13«Nächte wie die der reinen Kräfte

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Meine Schritte hallen durch den grauen Gang. Sie passen sich den Tropfen auf der Wasseroberfläche an, die von den Rohren fallen. Und doch lausche ich nur das Klopfen seines Herzens. Das zusammenziehen, dass jede Faser des Schmerzes von neu auferstehen lässt. Das es stärker werden lässt. Das es unkontrollierbarer werden lässt.

Meine Augen fixieren das verrostete Schloss, das die Tür versperrt. Doch sobald ich daran zerre und die Kette zu Boden reiße, schwingt die Tür auf. Und meine Augen sind bloß noch auf den Mann gerichtet, dessen Herzschlag ich zu meinem gemacht habe. Dessen Herz so gleich und intensiv wie meines schlägt. Ich erkenne den Schmerz in seinen dunkel grünen Augen, die sich zögernd aufrichten, die sich auf mich legen und die mich zu fangen versuchen. Seine Haut ist voller Wunden, voller Blut. Sie ist eingefallen und bleich. Sie hinterlässt mit jedem neuen Blick seinen schmerz in mir. "Oh Ilay." ich möchte Weinen, ich möchte schreien. Doch alles was ich in mir spüre, ist eine ungebändigte Wut, als ich meinen Mate an den Ketten sehe. Als ich seine dunklen Fingerspitzen sehe, als ich die Ketten um seine Handgelenke sehe, die seine Arme hochhalten. Auf den Knien in dem Wasser zusammengekrümmt, sucht er nach den letzten Atemzügen und der letzten Kraft, die er aufbringen kann.

Zögernd löse ich mich aus meiner Starre, trete vor ihn und lasse mich ebenso auf meine Knie gleiten. Lasse mich von dem Wasser umschwirren und umgarnen. Genieße die Kühle, die die Hitze in mir kontrollieren möchte. Genieße die hellen Einwürfe des Mondes, der seinen höchsten Punkt erreicht hat. Seine Lippen öffnen sich ein Stück und doch entkommt seinem Mund kein Wort, kein Geräusch. Es ist die Stille, ein Krächzen, die Kraft die ihm entgleitet, als sein Kopf müde wieder nach vorne fällt. Sanft umfassen meine Hände seinen Kopf, versuchen ihn dazu zu bringen, mir entgegen zu blicken und sich in meinen Augen zu verlieren, wie ich es in seinen tu. "Blaise kommt gleich. Er wird dich hier raus bringen, Ilay." sein leicht entstandener Bart kratzt an meiner Handfläche und doch tut es so gut. Es fühlt sich real an, es bringt mich dazu, an diese Situation und an ihn zu glauben. "Nicht." krächzend schafft er es das Wort wehleidig entkommen zu lassen, wodurch sich meine Brauen zusammenziehen. Meine Hand streicht über seine Haare, seine Augen schließen sich bei jeder neuen Bewegung, die ich über ihn ergehen lasse. "Wir bringen das irgendwie in Ordnung, Ilay." ich spüre seit langem ein Klos in meinem Hals. Ein Klos der puren Verzweiflung, die mich in dieser Nacht ereilt. Vorsichtig lasse ich meine Hände von ihm gleiten, um mich aufzurichten und ebenso an den Ketten zu zerren. Und erst nun bemerke ich Blaise, welcher mir zu Hilfe kommt und ebenso Ilay, von dem Metall befreit. "Ich bringe ihn zu den Ausgestoßenen."

Mir entkommt ein knappes nicken, während ich dabei zusehe, wie Blaise Ilay auf die Beine hilft. Wie er sich an den schwarzhaarigen klammert, hält und stützt. Wie ihn mit jedem Atemzug, immer mehr die Kraft fehlt. Wie sich seine Lider schließen, wie er benommen versucht zu blinzeln. Wie er versucht seinen Blick auf mir nieder zu legen, als würde er mich auf Ewig einprägen wollen. Und doch beginnt sich eine Hand von Blaise zu lösen, um sie mir entgegen zu strecken.

Zaghaft ergreife ich seine Hand, spüre den zaghaften und erschöpften Druck um meine Fingerspitzen, an denen er mich zu sich zieht. Und ehe ich reagieren kann, ehe ich etwas dagegen hätte sagen können, ehe ich meine Augen hätte öffnen können, spüre ich seine Hand um meine Wange, spüre seinen Atem auf meiner Haut. Prickelnd, Elektrisierend. Spüre mein springendes Herz, lausche seinem betäubten Schlägen, die gegen seine Rippen schlagen. Ich spüre seine Lippen auf meinen. So sanft, so Zaghaft und doch so intensiv. Intensiver als jeder Kuss zuvor. Intensiver, als jedes Erlebnis, dass ich gehabt habe. Gefühlvoller, als mein Herz hätte jemals schlagen können. Als das ich es in den letzten Wochen hätte erleben können. Sein Griff um meine Wange wird fester, sein Körper schmiegt sich an den meinen, seine andere Hand umfasst meine Taille. Zieht mich zu sich, zieht mich an sich, als würde er niemals wieder etwas anderes machen. Als würde er jemals wieder an etwas anderes denken. Etwas anderes tun. Ich lausche seinem Herzschlag, welches sich zu normalisieren beginnt. Ich lausche seinem Blut, dass warm, schnell und Lebendig durch ihn fließt. Ich spüre seine Wunden unter meinen Fingern, welche pochend zusammenwachsen. Wie sich seine Haut zu regenerieren beginnt, während mit jedem neuen Moment der verstrichen ist, der Druck um mich enger wird, schafft er es sich selber zu regenerieren. Kraft zu erhalten und zu gewinnen.

"Unglaublich."

Und ebenso fassungslos löse ich mich von ihm und blicke in die dunkel grünen Augen, die von weißen Schleiern besetzt sind. "Es ist eine vollkommen andere Verbringung." stelle ich faszinierend fest, wodurch unsere Mundwinkel nach oben zucken. "Wir müssen hier trotzdem weg, außerdem müssen wir May noch holen und alle anderen die hier noch eingesperrt sind." meine Hände umklammern die von Ilay, welche noch immer auf meinem Körper platziert sind. "Ich kümmere mich um Alec. Tr-"

"Stop, was willst du anrichten?" Ilays Augen legen sich skeptisch auf mich nieder, ehe er zu Blaise blickt, der ebenso mit dieser Entscheidung umzugehen scheint. "Ich habe noch wenige Stunden Zeit, ihn zu töten und damit alles aufzuhalten. Vielleicht werden seine Befehle vergehen, wenn er Tod ist."

"Sonst wirst du uns wieder zu Sonnenaufgang töten wollen." gibt Blaise missmutig von sich, wodurch ich nickend zu Ilay blicke. Noch immer sind seine Augen auf mich gerichtet und noch immer schafft er es kaum sich mit diesem Gedanken anzufreunden. "Vertraue mir." erneut fesseln mich seine dunklen Augen, dessen weißen Schlieren zu tanzen beginnen und ganz ähnlich müssen es meine ihnen gleich tun. Sie müssen vor Freude und vor Hoffnung aufgeblüht sein. Sie müssen mehr fühlen, als der ständige Hass und die Wut von Alec. Als die Befehle von Alec, die er mir auferlegt hat.

"Dann sollten wir bald los, Lavea." ich gebe Blaise recht. Unsere Zeit drängt, je mehr der Mond den Horizont zu küssen versucht. Die Kräfte erreichen mich zu dem Moment, wenn der erste Strahl der Sonne den Himmel erhellt. Wenn die Tiere erwachen, wenn der Tag erbricht und die Nacht erstirbt. Eine Nacht voller Magie und voller Hoffnung. Eine Nacht, die ich lange nicht mehr, als solch eine erlebt habe.

Lavea •Feuer des Herzens•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt