16. Undertaker

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♪ Nothing Else Matters – Metallica


H E A T H E R


Der kurze Moment der Stille, der sich ausbreitete, nachdem Anni ihren Beruf preisgab, währte nicht lange. Louis war der Erste, der seine Sprache wiederfand und das kundtat, was vermutlich alle dachten.

„Du bringst also Leute unter die Erde?"

Beinahe verschluckte ich mich an meinem Getränk, während ich aus dem Augenwinkel das amüsierte Glimmen in Annis blauen Augen wahrnahm

„Nee, das machen die Totengräber. Als Bestatter bist du für andere Dinge zuständig. Neben dem ganzen schriftlichen Kram und Betreuung der Angehörigen, schminke ich auch die Leichen, falls das gewünscht wird."

Neben mir wurde Niall etwas blass um die Nase und auch Liam wirkte nicht sehr gesund. Sein Gesicht wies einen leichten grünlichen Schimmer auf.

„Leichen schminken, ist das nicht eklig?", stieß er hervor und schüttelte sich.

„Wenn man es gewöhnt ist, dann nicht", meinte Anni ruhig und stopfte sich eine der Pralinen in den Mund, die in einem kleinen Glasschälchen lagen, das auf dem Tisch stand.

Ganz langsam versuchte ich zu verinnerlichen, was Anni uns gerade mitteilte. Leichen schminken war nicht eklig, nicht, wenn man es als Job betrachtete, der Geld einbrachte. Nicht, wenn man es gewöhnt war.

„Du hast meinen vollen Respekt", sprach ich meinen Gedanken laut aus, wobei Eleanor diesen wohl teilte. „Das wollte ich auch gerade sagen. Hut ab vor deinem Job."

Es entwickelte sich ein intensives Gespräch, bei dem die Jungs Anni Löcher in den Bauch fragten. Wie lange es dauern würde, eine Leiche zu schminken und welches die größte Herausforderung gewesen sei, der sie in diesem Zusammenhang jemals gegenüber stand.

Geduldig beantwortete Anni die Fragen, erzählte, dass ein älterer Herr, ein Lord, geschminkt werden sollte, da die Angehörigen einen offenen Sarg mit Blick auf den Toten wünschten. Mich gruselte es bei dieser Vorstellung, schon alleine deshalb, weil ich dabei an meinen Vater dachte. Ihn nochmals zu sehen, bevor man ihn bestattete, darauf hatte ich gut verzichten können und der Rest meiner Familie Gott sei Dank ebenfalls.

„Heather, ist alles okay mit dir?", flüsterte Niall mir leise zu. Seine blauen Augen blickten zu mir, das Sorgenvolle in ihnen war leicht zu erkennen. Dass Niall sensibel war hatte ich mittlerweile gelernt und deshalb überraschte mich seine Frage nicht allzu sehr. Wir hatten diesen Draht zueinander, wenn es um unsere Väter ging.

„Es geht, ich müsste mal kurz an die frische Luft", wisperte ich zurück und kaum eine Sekunde später erhob er sich, griff nach meiner Hand und verkündete: „Heather und ich gehen mal kurz frische Luft schnappen, wenn es recht ist."

Anschließend führte er mich auf die große, von Blumenkübeln umsäumte Terrasse. Niall ließ meine Hand nicht los, auch nicht, als wir alleine draußen standen und die kühle Nachtluft einatmeten. Es roch nach Gras und Blüten, einer Mischung, der ich sofort verfiel und die sich in meinen Sinnen ausbreitete.

Genießerisch schloss ich die Augen, spürte dabei noch immer Nialls Finger, die sich mit meinen fast schon spielerisch verflochten. Seltsamerweise störte es mich nicht, denn es handelte sich dabei um eine Geste des Verstehens.

„Geht es dir gut?" Seine Stimme vermischte sich mit dem leisen Wind, der um unsere Nasen wehte.

„Ja, es geht mit gut. Danke für deine Fürsorge", erwiderte ich und drückte leicht seine Hand.

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