Kapitel 8

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Sicht Candy

"Ich kann ihnen nur helfen, wenn sie mit mir reden", redete die Ärztin auf mich ein. Doch als Antwort zog ich die Kapuze tiefer in mein Gesicht und zog meine Beine noch näher an mich. Es sind ungefähr zwei Wochen vergangen, seit der Mann Markus umgebracht hatte. Seitdem versank ich in Selbstzweifel und Isolation. Ich ließ niemanden an mich heran, zu groß war die Angst, dass ich wieder fallen gelassen werde. Erst Manu, dann Markus. Hatte ich jemals Glück im Leben?

Ich gab mir ständig die Schuld daran, dass Markus tot war. Wäre ich damals einfach weggelaufen und nicht zum Busch hingegangen, hätte der Mann mich nicht gesehen und all das wäre nicht passiert. Es gab so viele Möglichkeiten, wie ich das alles hätte verhindern können, aber man konnte die Zeit nun mal nicht zurückdrehen. Nur wegen meiner Dummheit und Naivität war Markus nicht mehr hier und meine Welt wäre nicht zerstört. Manchmal wünschte ich mir einfach, der Mann würde plötzlich wieder auftauchen und mich töten, dann wäre ich endlich wieder bei Markus...

"Ich verstehe ja, dass sie Zeit brauchen. Aber wenn sie nicht mit mir sprechen, kann ich ihnen nicht helfen", riss die Ärztin mich aus meinen Gedanken. Wieso war ich noch gleich zur Therapie gekommen? Ach ja richtig. Wegen den Medikamenten. Eigentlich wollte ich nur, dass man mich in Ruhe ließ. Ich drehte den Kopf zur Seite und sah aus dem Fenster. Wolken bedeckten den Himmel und nur hin und wieder schien die Sonne hell durch die Wolkendecke.

Verzweifelt atmete die Therapeutin auf. "Nun gut, hier ist das Rezept, mit dem sie ihre Medikamente bekommen. Wir sehen uns in einer Woche wieder." Mit diesen Worten entließ sie mich und hielt mir einen Zettel hin. "Die Medikamente nur einmal pro Tag nehmen", sagte sie noch, doch ich war bereits aus dem Zimmer herausgegangen.

Endlich wieder Medizin. Ohne das Rezept der Ärztin rückte der Apotheker die Medikamente nicht heraus und mein wöchentlicher Vorrat war meistens nach zwei Tagen aufgebraucht. Ich ging an der Rezeption vorbei und verließ das Gebäude. Es war keine direkte Psychatrie aber eine Klinik, in der Menschen behandelt wurden, die ein traumatisches Ereignis erlebt hatten. Ich besuchte die Klinik erst zum zweiten Mal, aber ich war einmal bei einer Zusammenkunft, wo einige traumatisierte Menschen zusammenkamen und über ihre Ereignisse berichten. Es war von allen etwas dabei. Häusliche Gewalt, Vergewaltigung, versuchter Mord, Entführung oder auch Prostitution. Früher hab ich solche Berichte nur in der Zeitung gelesen oder bei den Nachrichten gesehen aber jetzt selbst ein Teil dieser gebrochenen Leute zu sein, sowas hätte ich mir nie vorstellen können. Es gab viel zu viele unerzählte Geschichten und kaputte Menschen, von denen noch nie jemand etwas gehört hatte.

Ich ging den Weg entlang nach Hause. Mittlerweile vergingen dicke, dunkle Wolken den Himmel. Gedankenversunken ging ich über eine Brücke. Da spürte ich etwas Nasses auf meiner Wange. Zuerst hatte ich gedacht, es hätte angefangen zu reden und es wäre ein Regentropfen, doch dann bemerkte ich, dass es Tränen waren. Mitten auf der Brücke brach ich zusammen. Ich konnte nicht mehr, wollte nicht mehr. Viel zu lange hatte ich versucht, den Schmerz zu vergessen, der eigentlich allgegenwärtig war. Schluchzend glitt mein Blick zum Geländer der Brücke. Und mit einem Mal wusste ich, was ich tun musste.

Visionen - Ewiger Fluch [FreedomFF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt