Er, dessen Name nicht genannt werden darf

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Nicht einmal in meinen schlimmsten Träumen hatte ich mir Cedrics Tod ausmalen können.
Er gehörte zu mir, es gab kein Leben, was ich mir ohne ihn vorstellen konnte.
Und doch war ich hier und er nicht. Warum spürte ich keine Trauer?
Oder Wut?
Oder irgendetwas?
In mir war nichts als eine endlose Leere. Es fühlte sich an als hätte jemand meine gesamte Lebensfreude ausgesaugt.
Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn ich weinen könnte.
Doch ich saß einfach nur da und guckte in die leeren Augen meines Bruders.

"Emma?"
Dieses Mal reagierte ich.
Professor Sprout stand vor mir. Beinahe hätte ich sie nicht erkannt. Wie sehr die Trauer Menschen verändern konnte.
"Professor Dumbledore möchte mit dir und deinem Vater sprechen."
"Ich gehe hier nicht weg."
Es waren die ersten Worte nach seinem Tod.
"Ich kann ihn doch nicht alleine lassen", flüsterte ich.
Ein kleines Lächeln breitete sich auf Sprouts Gesicht aus.
"Cedric war niemals alleine und wird es auch niemals sein. Ich werde auf ihn aufpassen und Miss Chang ist ebenfalls hier."
Trotzdem fiel es mir nicht leicht zu gehen. In Gedanken war ich immer noch bei seinen leeren Augen als ich meinen Vater in das Schloss folgte.

Ich war das erste Mal in Dumbledores Büro. Unter anderen Umständen hätte ich es sicherlich gemocht und wäre fasziniert von all den interessanten Gegenständen gewesen.
Nicht einmal der Phönix konnte mein Interesse auf sich ziehen.
Dumbledore zeichnete zwei Stühle für uns, damit wir gegenüber von ihm Platz nehmen konnten.
Er schien genau zu wissen, was er sagen musste. Es waren aufrichtige und ehrliche Worte.
"Cedric ist wahrlich ein guter Junge gewesen. Loyal, mutig und er hatte immer ein offenes Ohr für seine Freunde und Familie. Gerade deshalb möchte ich erklären, warum er sterben musste."
Mein Vater schluchzte leise.
"Cedric ist Opfer eines Verbrechens geworden. Der Pokal war ein Portschlüssel. Cedric und Harry wurden an einen Ort gebracht, wo Lord Voldemort seinen Körper zurückerlangen konnte. Er war es, der Cedric ermordet hat."
Meine Armhaare stellten sich bei der Geschichte auf.
"Du-weißt-schon-wer ist zurück?"
"Leider muss ich diese Frage mit einem ja beantworten.
Ein Todesser hat es geschafft den Pokal in einen Portschlüssel zu verwandeln. Cedric und Harry waren die ersten, die ihn erreicht haben...
Mir war es wichtig, das ihr versteht. Nur so kann man über einen schlimmen Verlust hinwegkommen."
Er schien nicht ganz bei der Sache zu sein.

"Ich würde dann noch gerne mit Emma unter vier Augen sprechen", brach Dumbledore das Schweigen. Mein Vater nickte und verließ den Raum.
Was genau wollte der Professor bloß von mir?
Scheinbar schien er das selber nicht so genau zu wissen, denn er blickte für einige Minuten stumm seinen Phönix an.
"Ähm... Professor Dumbledore?"
"Ach, entschuldige bitte, Emma. Diese ganzen Geschehnisse bringen mich zum Grübeln."
Ich wusste nicht was ich darauf antworten sollte.
"Du wirst vermutlich auch viel Zeit zum Nachdenken brauchen. Möchtest du denn nach den Sommerferien überhaupt nach Hogwarts zurückkehren? Es braucht viel Zeit den Tod eines geliebten Menschen zu verdauen. Vielleicht möchtest du erst in einem Jahr wieder zur Schule gehen?"
In Dumbledores Augen sah ich Schmerz. Er musste auch eine geliebte Person verloren haben. Oder mehrere, bei seinem Alter...
Er sah nicht so aus als wäre er je über den Tod dieser Menschen hinweggekommen, aber war das überhaupt möglich?
"Sie meinen ich könnte das nächste Schuljahr aussetzen?"
"Genau, allerdings wärst du dann in einem jüngeren Jahrgang."
Zunächst hatte ich zustimmen wollen. Ich konnte mir nicht vorstellen je wieder zur Schule zu gehen. Ohne Cedric...
Allerdings wäre das nächste Schuljahr ohnehin sein letztes gewesen.
Und könnte ich meinen Freunden bei ihrem Abschluss zusehen, mit dem Wissen ein Jahr ohne sie auskommen zu müssen?
"Ich denke es ist das beste, wenn ich meinen Alltag fortsetze. Cedric hätte nicht gewollt, das wir seinetwegen aufhören zu Leben", sagte ich entschlossen.
Dumbledore schmunzelte leicht.
"Ich denke das ist die richtige Entscheidung. Du kannst die Ablenkung gut gebrauchen und deine Freunde werden dir helfen, da bin ich mir sicher.
Da wäre nur noch eine Frage. Professor Sprout und ich wollten dich eigentlich zur Vertrauensschülerin von Hufflepuff machen. Wärst du bereit dazu?"
Vertrauensschülerin, so wie Cedric.
Doch wie sollte ich so viel Verantwortung übernehmen, wenn ich so lange darüber nachdenken musste, ob ich überhaupt nach Hogwarts zurückkehre?
Ich würde im nächsten Jahr viel Zeit für mich benötigen und das wäre als Vertrauensschülerin nicht möglich.
"Nein, das kann ich nicht."
"Das verstehe ich natürlich."
Und das tat er tatsächlich.
"Gibt es sonst noch etwas?"
Es gab so vieles, was ich ihn fragen wollte. Und doch brachte ich keine dieser Fragen über die Lippen. Ich wusste, dass Dumbledore die Antworten kannte, doch es gab Dinge, die musste man selber herausfinden.
Ich war gerade an der Tür, da fiel mir etwas ein.
"Professor?", fragte ich. "Wäre er Schulsprecher geworden?"
Dumbledore nickte.
"Danke, Sir."

Meine Füße trugen mich bis zum Astronomieturm.
Ich wollte niemanden sehen, niemanden sprechen.
Der Ausblick vom Turm war fantastisch. Außerhalb des Unterrichts machte sich selten jemand sie Mühe hier hoch zu kommen.
Es war der perfekte Ort um in Ruhe nachzudenken.
War es nicht merkwürdig, dass man jemanden erst so richtig schätzen lernte, wenn derjenige nicht mehr bei einem war? Mit wem sollte ich denn jetzt Quidditch spielen? Nächtliche Gespräche auf unserem Dach führen? Im See schwimmen gehen?
Ich hatte so viele Erinnerungen an Cedric. Wir hatten so viele Sachen erlebt. Und er wäre tatsächlich Schulsprecher geworden, so wie er es sich immer gewünscht hatte.
Warum hatte mich niemand darauf vorbereitet, dass er so früh gehen musste?
Warum hatte ihn niemand darauf vorbereitet?
Nie wieder würde ich mich darüber aufregen können, dass er Stunden im Bad brauchte oder meine Schokofrösche aß.
Nie wieder würde er mich mit dem Abwasch nerven.
Nie wieder würde er meine Eule ärgern.
Dass ich ausgerechnet diese Dinge einmal vermissen würde, hätte ich nie gedacht.
Das alles war so unreal.
Wie ein Traum.
Doch es war kein Traum.
Cedric war wirklich tot und diese Erkenntnis ließ mich zusammenzucken.
Es war eine Erleichterung als die Tränen endlich kamen.

The Story of a HufflepuffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt