My Nightingale

12.

Tour-Tag 1: Erfurt

Der erste Tag der Tour. Ich würde nicht sagen, dass ich schon mehrere Nächte nicht geschlafen hätte, denn so war es nicht. Eigentlich kann man sagen, dass ich eine der Ruhigsten in der Crew war. Ich kann es ihnen natürlich nicht verübeln. Alle wollten das die Tour perfekt wird, da war es klar, dass jeder etwas unter Druck und unter Stress stand.

Gerade waren wir im Nightliner, auf dem Weg nach Erfurt. Ich saß in der Sitzecke und hörte Musik. Der Rest hatte sich hingelegt oder sich irgendwo einen Platz gesucht, in denen man sich irgendwie ausruhen konnte. Es war wie die Ruhe vor dem Sturm.

Kurz nach 9 Uhr morgens kamen wir an der Halle an. Ich war hier schon einmal. Sie war ziemlich groß und die Akustik war auch gut.
Erst einmal frühstückten wir etwas. Wir saßen in einem der für uns bereit gestellten Räume und ließen es uns richtig schmecken. Alle waren schon fast fertig, doch mir fiel auf das Pi noch nicht einmal aufgetaucht war. "Wo ist denn der kleine Pi?" , fragte Gared. Ich zuckte mit den Schultern und lächelte kurz bei diesem Spitznamen. Ich stand auf ging langsam in Richtung Tür. "Hey Ally, wo willst du hin?", hörte ich Nik. "Einer muss die Schlafmütze doch mal wecken." , entgegnete ich und machte mich auf den Weg zum Bus. Auf dem Weg dahin kamen mir schon einige Crewmitglieder entgegen, die bereits anfingen, alles aufzubauen. Ich lächelte sie an und grüßte jeden.

Am Bus angekommen ging ich hinein und ging direkt auf Pi's Schlafkabine zu. Ich zog den kleinen Vorhang beiseite und sah den süßen, schlafenden Kerl vor mir. Ich lächelte kurz und rüttelte dann sanft an seiner Schulter. Doch außer ein leises Gegrummel kam nichts. Ich schüttelte den Kopf. "Komm schon Pi, du musst echt mal aufstehen!", flüsterte ich in sein Ohr und gab ihn einen kurzen Kuss auf die Wange.
Er öffnete seine grünen Augen und sah mich an. "Okay.". Ich drehte mich um und wollte wieder gehen als er fragte: "Sind die anderen schon lange wach?". "Ach weißt du, die sind schon mit dem Soundcheck durch." , lachte ich. Natürlich stimmte das nicht, aber so ein kleiner Spaß musste sein. Auf einmal hörte ich ein dumpfes Geräusch kurz gefolgt von einem Schrei. Ich blieb stehen und ging zurück zu Pi, der vor mir in seiner Schlafkabine lag und sich mit der Hand am Kopf rieb. Ich fing an mit kichern. "Ich hatte voll vergessen wie klein diese Dinger sind!", beschwerte er sich und stand auf. "Hab ich echt so lang geschlafen, dass ich den Soundcheck verpasst hab?", fragte Pi unsicher und zog sich so schnell wie möglich die erstbesten Klamotten an, die er finden konnte. Das brachte mich nur noch mehr zum lachen. "Was ist so lustig?", er sah mich verwundert an. Ich schlug ihm gegen die Schulter und sagte: "Ich mach doch nur einen Spaß! Du hast den Soundcheck nicht verpasst!".

Sein Lächeln verschwand und er wurde plötzlich ganz ernst. Er kam auf mich zu und stand nun ganz nah vor mir. Ich lächelte ihn unschuldig an. „Das wirst du bereuen.", sagte er bevor er mich hochnahm und mich über seine Schulter warf. Ich schrie auf. Er trug mich ins Nebenzimmer und ließ mich auf der Couch nieder. Und dann fing der Spinner an mich auszukitzeln. Das war nicht fair! Er wusste, dass ich wahnsinnig kitzelig war!
Ich lachte so sehr, dass mir mein Bauch schon wehtat. „Entschuldige dich und ich höre auf.", sagte er. „Okay okay, es tut mir leid, aber bitte hör auf!", sagte ich schnell. Sofort hörte er auf und sah zu mir hinunter, wo ich gerade versuchte wieder zu Atem zu kommen. Ich lächelte mich an. Ich lächelte zurück.

Er hielt mir seine Hand hin, die ich entgegen nahm. Er zog mich auf die Beine und wieder stand wieder nah vor mir. Gerade als er sich zu mir hinunterbeugte, hörte ich, wie die Tür zum Nightliner aufging und jemand meinen Namen rief. „Ally? Hast du den Pi denn endlich mal wach gekriegt?", es war Gared. Schnell ging ich einen Schritt von Pi weg, dieser wiederum tat so, als würde er etwas in seinem Koffer suchen. Als Gared reinkam gab es keine Anzeichen dafür, was hier noch einige Sekunden zuvor passiert war...oder eben nicht passiert war.
„Ja, der ist schon so gut wie fertig.", sagte ich. Ich ging an Pi vorbei und grinste Gared an, bevor ich auch an ihm vorbeiging und den Bus verließ.

Die nächsten paar Stunden waren voll verplant. Aufbau der Bühne, die Instrumente aufbauen oder stimmen und die Technik einstellen. Während des Soundchecks zog ich mich noch etwas zurück. Ich hatte vorhin schon ein paar wenige Bilder geschossen und ich wollte sie auf meinen Laptop ziehen und mir ein bisschen die Zeit vertreiben, bis die anderen fertig waren und wir noch ein bisschen die Stadt erkunden konnten.
Der Soundcheck ging jetzt schon circa eine halbe Stunde. Plötzlich klingelte mein Handy.

Pi: Bist du im Bus? :)))

Ich zog verwundert die Augenbrauen zusammen. Ich schrieb ein kurzes ‚Ja' zurück und wartete auf eine Antwort.

Die Antwort kam keine zwei Minuten später in den Bus spaziert. Pi stand vor mir und grinste. „Was machst du hier? Solltest du nicht beim Soundcheck sein?", fragte ich und stellte meinen Laptop beiseite. Nicht, dass mich seine Anwesenheit stören würde.
„Die kommen auch mal ein paar Minuten ohne mich klar.", sagte er. Ich verdrehte lächelnd die Augen und ging zum Mini-Kühlschrank, um mir was zu trinken zu nehmen. „Na dann.", lachte ich kurz. Ich nahm mir die Wasserflasche heraus. Doch bevor ich sie aufmachen konnte, schlangen sich zwei Hände um meine Hüfte und Pi zog mich nah an sich heran. „Und da wir vorhin unglücklicherweise unterbrochen, dachte ich mir, das könnten wir jetzt vielleicht nachholen.", flüsterte er in mein Ohr. Ein Lächeln kam mir über die Lippen und ich drehte mich zu ihm um. Ohne zu zögern küsste ich ihn. Wieder spürte ich dieses mir nur zu gut bekannte Kribbeln im Bauch. Dieses Gefühl, vom dem ich ganz süchtig war.

„Darauf hab ich lange genug gewartet.", sagte er, als sich unsere Lippen nicht mehr berührten. Ich wusste nicht wieso, doch in seiner Anwesenheit konnte ich immer noch schüchtern wie ein kleines Schulmädchen werden, denn bei diesem intensiven Blick, den er mir zuwarf, schaute ich nur zu Boden und spürte, wie meine Wangen anfingen zu glühen. Dann gab ich ihm einen kurzen Kuss und sagte: „Okay, du musst jetzt echt wieder rein.". Pi lächelte mich an, drehte sich um und machte sich in Richtung Tür, doch kam nochmal zurück, um mir einen letzten Kuss auf die Wange zu geben. „Bis später.", sagte er, als er schließlich den Nightliner verließ.

Der restliche Tag verlief ganz gut. Nach dem Soundcheck gingen wir in die Stadt und erkundeten die Gegend. Natürlich war Linus mit seiner Videokamera dabei und nahm ein paar witzige Szenen für das Tourtagebuch auf.
Am Abend machten sich die Jungs dann fertig für den Auftritt. Ich schnappte mir meine Kamera und machte mich ebenfalls bereit. Die Halle füllte sich immer mehr und die Menge sprühte regelrecht vor Freude und Aufregung. Als das Konzert dann endlich losging ging ich vor der Bühne hin und her und schoss ein Bild nach dem anderen. Die Jungs gaben echt ihr bestes! Als ich dann nach 3 oder 4 Liedern wieder hinter die Bühne ging, sah ich den Jungs nur noch dabei zu, wie sie eine hammermäßige Show ablieferten.
Am Ende war es dann noch meine Aufgabe, ein Bild von den Jungs und der Menge vor ihnen zu machen. Jeder verzog anders das Gesicht, was wohl bedeutete, dass dieses Bild sehr lustig aussehen wird.

Später gingen die Jungs noch raus, um die Fans zu treffen. Ich folgte Class und mischte mich dann mit in die Menge. Ich schoss auch da wieder das ein oder andere Bild und wurde oft auch von einigen Leuten angesprochen. Da ich Class' Schwester war, kannten mich manche und ich erkannte sogar ein paar bekannte Gesichter wieder.
Als ich einen Blick auf Pi warf, sah er so glücklich aus. Er schien zu merken, dass ich ihn regelrecht anstarrte, denn er erwiderte meinen Blick und lächelte mich kurz an.

Und in diesem Moment wurde mir etwas klar: Ich war diesem Jungen zu einhundert Prozent verfallen und es gab wohl keine Chance für mich, da wieder herauszukommen...