Meine Eltern blieben noch übers Wochenende. Wir machten eine kleine Sightseeingtour durch die Stadt, nahmen sie mit zu unseren Lieblingscafé und schauten uns sogar ein Musical an, da meine Mama das schon immer mal sehen wollte.
Als Class und ich sie Montag morgen zum Bahnhof brachten, fiel mir der Abschied schwerer als gedacht. Ich gab erst meinem Papa eine lange Umarmung. Als ich Mama dann in die Arme nahm flüsterte sie mir etwas ins Ohr: „Mach's gut mein Schatz. Und du solltest vielleicht mal mit Pi reden. Ich glaub er hat dich gern.".
Wenn du wüsstest Mama, wenn du wüsstest...Nächste Woche begann die UK-Tour. Die Proben dafür liefen jeden Tag. Ja, selbst nach einer kompletten Deutschlandtour probte die Band.
Wir saßen am Dienstag gerade alle beisammen, als Nik plötzlich nervös neben mir auf seinem Stuhl herumzappelte. „Was ist los?", fragte ich.
„Leute ich muss euch was sagen!", begann er. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Er stand auf und rieb sich seine Hände. „Ich hab Claudia einen Antrag gemacht.", verkündete er. Sofort sprangen alle auf und gingen auf ihn zu. „Ich gratuliere euch!", sagte ich und gab ihm eine Umarmung, als ich an der Reihe war.
„Danke euch!", sagte Nik und strahlte nun übers ganze Gesicht. Wir redeten noch ein bisschen über die Verlobung und die bevorstehende Hochzeit, die schon nächsten Monat stattfinden würde! Nik's Freundin, oder besser gesagt Verlobte, kannte jemanden, der ein kleines Hotel außerhalb der Stadt leitete, wo öfters größere Veranstaltungen, wie zum Beispiel eine Hochzeit gefeiert wurde. Also war die Location schon mal sicher.Am Donnerstag kam ich gerade vom Bummeln nach Hause. Da rief mich Linus an. Es ging um ein paar Bilder, die er von mir haben wollte. Ich schloss die Wohnungstür auf. „Ja klar, die Bilder schick ich dir später noch...Okay...Ja, bis später Linus.", sagte ich und legte auf. Ich legte meine Tasche ab und hing meine Jacke an den Hacken. Im Wohnzimmer sah ich meinen Bruder auf dem Sofa sitzen. „Oh hey Class.", sagte ich lächelnd. Doch er blieb ruhig und starrte nach unten. „Alles klar?", fragte ich. Sonst kam er mir immer gleich entgegen und begrüßte mich strahlend. Doch heute tat er das nicht, was war denn los mit ihm?
„Willst du dazu etwas sagen?", sagte er nachdem er hörbar einatmete. Er hielt mir etwas entgegen. Ich erstarrte. Er hielt ein Foto hoch. Und zwar nicht irgendein Foto. Sondern ein Foto, aufgenommen mit der Polaroidkamera, die mir Pi zum Geburtstag bekommen hatte. Und auf dem Foto sah man mich in die Kamera lächeln und Pi, der mir gerade einen Kuss auf die Wange gab. Eindeutig zu erkennen...
„Ich kann das erklären.", sagte ich, doch es klang mehr wie ein Flüstern. Hier war er also. Der Moment der Wahrheit...und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte mir das hier immer wieder durch den Kopf gehen lassen. Was ich sagen könnte, um es ihm zu erklären. Doch jetzt wo es soweit war, waren alle Dinge wie weggeblasen.
„Na da bin ich aber mal gespannt!", sagte Class und klang dabei echt sauer. Das erste Mal sah er mich an. Ich erschrak vor diesem Blick. Das hier war nicht mein liebevoller Bruder.
Ich setzte mich zögerlich ans andere Ende des Sofas. Meine Hände zitterten.
„Es ist einfach so passiert, Class...", begann ich.
„Wann?", wollte er wissen. Ich sah zu Boden. „Vor der Tour.", gab ich zu.„Vor der Tour?! Das heißt ihr habt mich seit Wochen angelogen und verarscht?", rief er empört. Das war der Moment, der mich brach. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten.
Class stand auf und ging langsam im Zimmer auf und ab. „Wer weiß noch von euch?", fragte er. Ich sah zu ihm. Er hatte die Lippen zusammen gekniffen und sah mit einem verletzten Gesichtsausdruck auf mich herab.Ich zögerte. „Sag's mir Ally!", hob er seine Stimme. Ich zuckte leicht zusammen. Ich musste es ihm sagen, auch wenn es ihm nicht gefallen würde. „Lilith, dann noch Chris. Und...", immer mehr Tränen liefen über meine Wangen. „Und?", hakte er nach. Ich atmete einmal tief ein und aus, bevor ich es aussprach. „Kira."
Ich sah zu ihm, er schien fast zu platzen. „Bitte Class, gib ihr nicht die Schuld dafür! Ich hab sie gebeten nichts zu sagen. Ja, ich habe sie regelrecht angefleht! Ich wollte es dir selber sagen! Du hast es verdient es von mir zu erfahren!", schluchzte ich. Ich wollte Kira nicht noch mehr in die Sache mit reinziehen, als ohnehin schon.
„Und wann wolltest du mir das sagen?!", fragte er. „Wir hatten vor, es dir vor der UK-Tour zu sagen, glaub mir.", antwortete ich ruhig.
Er schnaubte und schüttelte mit dem Kopf.
„Ach wirklich? Na da bin ich ja erleichtert!", sagte er sarkastisch und lachte kurz auf. „Ja, klar, doch Ally!"
Es herrschte kurz Stille zwischen uns. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Ich dachte wir erzählen uns alles! Was ist daraus geworden? Vertraust du mir jetzt plötzlich so wenig?", fragte er. Neue Tränen rollten mir über die Wangen. Ich kniff die Augen zusammen und vergrub mein Gesicht in den Händen. Dann sagte ich: „Natürlich tu ich das!".
„Anscheinend nicht so sehr wie ich immer dachte. Sonst hättest du mir gesagt, dass du was mit meinem Bandkollegen, Mitbewohner und besten Freund hast!", er war richtig sauer, das hörte man.Plötzlich wurden wir beide vom Öffnen der Wohnungstür unterbrochen. „Hey, jemand da?", hörte ich Pi's Stimme. Ich schloss für einen Moment die Augen. Oh nein, bitte nicht...
Er schaute ins Wohnzimmer. Als er mich sah, völlig verheult auf dem Sofa sitzend und dann zu Class' wütendem Gesicht blickte, konnte man sehen, dass er verstand was hier abging.„Du!", sagte Class mit wütendem Unterton und zeigte auf Pi. Ich sprang auf und stellte mich zwischen die beiden. Bei Class' Laune wusste ich wirklich nicht, wie weit er womöglich gehen würde. Er blieb zwar stehen, doch warf Pi einem vernichteten Blick zu. „Du Arschloch! Was fällt dir ein meine Schwester zu vögeln und zu denken, ich krieg das nicht raus!?", rief er. „Ich dachte du wärst mein bester Freund!", sagte er noch dazu, dieses Mal klang er zwar ruhiger, aber auch gebrochener.
„Hör zu Class, es tut mir leid, ich hatte wirklich nicht vor, mich in Ally zu verlieben, aber doch ist es passiert.", sagte Pi. Class riss die Augen auf und sah ungläubig zwischen uns beiden hin und her. Pi's Aussage hatte er wohl nicht erwartet.
Ich sah zu Pi, ging auf ihn zu und nahm seine Hand. „Ich liebe ihn, Class.", sagte ich zu meinem Bruder.„Ach komm schon Ally! Du hast doch gar keine Ahnung von der Liebe! Du hattest bis jetzt erste eine richtige Beziehung und schau mal, wie die verlaufen ist! Also tu jetzt nicht so, als würdest du auch nur das Geringste über Liebe wissen!"
Das versetze mir einen Stich. Diese eine Aussage fühlte sich an, wie ein Tritt in den Bauch. Oder ein Schlag ins Gesicht. Oder vielleicht auch alles zusammen. Es tat so unheimlich weh.
„Hey, komm mal wieder runter.", sagte Pi und stellte sich vor mich. „Du hast mir hier gar nichts zu sagen, du Arsch!", schnauzte Class Pi an.Dann sah er mich an. Ich konnte sehen, dass ihm schon fast Tränen in den Augen standen. „Ich glaub nicht, dass ich dir das verzeihen kann, Ally."
Mit diesen Worten ging er an mir und Pi vorbei und verließ die Wohnung.Wie in Schockstarre konnte ich nicht realisieren, was gerade passiert war. „Ally?", fragte Pi leise.
Erst jetzt traf es mich. Class war weg. Er war fort. Aber das konnte doch nicht sein. Mein Gehirn wollte das nicht begreifen. Ich schüttelte den Kopf.
„Nein. Nein. Nein.", sagte ich immer wieder leise. Plötzlich machte sich eine Mischung aus Wut und Traurigkeit in mir breit. Ich konnte es nicht beschreiben. Ich atmete schwer. Mein Körper fing an zu zittern. Mir war plötzlich heiß, dann wieder kalt.„Komm her.", sagte Pi und nahm mich in den Arm. Ich versuchte ihn von mir zu stoßen, doch er hielt mich weiterhin fest. „Ganz ruhig, Ally. Bitte beruhig dich.", flüsterte er.
Seine Stimme drang in meinen Kopf. Und dann schließlich brach der Damm. Ich realisierte, dass seine Arme mich hielten und seine Hand langsam meinen Rücken auf und ab strich. Ich merkte, wie meine Beine schwach wurden.
Und dann erwachte ich aus dieser seltsamen Schockstarre und fing an, laut zu schluchzen. Ich ließ alles raus, was sich in dieser kurzen Zeit angestaut hatte...Mehrere Stunden später hatte ich schließlich aufgehört zu weinen, meine Augen taten mir weh und ich fühlte mich vollkommen ausgetrocknet. Irgendwie fühlte ich jetzt gerade gar nichts mehr außer Leere.
Ich starrte an die Wand und dachte an die Geschehnisse heute. Immer und immer wieder.Ich glaub nicht, dass ich dir das verzeihen kann, Ally.
Ich glaub nicht, dass ich dir das verzeihen kann, Ally.
Ich glaub nicht, dass ich dir das verzeihen kann, Ally.Seine Worte hallten im Endlosschleife durch meinen Kopf.
„Komm schon Ally, leg dich etwas hin. Du brauchst Ruhe.", sagte Pi ruhig zu mir und holte mich zurück in die Realität. War es wirklich schon so spät? Ein Blick zum Fenster verriet mir, dass es schon dunkel war.
Ich hatte seit Ewigkeiten kein Wort mehr von mir gegeben. Ich hatte dafür keine Kraft mehr. Also nickte ich nur.Er brachte mich in sein Schlafzimmer und ich legte mich ins Bett. Pi strich mir sanft über meine Wange, als er so neben mir saß. „Versuch etwas zu schlafen, okay?", sagte er leise. Wieder gab ich nur ein Nicken von mir.
Als er aufstehen und gehen wollte, ergriff ich seine Hand. „Nein, bitte bleib hier.", sagte ich, als ich plötzlich meine Stimme wiederfand. Hätte ich noch Tränen in mir gehabt, dann hätte ich wohl wieder angefangen zu weinen.
Er nickte und legte sich neben mich. Er schlang seinen Arm um mich. Ich wollte jetzt nicht allein sein, und zu wissen, dass er hier war tat mir gut. Ich spürte seine Wärme und sein Herzschlag zu spüren beruhigte mich.„Es wird alles wieder gut. Ich versprech's dir.", sagte er. Und schließlich fielen meine Augen zu und ich schlief ein.
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My Nightingale
FanfictionAlly ist nicht nur die Tour-Fotografin von Lord Of The Lost, sondern auch die kleine Schwester von Class. Eigentlich könnte ihr Leben nicht besser laufen...zumindest bis ein neuer Gitarrist in der Band aufgenommen wird und Ally's Welt ziemlich auf...