18«Rückblick der geschriebenen Legende

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Die Frau kann es kaum fassen, als sie die Augen ihrer Tochter erblickt. Als sie das tiefe blau erkennt, das sich durch die Iris zieht. Ein blau, welches ihrem Mann gehört hatte, dem Vater der Kinder, die ihr Licht sind. Die ihr Symbol für die dunkelsten Nächte sind. Sie kann die Tränen nicht zurückhalten. Sie kann die Trauer nicht verstecken, die sie mit der Freude begleitet. Ihr war bewusst, dass es nicht einfach wird, doch ihr war auch bewusst, dass er eines Tages wieder über die Grenzen schreiten wird. Er wird seine Kinder mit Blicken bedenken und mit sanften Zügen seine jüngste Tochter in sein Herz schließen. Er wird sie gedeihen sehen. Lachen hören und das funkeln ihrer Augen betrachten, dass seine Frau jedes mal entfacht. Ratlos blickt ihr Sohn sie an. er versteht mit sechs Jahren nicht die Tränen seiner Mutter. Aber er spürt die Trauer die sie bestückt, es ist seine Familie, mit der er die Verbindung hegt einander zu schützen. Das hatte sein Vater ihm vor acht Monaten gesagt. Und es kommt ihm so vor, als würde etwas in sein innerstes ihn anschreien. Und jedesmal die Verantwortung zum Ausdruck bringen, die er irgendwann mal für die beiden Frauen übernehmen wird. Und das voller Liebe, wie es sein Vater gesagt hatte, bevor er wieder verschwand. Genauso leise, wie er kam. Seufzend und mit zitternden Fingern, aber einem steten Lächeln auf den Lippen wischt sie sich über ihre Wange und zerrt die Tränen von sich. Sie erblickt die strahlenden Augen ihres Sohnes, ehe sie seine Hand ergreift und sanft drückt, bevor sie nach vorne blickt. Ihre Schwester sitzt am Steuer des Autos. Ihr ist bewusst, dass ihr jüngeres Ebenbild alles für sie tun würde, aber ihr ist auch bewusst, dass sie niemals Verständnis dafür haben wird, wieso sie erneut ein Kind zur Welt gebracht hat. Eines das von einem Mann kommt, der nie da ist. Aber ihre Schwester wird es ohnehin niemals verstehen. Sie versteht diese ganze Welt nicht. Und dennoch erkennt sie die Freude über ihre neue Nichte. Ihre Lider schließen sich anerkennend, über das Geschöpf das seine Mutter mit großen Augen betrachtet. Das noch nicht weiß was auf sie zukommt und wie stark sie sein muss, wie früh sie es lernen muss. Und doch reißen sich die Augen der jüngeren Schwester auf, als sich ein schwarzer Schleier vor die Scheibe dringt. Als er das Fenster streift, als sich das Auto mit entsetzten keuchen und quietschenden Reifen füllt. "Was war das?" fassungslos außer Atem blickt die Fahrerin nach hinten und betrachtet ihr Vorbild. Doch sie findet keine Antwort, viel eher betrachtet sie ihre Kinder. Ihr Sohn hat sich an ihren Arm geklammert, während ihre Tochter ruhig zu ihr aufblickt. Und es scheint ihr, als würde sie lächeln. Ein sanftes, ein zaghaftes, aber eines das Sicher ist und das soviel wärme ausdrückt. Und es scheint ihr, als würden sich die blauen Schlieren in ihren Augen ausbreiten.

"Mama!" weinend blickt das Mädchen um sich um, versucht zu verstehen wo sie ist, versucht zu verstehen wieso ihre Mutter nicht bei ihr ist. Die Angst die sie besetzt ist ihr neu und so fremd. Sie fühlt sich verloren und von ihrer Heimat fortgerissen. Aus ihrer Sicherheit, die sie immer umgeben hatte. Sie wollte doch nur den glühenden Punkten über den Sträuchern folgen. Sie haben sie fasziniert, sie wollte ihnen folgen und sich von ihnen leiten lassen, als sei es eine Aufgabe von ihr gewesen, dem innersten ihres selbst zu folgen. Instinktiv, als würde es sich um die Auswahl einer Puppe handeln, dort entscheidet sie ebenfalls instinktiv. Doch es war anders, viel wärmer und viel schöner. Und nun, ist sie alleine. Abgeschottet von ihrer Mutter, mit einer Angst die sie besetzt. Irrlos wandert sie in dem fremden Wald herum, welchen ihre Mutter besuchen wollte. Ihr Bruder war wieder unruhig, er wurde aggressiv. Sie hat den Streit mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in ihrem Zimmer mitbekommen. Immerhin sind die Wände dünn, in der kleinen Wohnung. Und sie hat gelauscht. Das hat sie schon immer, deswegen hört sie ihre Mutter auch oft weinen. Und oft weint sie mit. Doch dieses Mal hat sie nur die Wut ihrer Mutter wahrgenommen. Ihre Mutter war entsetzt darüber, dass ihr Bruder erneut einen Jungen aus seiner Klasse geschlagen hat. Er wird oft sauer und er verliert oft die Beherrschung, besonders in der Stadt. Er mag viele Menschen nicht, doch sie hat keine Angst vor ihm. Viel eher, ist sie die einzige die ihn wieder runter bringen kann, weil er die Worte seines Vaters in sich trägt. Weil er weiß, dass es seine Aufgabe ist, seine Schwester zu beschützen. Mit Leib und Seele. Und er würde für nichts anderes sterben, als dafür. Und doch sucht er ebenso vergebens nach seiner Schwester wie sie selbst. Obwohl er in sich spürt, wie sie sich bewegt. Er kann ihren süßen Geruch aufnehmen, aber er kann ihn nicht ordnen. Noch nicht. Noch bringt ihn all das durcheinander. Noch kommen seine Aggressionen daher, dass er in einer Phase ist, die zerstörender ist, als jedes ausgewachsene Wesen seiner Art. Aus diesem Grund wurden sie alle verband. Doch auch davon wissen sie nichts. Nicht einmal die Vier-Jährige, dessen Wangen rot sind, dessen Nase läuft und dessen Haare sich an den Sträuchern verfangen. "Mama!" ihre Verzweiflung schwindet, als sie die Bewegungen hinter den hohen Büschen wahrnimmt. Sie schwinden, als sie bemerkt, dass sie nicht alleine ist und das sie nicht in Gefahr ist. Sie kann dem Gefühl vertrauen, dass sie begleitet. Denn es ist nicht das erste mal, dass sie es in sich spürt. Sie hat es oft, oft wenn sie zuhause wein, weil ihr Mutter weint. Oft, wenn ihr Bruder in Situationen kommt, die ein Zehn-Jähriger kaum haben dürfte, spürt sie ihren Herzschlag, der sie beruhigt. Und so auch nun. Und so auch, als ihre Tränen zu trocknen beginnen, als ihr Atem ruhiger wird und ihr Blut langsamer zu pochen beginnt. Als das Wesen hinter den Büschen hervortritt und über sie ragt. Sie reicht ihm bis zu seinen Beinen und doch verspürt sie keine Angst. Besonders nicht, als sich seine blauen Augen auf sie niederlegen. Als er sie mit sanften Zügen betrachtet und sanft vor sie nieder kniet. Und erst nun hört sie die Stimme ihrer Mutter, welche sie zum umdrehen bringt. Doch als sie die Augen ihrer Mutter erkennt und auf das Wesen zurück blickt, erkennt sie das es fort ist, auch wenn sie spürt, dass es sie beobachtet und über sie wacht.

Lavea •Feuer des Herzens•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt