Kapitel 18 - Offenes Fenster

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Ich schaute auf die Uhr, 5 Uhr morgens. Ich hatte noch immer kein Auge zu bekommen. Das mit dem Schlafen wird wohl heute nichts mehr, dachte ich mir. Bei dem Versuch mich aufzusetzen, spürte ich einen Stich in meinem Unterleib, schon wieder kamen mir die Tränen. Ich schaltete die kleine Tischlampe ein, die auf meiner Nachtkommode stand und setze ich an die Bettkante. Vielleicht kann ich ja schonmal langsam Frühstück vorbereiten. Ich stand vorsichtig auf und schlenderte zur Tür. Oder doch lieber lernen ? Eray steht ja sowieso nicht vor 7 Uhr auf.. Ich kehrte also wieder um und setzte mich an meinen Schreibtisch. Meine Unterlagen waren noch immer auf dem Tisch verteilt. Seit über 2 Wochen. "Komm schon Amelia, wenn du jetzt nicht schon anfängst zu lernen und alles zu wiederholen, schaffst du garnichts in diesem Semester" , sagte ich mir selbst. Ich blätterte in meinem Collegeblock rum und fand die Mitschrift der letzen Vorlesung. Nachdem ich auf meinem Laptop das Script zur Bilanzierung ebenfalls geöffnet hatte, fing ich an mir alles genau durchzulesen und versuchte zu verstehen und nachzuvollziehen. Eigentlich waren die wirtschaftlichen Fächer nicht sehr schwer, denn man musste im Grunde nur alles auswendig lernen, doch ich wollte statt einfachem Auswendiglernen lieber alles verstehen, um es auch noch Wochen später parat zu haben. Außerdem konnte ich mich durch das konsequente lernen viel ablenken. Ablenkung, genau das brauchte ich.
Es waren sicher schon 1-2 Stunden vergangen, ich war meine Unterlagen bereits zwei Mal durchgegangen und versuchte mittlerweile die dazugehörigen Aufgaben zu lösen, als es an der Tür klopfte. Ich sah kurz von meinem Chaos aus Aufgabenblättern und Mitschriften auf und blickte direkt in Erays besorgtes Gesicht. Ich schenkte ihm ein kurzes Lächeln und widmete mich wieder dem Durcheinander auf meinem Schreibtisch.

ERAY: So früh schon am lernen ?

AMELIA: Ich wiederhole nur

Er stellte sich schräg hinter mich und legte mir sanft seine Hand auf die Schulter. Ich zuckte bei seiner Berührung kurz zusammen, woraufhin er sofort verständnisvoll seine Hand zurück zog. Ich konzentrierte mich wieder auf die Aufgaben, doch Eray ließ, wie immer, einfach nicht locker.

ERAY: Uyumadin yine, stimmts ? ( Du hast wieder nicht geschlafen, ...)

Ich hielt kurz inne. Sieht man mir das so sehr an ?

ERAY: Schatz.

Ich drehte mich zu ihm, sah ihn fragend an. Schatz ? Ist das sein Ernst?

ERAY: Amelia, ich weiss das alles ist schwer.

AMELIA: Eray DU weisst garnichts, okay ?

ERAY: Okay du hast Recht, ich kann mich nicht in deine Lage versetzen. Aber es hat uns alle schwer getroffen, Amelia. Und dass du jedem so aus dem Weg gehst oder dich in deinen Büchern und Blöcken versteckst, wird dir nicht helfen die Sache zu verarbeiten. Du darfst trauern, das solltest du sogar ! Du tust uns allen nur weh indem du dich so verhälst.

Er stand schon wieder an der Tür, das sah ich aus dem Augenwinkel. Ich spürte auch, dass sein Blick auf mir ruhte und er wahrscheinlich auf eine Antwort wartete, doch ich hob nicht ein einziges mal meinen Blick. Dann fiel die Tür ins Schloss. Endlich..
Ich legte meinen Stift zur Seite und stand auf, um an meine Nachtkommode zu gehen. Bin ich echt so unerträglich ? Aus der unteren Schublade nahm ich eine kleine Schachtel raus. Seroquel, las ich auf der Verpackung des Medikamentes. Schon ewig hatte ich es nicht mehr genommen, dennoch hatte ich es immer in der Schublade verstaut, das Risiko für einen Rückfall bestand immerhin ständig..

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"Kızım, du musst die Medikamente nehmen. Nur so können wir sicher gehen, dass es dir gut geht !" , redete mein Vater auf mich ein. Ich wollte aber nicht ich hasste diese Medikamente. " Baba ich bin nicht krank, wieso seht ihr das denn nicht ! ", weinte ich. " Ich bin gesund, aber ich will nicht mehr ! Ich bin nicht krank ! " Aber keinen schien das zu interessieren. Alle wollten mir einreden ich sei krank. Ich sei gestört. Aber das bin ich doch garnicht. "Amelia, bitte Engel. Wir werden gemeinsam eine Lösung finden. Aber bitte komm da runter.. " , flehte mein Vater und ich hörte meine Mutter weinen. Sie stand direkt hinter Baba an der Tür und ihr Schluchzen holte mich zurück in die Realität. "Ich bin nicht krank.." sagte ich nochmal leise, und stieg vorsichtig von der Fensterbank. Sofort kam mein Vater und nahm mich in den Arm. Er drückte mich so fest, dass ich das Gefühl hatte, er würde mich niemehr loslassen. "Özür dilerim Baba..(Es tut mir leid Papa)" flüsterte ich in seine Brust und weinte. "Tu das bitte nie wieder" bat er mich nur, doch ich hörte wie seine Stimme zitterte.

Das alles war seine Schuld. Cihans. Er hatte mich einfach im Stich gelasse.. Meine bipolare Störung war schon lange diagnostiziert, doch so schlecht war es mir bis dahin noch nie gegangen. Wegen ihm hatte ich meine Medikamente nicht mehr genommen. Weil es mir schon so lange wieder gut ging. Und dann ? Dann lässt er mich einfach sitzen.

"Nie wieder.." versprach ich meinen Eltern und sah ein letzes mal durch das offen stehende Fenster.

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Nie wieder, schwirrte es mir durch den Kopf. Nie wieder wollte ich zulassen, dass es so weit kommt. Nie wieder wollte ich so einen Rückfall wie vor 3 Jahren erleiden.
Das Klopfen der Tür riss mich aus den Gedanken.

ERAY: Ich hab frühstück gemacht, kommst du ?

Ich nickte bestätigend und wollte gerade die Tabletten wieder zurück in die Schublade legen, als Erays Blick daran hängen blieb.

ERAY: Was ist das ?

Ich sah ihn erschrocken an, denn ich hatte nicht damit gerechnet, dass er noch in der Tür stehen würde. "Nichts", antwortete ich trocken und verstaute das Seroquel in meiner Schublade.

***

ERAY: Jetzt ess endlich. Du stocherst seit einer halben Stunde in dem Spiegelei rum

AMELIA: Ich hab nicht so großen Hunger

ERAY: Güzelim, du hast seit zwei Wochen kaum was gegessen. Sieh dich doch mal an. Du bist total abgemagert. Du schläfst nie. Du bist 24 Stunden am Stück wach und sagst mir du hast keinen Hunger ?

Ich nahm ein Stück von dem Spiegelei auf die Gabel. Ich will aber nicht. Ich stand auf und wollte auf mein Zimmer gehen. Ich hatte doch wirklich keinen Hunger.. Aber Eray sagte wieder etwas, was mir einen Stich ins Herz verpasste.

ERAY: Es war nicht nur dein Baby

Wieso ? Wieso muss er das jetzt aussprechen ? Wieso tut er mir das an.. Er traf direkt in mein Herz und riss das Loch, was ich seit über zwei Wochen versuchte zu schließen mit voller Wucht wieder auf. Mein Herz zersprang in 1000 Teile und es tat weh. Es tat verdammt weh. Es zerstörte mich innerlich mit dem konfrontiert zu werden, was ich so lange versuchte zu verdrängen.

# #

Ich öffnete meine Augen schonwieder in einem Krankenzimmer. Wird das jetzt etwa zur Gewohnheit ? Ich sah mich um und merkte schnell, dass ich allein war. Es war viel zu ruhig und ich hasste diese Stille. Als ich versuchte, mich aufzusetzen, verspürte ich einen höllischen Schmerz in meinem Unterleib. Nein..
Sofort betätigte ich die Taste, die zum Rufen einer Schwester gedacht war und schon kurz darauf kam diese in mein Zimmer.

SCHWESTER: Ah Sie sind endlich wach, Frau Aydin.

AMELIA: Wissen Sie, wer mich hergebracht hat ?

SCHWESTER: Aber natürlich. Die beiden Herren und die Dame warten vor der Tür. Ich hatte sie rausgebeten, damit Sie sich ausruhen können.

AMELIA: Kann Eray bitte kommen ?

SCHWESTER: Ich hole ihre Freunde sofort rein Frau Aydin.

AMELIA: Vielen Dank

Sie ging mit einem Lächeln zur Tür und bat Eray, Ferhat und Meryem rein. Jedoch war es eher ein bemitleidendes Lächeln, was meine Befürchtung bestätigte, als sie beim Rausgehen noch folgendes sagte..

SCHWESTER: Ach und Frau Aydin, Ihr Verlust hat mich sehr getroffen. Mein Beileid.

Die Tür fiel zu und mein Blick traf 3 Augenpaare, die mich alle mit tiefem Mitleid ansahen. Ich wandte meinen Blick von ihnen ab, kehrte ihnen den Rücken und sagte nichts mehr. Garnichts.

# #

AMELIA: Und deins war es erst garnicht.

_____

Okay Leute,
Wie ihr seht, krasse Wendung in der Geschichte !

Amelia hat eine Krankheit ( bipolare Störung ), durch die sie in Vergangenheit schon schwere Zeiten durchgemacht hat. Zudem hat sie jetzt noch ihr Kind verloren.

Was haltet ihr von dem Kapitel und der Wendung ? Was meint ihr wie es weiter gehen wird ? Nimmt es letztendlich doch noch einen guten Lauf ? War ihre Antwort an Eray zu hart ?

Ich will eure Meinungen lesen ! Bitte schreibt sie doch in die Kommentare ☺️

love you all ! ❤️

Eray & AmeliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt