Sam und Alison blickte, brach mein Herz in weitere tausend Stücke. Eigentlich sollte ich dort gerade für die nächste Kür trainieren, und nicht heulend auf der Couch vergammeln.

Doch nicht nur der Rausschmiss aus der Show beschäftigte mich. Aus irgendeinem Grund ließ mich der Audi, den ich vor einer Woche bei der Heimfahrt gesichtet hatte nicht mehr los, nicht zuletzt deshalb, weil er bis zu unserem Stall hinter uns her gefahren war. Doch gerade als ich ausgestiegen war, um den Fahrer zu Rede zu stellen, konnte ich auf dem gesamten Parkplatz keinen weißen Audi erkennen. Doch seitdem fühlte ich mich überall beobachtet. In der Schule, im Stall und sogar manchmal in meinem Haus! Das konnte doch nicht so weitergehen, jedoch traute ich mich auch nicht, mit Charly oder gar meinen Eltern darüber zu sprechen, denn nachher hielten sie mich für völlig bekloppt und schickten mich endgültig in die Irrenanstalt.

Ein Schnipsen unterbrach meine Grübeleien und ich blickte müde nach der Herkunft des Geräusches. Charly stand vor mir, eine Hand in die Hüfte gestemmt; mit der anderen schnipste sie immer noch vor meinem Gesicht herum. "Erde an Valerie!" raunzte sie und blickte mich streng an. Ich seufzte nur. Das konnte jetzt nichts gutes bedeuten. "Was?" brummte ich also wenig begeistert und vermied einen langen Blickkontakt. "Also wirklich, ich schaue mir dieses Elend nicht länger an! Du durftest jetzt 6 lange Tage lang dich in Selbstmitleid suhlen, aber jetzt ist es auch mal wirklich wieder gut! Schau dich doch mal an! Willst du wirklich so enden?" mit einer angeekelten Geste deutete sie unbestimmt auf meine fettigen Haare, die ich in einem unordentlichen Haufen, der eigentlich ein Dutt werden sollte, auf meinem Kopf drapiert hatte, meinen absoluten Schlabberlook mit meinem T-Shirt, auf dem die passenden Worte "don't mess with me" aufgedruckt waren, sowie meine absolute Lieblingsjogginghose, die aber leider schon bessere Tage gesehen hat, bis zu meinen Wollsocken, die nun ja, nicht gerade der absolute Hingucker waren. Ich musste zugeben, dass ich wirklich schon mal besser ausgesehen hatte, doch jetzt, da mich niemand mehr pausenlos im Livestram begutachten konnte, machte es doch eigentlich nichts aus, wenn ich hier im Schlabberlook herumlief, oder?

"Lass mich! Ich mag meine Jogginghose!" ich funkelte Charly böse an. Eigentlich war ich immer der Meinung gewesen, dass beste Freundinnen sich in schlechten Zeiten zu Seite stehen und nicht gerade an allem Rummeckern! "Ich weiß, ich weiß Val! Aber ich habe dich auch schon seither nicht mehr reiten sehen! Und ich glaube, dass würdest du sogar noch mit deiner absolut hässlichen Jogginghose schaffen! Wie willst du mir das erklären?" sie blickte mich forschend an und in ihren braunen Augen stand eine unbeschreibliche Sorge, die sie um mich hatte. "Danci braucht eine Pause nach diesen anstrengenden Wochen!" versuchte ich mich zu verteidigen, scheiterte jedoch kläglich, wie ich an Charlys hochgezogener Augenbraue vernehmen konnte.

"Aha. Und was ist mit London? Ich habe gehört, du hast dich seither nicht mehr bei ihm gemeldet! Was soll das eigentlich Val? Willst du dich von der ganzen Welt abschotten und hoffen, dass es irgendwann besser wird?" und schon wieder hatte sie zielstrebig wie ein Dartpfeil, der den roten Kreis trifft, meinen wunden Punkt getroffen. London. Er hatte mir zwar tausendfach versichert, dass es ihm nichts ausmachte, mit mir durch Matsch der Klatschpressen gezogen zu werden, doch ich hatte seine Zurückhaltung gespürt, mit der er mich behandelt hatte.

"Val? So, jetzt wird es mir echt zu viel! Ab ins Bad mit dir! Und wehe ich höre das Wasser nicht rauschen, wenn du duschst!" riss sie mich wieder aus meinen dunklen Gedanken und deutete mit einer herrischen Geste auf mein Badezimmer. "Das ist jetzt nicht dein Ernst!" muffelte ich und warf ihr einen weiteren tödlichen Blick zu, doch er prallte wie Regen an struppigem Shettyfell an ihr ab und sie zog wieder ihre Augenbraue hoch. "Val!" ihr drohender Unterton ließ mich ins Bad stampfen und die Tür hinter mir zuschlagen.

Nach einer ausgiebigen Dusche und mit frischen Klamotten ausgestattet, fühlte ich mich, nun ja, schon wieder etwas besser, auch wenn ich dies nie vor Charly zugegeben hätte. Diese betrachtete zufrieden ihr Werk, dass sie mit meinen Haaren angestellt hatte. "Na also! Schau mal, was ein Bad, neue Klamotten und zwei Französische Zöpfe alles bewirken können! Und jetzt schnell, zieh dir deine Jacke an, wir fahren noch in den Stall! Ich habe keine Lust, dass Danci ihre Muskeln abbaut, nur weil du dich gerade nicht in den Sattel schwingen willst! Hopp hopp!" mit einem kleinen Lächeln scheuchte sie mich vor sich her und während ich nur ein gespieltes Brummen von mir gab, bewunderte ich ihren Aktionismus.

Ich schwebe im Himmel! Der vertraute Dreitakt unter mir und das vertraute Schnauben meiner Fuchsstute zauberte mir ein breites Lächeln ins Gesicht und ich hätte die ganze Welt umarmen können. "So, das ist doch die Valerie Winterhagen, die ich kenne!" Glenda stand am Eingang der Halle und verfolgte mit Charly zusammen, wie Danci und ich über den hellen Sand galoppierten. "Nicht wahr! Das ist alles mein Werk!" lächelte Charly stolz und zwinkerte mir glücklich zu.

Ich lächelte überglücklich zurück.Natürlich war meine Welt nicht perfekt, schon gar nicht nach dem Rausschmiss aus der Show, und den erdrückenden Doping- Vorwürfen, doch genau in diesem Moment, mit meinen besten Freunden und meinem Pferd um mich, fühlte ich mich so leicht, so glücklich, dass mein in tausend Stücke zersprungenes Herz langsam wieder anfing zu schlagen und laut klopfte. Alles würde gut werden!

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