My Nightingale

1.

Fotografieren war immer meine Leidenschaft gewesen. Schon als kleines Kind hab ich alles mit der meiner Kinderkamera eingefangen, was mir vor die Linse kam. Und das hat sich bis heute nicht geändert.

Heute bin ich 23 und habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Nicht nur das ich mich eine professionelle Fotografin nennen darf, ich hab sogar das Glück auf Tour mit meinem großen Bruder Class gehen zu dürfen. Er spielt Bass in der Band Lord Of The Lost und seit Anfang an hat er mich immer mitgenommen.
Am Anfang habe ich nur zum Vergnügen Fotos gemacht, nun ist es meine Arbeit. Besser kann es doch eigentlich gar nicht sein!

Mein Bruder und ich hatten schon immer einer sehr enges Verhältnis gehabt. Er war einfach mein bester Freund, dem ich alles anvertrauen konnte. Wir hatten keinerlei Geheimnisse voreinander.

Gerade war ich auf dem Weg zum Studio der Jungs, ich habe ein paar Bilder vom letzten Konzert entwickeln lassen und Chris hat mich gefragt, ob sie sie vielleicht ins Studio hängen könnten. Und natürlich konnte ich da nicht Nein sagen.
Ich bog gerade in der Hinterhof des Studios ein. Ich kannte mich hier so gut aus und hatte kein Problem, die Jungs zu finden. Sie alle saßen in ihrem „Chill-Zimmer", dort hielten sie sich meistens auf, wenn sie nicht gerade probten, oder etwas aufnahmen.

„Hey Jungs!", rief ich. Gerade waren nur Chris, Gared und Class da. „Hey Ally!", rief Gared, der mit als erstes entgegenkam und mich umarmte. Ich würde mich wohl nie daran gewöhnen, wie groß er ist. Ich wank Chris zur Begrüßung zu und ließ mich neben Class auf das Sofa fallen. „Bitteschön! Frisch gedruckt, nur für euch.", lachte ich, als ich den Umschlag mit den Bildern auf den Tisch legte. Die drei schauten sie sich genau an und lobten mich für meine Arbeit. Keine Ahnung wir lange ich nich da saß und mit ihnen quatschte bis ich mich verabschiedete.

Ich schnappte mir meinen Kaffee, den ich auf den Tisch gestellt hatte als ich kam und ging. Ich holte mein Handy aus meiner Tasche und rief meinen Freund Noah an. Wir waren jetzt seit ungefähr 3 Jahren zusammen. Wenn man uns so sehen würde, würden wahrscheinlich nur wenige denken, dass wir ein Paar wären. Noah war kein ‚Goth', so wie ich. Er verstand diese ganze Sache nicht und hielt sich davon regelrecht fern. Doch trotzdem funktionierte es. Ich war glücklich mit ihm.

„Hey Noah. Ich komm dann gleich vorbei, dann können wir zusammen Mittag essen gehen.", sagte ich.
„Okay, ich warte dann auf dich.", hörte ich ihn am anderen Ende.
„Super, bis gleich. Ich liebe dich."
„Ja, tschau.", sagte er und legte auf.

Ich verstaute mein Handy wieder in meiner Tasche und suchte nach meinem Autoschlüssel. Ich ging gerade um eine Ecke ging stieß ich mit jemanden zusammen. Und zwar so heftig das mein ganzer Kaffee auf meinem T-Shirt landete. „Kannst du nicht aufpassen?!", schrie ich den Typen an, der vor mir stand.

Er war ein bisschen größer als ich. Seine braunen Haare waren perfekt gestylt, er trug eine Sonnenbrille und eine schwarze Lederjacke. Ich schätze, er war ungefähr im gleichen Alter wie ich.

„Tut mir echt leid.", sagte er. Ich verdrehte die nur Augen. Daraufhin lachte er kurz und sagte dann: „Tja, ich schätze man sollte einfach beim Laufen nach vorne schauen.".
„Wie bitte?", vollkommen entsetzt starrte ich ihn an. Er wiederum grinste nur blöd, zuckte lässig mit den Schultern und sagte: „Man sieht sich.". Und mit diesen Worten dreht sich der Typ um und ging.
„Arschloch...", murmelte ich und machte mich auf den Weg zu meinem Auto.

Ich schrieb Noah eine Nachricht, dass ich es nicht pünktlich schaffen würde und erklärte ihm, was passiert war. Ihn schien das nicht zu stören. Ich fuhr also nach Hause und zog mich um, bevor ich mich auf den Weg zu meinem Mittagessen mit Noah machte. Und je länger der Tag ging, desto weniger wurde meine Wut auf diesen komischen Typen, der eins meiner Lieblingsshirts ruiniert hatte...

Am nächsten Tag bekam ich eine Nachricht von Class. Heute Abend würden sich alle, sprich die Band und die Crew, treffen, um dass neue Mitglied zu begrüßen. Ich wusste sie suchten einen Gitarristen, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie so schnell einen finden würden. Und dadurch, dass ich ja Class' Schwester war und auch irgendwie zur Crew gehörte, war es doch selbstverständlich, dass ich mitkam.
Ich hatte Noah gefragt, ob er mitkommen will, doch er lehnte ab. Er würde zu einem Kollegen gehen und etwas für das neue Projekt in der Firma sprechen.

Ich machte mich am Abend also fertig und fuhr zu einer Kneipe im Zentrum Hamburgs. Dort gingen wir eigentlich ziemlich häufig hin, deswegen kenne ich den Weg dahin schon im Schlaf.
Dort angekommen blickte ich mich um. Ich sah meinen Bruder vor dem Eingang stehen. „Na Schwesterherz?", sagte er und nahm mich in den Arm. „Hallo Bruderherz.", lachte ich.
„Das ging ja ziemlich schnell, dass ihr einen Gitarristen gefunden habt!", sagte ich und folgte ihm nach drinnen.

Es dauerte nicht lange und ich erkannte die altbekannten Gesichter. Es waren noch nicht alle da, doch ich konnte das neue Bandmitglied noch nirgends sehen. Ich fing an alle zu begrüßen. „Hey Ally, ich will dir jemanden vorstellen.", sagte Class und zog mich mit sich. „Ally, das ist Pi."

In dem Moment, als sich der Typ umdrehte verschwand mein Lächeln. Ach du scheiße. Das konnte doch jetzt nicht sein Ernst sein!
Vor mir stand niemand anderes als das Kaffee verschüttende Arschloch von gestern!

„Du?", war das Einzige, was ich aus meinem Mund bekam.
Er lächelte mich nur an und sagte: „So sieht man sich wieder."