Kapitel 59

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"Herzlich Willkommen auf dem Messegelände der EQUITANA. Ihren LKW können Sie später dort drüben im Parkbereich T parken. " Ein Security- Mann mit leuchtender Warnweste lächelte Michi ein letztes Mal freundlich zu, bevor er die Schranke endlich öffnete, die uns in den Stallbereich der Messehallen fahren ließ. Auf der gegenüberliegenden Seite ragten groß die Gruga- Hallen auf und viele Menschen strömten auf den Eingang zu, um sich die Weltmesse des Pferdesports nicht entgehen zu lassen. Ich selbst spürte zurzeit gar nichts mehr von meiner Aufregung, stattdessen klebte ich mit meinem Gesicht förmlich an der Scheibe und sog alle Eindrücke begierig in mich auf. Seit ich ein kleines Kind war, träumte ich davon, einmal in der Halle 6, der großen Showhalle, reiten zu dürfen und heute und morgen würde sich dieser Traum erfüllen! "Valerie, bitte, entspanne dich ein bisschen, ich möchte nicht angehalten werden, weil die Security denkt, du wärst eine psychisch Kranke, die hier die Leute stalken will!" murrte Michi, als wir gerade an den weißen Stallzelten vorbeifuhren. Hie und da streckte eines der Pferde seinen Kopf neugierig aus dem Fenster, um den neuen LKW zu begutachten. Alle möglichen Rassen standen nebeneinander in ihren Boxen, denn ich konnte bereits den blonden Schopf eines Haflingers erkennen, die langen braunen Ohren eines Maultiers aus einem der Fenster schimmern sehen und die silbrig graue Mähne eines PRE in der leichten Brise wehen sehen, die über das Messegelände pustete. "Aber Michi! Sonst verpasse ich noch was!" quengelte ich leise und schnallte mich schnell ab, als Michi den Motor verstummen ließ. Mit einem Satz war ich aus dem LKW gesprungen und sog die typische Luft nach Pferde, Stroh und Turnier, ein. Mit einem weiteren Satz hatte ich die Laderampe des Trucks erreicht und war mit einem weiteren im Inneren verschwunden und kraulte Olympio den leicht verschwitzten Hals. Als er die ganzen Gerüche nach fremden Pferden wahrnahm, reckte er seinen stolzen Kopf in die Höhe und wieherte einmal ohrenbetäubend, um dann, starr und schön wie eine Statue auf eine Antwort zu warten. Nach ein paar Sekunden entspannte er sich wieder und legte seinen schweren Kopf fragend auf meine Schulter, als wüsste er nicht, was mich davon abhalten würde, ihn loszubinden, die Rampe hinunterzusteigen und in seine Box zu bringen.

Doch ich konnte nicht. Plötzlich war die komplette Anspannung wieder da, sie setzte sich auf meine Schultern, auf meine Lungen und auf mein Herz. Angst schoss durch meine Venen wie ein aufgeregter Hornissenschwarm. Panik rebellierte in meinem Magen.

Es waren drei Schritte.

Drei Schritte, die ich von der Rampe hinuntersteigen musste.

Drei Schritte um endlich dazuzugehören und ein Teil der Show zu werden.

Keiner hatte mir gesagt, dass es die unmöglichen Schritte waren. Wenn ich diese Schritte wagen würde, dann würde ich nicht mehr das kleine Mädchen sein können, das vergeblich über die viel zu hohen Sichtschutzblöcke schauen wollte, um ihre Idole auch einmal hinter den Kulissen zu sehen. Ich würde nicht mehr das kleine Mädchen sein, das eifrig klatschend in der ersten Reihe saß und ihre Vorbilder mit glänzenden Augen verfolgte. Ich würde nicht mehr im Dunkeln stehen. Ich musste endlich den Schritt in das Rampenlicht wagen, ob es nun mein Sieg oder mein Untergang werden sollte.

"Valerie!" leise hatte Michi sich auf die Rampe gestellt und beobachtete mich mit seinen gutmütigen braunen Augen, in denen pures Vertrauen stand. Vertrauen, das mir Mut gab. Michi streckte seine Hand nach mir aus. Fragend. Wirst du dir selbst vertrauen? "Ja!" gab ich auf seine stumme Frage zurück, löste die vordere Stange von Olympios Abteil und stapfte mutig die drei Schritte die Laderampe hinunter.

"Boah, und hier wirst du in zwei Stunden schon langreiten!" ehrfürchtig wanderte Charlys Blick über die endlos langen Tribünen und den eindrucksvollen VIP- Bereich, der an der kurzen Seite der Halle über uns aufragte und dem gegenüber die große LED- Leinwand gerade das große Equitana Logo zeigte. Auch London und der Rest der Gruppe, die aus meinen Eltern und Glenda bestand, wirkte leicht beeindruckt. "Und dann auch noch mit so einem Ausnahmehengst!" fügte Glenda hinzu und wandte sich an London, den sie ins Herz geschlossen zu haben schien. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass es einfach war, diesen Hengst zu erwerben, aber ich bin der Meinung, dass du das Richtige getan hast!" sie lächelte ihn warmherzig an, wie ich es sonst so gar nicht von meiner raubeinigen Trainerin gewohnt war, und fuhr dann aber mit ihrer typisch pedanten Glenda- Stimme fort: "Valerie, ich hoffe für dich, dass du dich gerade auf den Weg zur Show- Besprechung machen wolltest! Denn sonst schaffst du es nicht mehr pünktlich dort zu erscheinen." sie warf mir einen strengen Blick zu, worauf ich schnell eine kleine Entschuldigung murmelte und mich in Richtung der Stallungen trollte, in denen die Besprechung stattfinden sollte.

Wohlige Wärme empfing mich, als ich von dem regnerischen Samstag Abend in den dämmrigen Vorplatz der Showhalle ritt. Hinter mir sah ich Alison mit ihrer Stute Dakari eine kleine Diskussion ausfechten, da die kleine Stute auf keinen Fall den überdachten Vorplatz betreten wollte. Schließlich erbarmte sich Georgie und nahm Dakari am Zügel und führte sie neben Olympio, der ein interessiertes Brummeln verlauten ließ. "Na?" fragte ich meine Konkurrentin leise, obwohl ich eigentlich an ihrem kalkweißen Gesicht und den großen Pupillen schon erkennen kann, das sie genauso viel Angst hatte wie ich. Nur Sam, die auf der anderen Seite von mir auf Danci saß, schien keinerlei Angst zu verspüren. "Da ich nur auf Benny eine reele Chance gehabt hätte, an euch vorbeizuziehen, genieße ich diese zwei Ritte heute und morgen und freue mich riesig über die weiße Schleife!" lachte sie und klopfte meiner Stute trotzdem glücklich den Hals. Dankbarkeit stand in ihren Augen, als sie ihren Blick auf mich richtete und mit ihren Lippen lautlos das Wort "Danke!" formte. Ich lächte nur zaghaft zurück. Sie hätte bestimmt dasselbe auch für mich gemacht. "Aufgepasst, Leute, Showtime!" rief Georgie uns zur Ordnung. "Sam, du reitest vorraus, dann Alice, Alison und als letzte dann Valerie!" erklärte er uns nochmal die Reihenfolge, in der wir in die große Halle einreiten würden. "10 Sekunden noch bis zum Start!" teilte uns ein Staff- Mitglied mit, der mit seinen Kopfhörern die Mitteilung von der Leitung der Showacts gehört hatte. Ich atmete nochmals tief durch, faste die Zügel der Kandare kürzer und überprüfte nochmals den Sitz meines Fracks, den ich für die heutige Vorstellung tragen würde.

"Showtime!"

Eines der großen Tore der LED Leinwand wurden geöffnet und tosender Applaus schwappte in den kleinen Vorplatz und ließ meine Haut kribbeln. Nun war es soweit. Das Finale war zum Greifen nah.

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