Life Sized Ghosts

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Es war erst 5 Uhr in der Früh, als du dich vorsichtig aus seiner Umarmung wandtest und der Schwarzhaarige daraufhin ein leises Knurren von sich gab.
»Schlaf weiter.«, flüstertest du und strichst sanft über das schwarze, wilde Haar. »Ich hol uns schon einmal etwas zu essen.«
Er brummte müde und drehte sich auf die andere Seite. Dein Blick ruhte kurz auf ihm, doch dann wandtest du dich rasch ab und zwängtest dich in deine Klamotten.
So leise wie möglich schlosst du die Tür hinter dir und schultertest deine Tasche. Das Gasthaus war totenstill, nur aus der kleinen Küche am Schankraum kam das Geklapper der Töpfe und Pfannen fürs Frühstück. Du bevorzugtest es selbst etwas zu kaufen und bei dem Gedanken an einen saftigen Apfel vom Markt lief dir das Wasser im Mund zusammen.
Am unteren Fuß der Holztreppe saß ein junges Kätzchen, welches dich aus großen, goldenen Augen anschaute. Normalerweise würde dich das Tier kaum kümmern, hattest den Kopf immer so voll mit allerhand Dingen die es zu erledigen galt. Doch diesmal hieltest du inne und streicheltest das kleine Tier. Die Katze miaute erfreut und schmiegte sich gegen deine Hand. Als Kind wolltest du immer ein Kätzchen haben, dachtest du sehnsüchtig und erhobst dich wieder aus der hockenden Position. Manchmal kamen einem seltsame Gedanken in den Sinn. 


Auf dem kleinen Markt des Dorfes kauftest du dir einen Apfel – und überlegtest für einen Moment Kakuzu auch einen zu holen. Mochte er überhaupt Äpfel?

Du ließt es bleiben und schlendertest im feinen Morgennebel die Straße hinab, bis du an Thalias Lokal vorbei kamst.
Viele Leute waren um den Eingang versammelt, alle in heilloser Aufregung. Sie hatten also ihre Leiche gefunden. Dich überraschte es, wie gleichgültig du gegenüber Thalias Tod warst. Früher wärst du wirklich traurig gewesen, doch seit sie sich als miese Verräterin entpuppt hatte gehörte das der Vergangenheit an.
Deine Panikattacke vom Vorabend hatte wirklich einen großen Eindruck bei dir hinterlassen. Es war als hätte jemand dein Gehirn aufgeräumt. Sonst hattest du immer so viele Dinge durcheinander unternommen, bedacht und so viel gegrübelt über allerhand Unsinn. Aber jetzt trieben dich klar Ziele an, feste Gedanken von denen abzuweichen fatal enden würde – sagte dir deine Angst. Dir war zwar unterbewusst klar dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte, aber das ignoriertest du mit aller Kraft. Angst war mächtig, Angst war ein starker Gegner.
Aber das schafftest du schon, sagtest du dir mit falscher Zuversicht. Sicher, das schafftest du schon ganz allein. Andere Menschen konnten das ja auch!
Du setztest dich auf eine Steinmauer, die nicht sehr hoch war. Schmatzend aßt du den giftgrünen Apfel – der etwas zu sauer für deinen Geschmack war – und beobachtetest wie die Sonne immer höher am Horizont aufzog. Kakuzu würde sicher auch schon bald aufstehen. Es wurde Zeit sich auf den Weg zu machen.
Du knabbertest noch einmal um das Kerngehäuse herum und warfst das Apfelskelett in den kleinen Vorgarten, zu dem die Mauer gehörte. Nach einem genüsslichen Recken und Strecken zogst du deine Tasche fester an dich und folgtest dem Weg bis zum Ende der Straße. 


Der Schwarzhaarige rollte sich auf die Seite, in Erwartung dich schlafend neben sich vorzufinden – doch dein Platz war leer. Er hob den Kopf, rätselte kurz – dann fiel ihm wieder ein dass du dich bei ihm abgemeldet hattest. Einkaufen wolltest du. Er schnaubte; Das klang wie der Alltag einer Hausfrau. Aufstehen, einkaufen gehen, Essen kochen.Undenkbar und er war sich auch nicht sicher ob du überhaupt kochen konntest. Geld würde er nicht darauf setzen.

Er ließ sich wieder auf den Rücken fallen und wurde etwas nachdenklich. Der Verlauf der vergangenen Monate war – nunja, unerwartet. Es hatte als ein Zeitvertreib begonnen, Unterhaltung und Spaß. Aber dann musste er feststellen dass du nicht nur eine kurze Bettgeschichte warst, keine Beute und er war auch nicht der große böse Wolf. Er war der Idiot der das ganze nicht sofort beendet hatte. Ganz dummer Fehler, hielt er sich selbst vor und seufzte. Denn jetzt war es zu spät einfach einen Schlussstrich zu ziehen und sich wieder um seinen eigenen Kram zu kümmern.
Er hatte schon einige Frauen gehabt, war natürlich auch verliebt gewesen und trotzdem war er blindlings wieder in diese Situation hinein gerannt. Man sollte meinen er wäre noch immer zwanzig Jahre alt, denn so benahm er sich wenn er in deiner Nähe war.
Natürlich war er ruppig dir gegenüber, was denn auch sonst? Beziehungen waren überhaupt nicht sein Ding und er wollte es auch nicht dazu machen. Beziehungen bedeuteten Kompromisse, Auseinandersetzungen und Schwäche. Du warst seine Schwäche geworden. Andernfalls hätte er wohl kaum ein halbes Jahr damit verbracht dich zu suchen und zu befreien. Eine ziemliche Zeitverschwendung, aber immerhin ging es dabei um dich.
Ihm wären fast die fünf Herzen stehen geblieben als er dich befreite. Zitternd, weinend und von diesem widerlichen Mafioso beinahe auseinander genommen. Wenn er nur daran dachte wurde er wütend.
Noch dazu benahmst du dich seitdem sehr seltsam. Er wusste was mit dir los war, dass es dich traumatisiert hatte und du diesen Fakt nicht wahr haben wolltest. Jede Nacht, wenn du Albträume hattest lag er wach und beobachtete dich besorgt. Er konnte nichts dagegen tun – alles was in seiner Macht stand war an deiner Seite zu bleiben bis sich die Wogen geglättet hatten. Du mimtest die starke junge Frau, die vor nichts Angst hatte.
Bullshit.
Er sah doch wie du unter seinen Berührungen zusammenzucktest, wie du immer öfter nach hinten schautest wenn ihr unterwegs wart. Dass du weintest wenn du dachtest er würde es nicht bemerken. Er sah alles und es brach ihm beinahe das Herz.
Dummes Mädchen, dachte er und seufzte schwer. Natürlich liebte er dich! Doch wie sollte das denn ablaufen? Ein Happy End mit Haus, Garten und Kindern? Die Chancen dafür standen wohl eher schlecht. Wie sollte das funktionieren mit ihm und mit dir – vor allem mit ihm. Beziehungsfähig zu sein war nicht unbedingt eine seiner Stärken und um das war er sich bewusst. Er war ein Mörder – verdammt nochmal sehr viel älter als du – und hatte nicht viel übrig für Turteleien und Romantik.
Aber er wollte dich auch nicht aufgeben, hatte sich an dich gewöhnt und genoss deine Nähe, auch wenn du manchmal wie ein Wasserfall reden konntest.
Du hattest so eine Ausdauer an den Tag gelegt, hattest nicht aufgegeben und an ihm festgehalten. Er respektierte dein Durchhaltevermögen sehr und das bewegte ihn auch dazu es nicht zu beenden. Sein Nein hattest du wirklich in ein Ja verwandelt – er wollte es versuchen, auch wenn alles gegen euch sprach. 


Er gähnte und setzte sich auf. Genug gegrübelt.

Für heute hatte er sich etwas besonderes einfallen lassen. Nachdem es dir in der letzten Nacht so schlecht ging wollte er, entgegen seiner Gewohnheiten, den Tag mit dir im Bett verbringen. Wenn du wieder da warst vom einkaufen.
Er sah auf die Uhr an der Wand und runzelte die Stirn. War es wirklich schon zehn Uhr? Er konnte sich gar nicht daran erinnern wann er das letzte mal so lange geschlafen hatte. Das war Jahre, wenn nicht sogar schon ein Jahrzehnt her. Außerdem – du konntest ja wohl kaum 5 Stunden lang einkaufen sein.
Er stand auf, zog sich an und griff gerade nach seiner Maske, als ihm ein Knistern in seiner Hosentasche auffiel. Er zog einen kleinen Zettel heraus und entfaltete ihn. Er erkannte die Notiz als die wieder, die er dir damals in Shuns Gegenwart zugesteckt hatte. Er lächelte leicht, drehte das Papier um und las deine Nachricht.
Sein Lächeln gefror. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und hielt den Atem an, während er versuchte den Schmerz in seiner Brust niederzuringen.


'Tut mir leid.',


Du warst weg.  

Big Bad WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt