My Nightingale

46.

Die Heimfahrt verlief still. Weder ich, noch Pi sagte ein Wort. Ich konnte nicht fassen, was sich da gerade abgespielt hat.
Pi hatte Mr. Harper vor versammelter Mannschaft beleidigt. Wie konnte er nur? Das könnte mega Konsequenzen für mich haben! Ich war einfach so wütend auf ihn!

Als wir die Wohnung betraten war keiner da. Ich stapfte sofort in mein Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu. Zumindest wollte ich das, doch Pi war mir dicht gefolgt auf den Versen und konnte die Tür auffangen. „Was? Zeigst du mir jetzt ersthaft die kalte Schulter?", fragte er kalt.
Ich drehte mich ruckartig zu ihm um. War das jetzt sein scheiß Ernst?! Dachte er ernsthaft ich würde so tun, als wäre nichts passiert?

„Willst du mich verarschen? Erwartest du, dass ich den Vorfall gerade ignoriere?!", fauchte ich ihn an. Ihn schien das nicht weiter zu interessieren. In aller Seelenruhe wühlte er in seinem Koffer herum und zeigte mir die kalte Schulter. Ich merkte, dass er angepisst war, keine Frage. Aber sollte ich nicht diejenige sein, die hier angepisst sein muss?!
„Verdammt nochmal Pi, hast du eigentlich nur die geringste Ahnung, was du da gemacht hast?", fügte ich hinzu. Dann sah er mich an. „Es musste gesagt werden.", war alles, was er dazu zu sagen hatte.

Ungläubig blieb ich für ein paar Sekunden einfach so stehen und schaute ihn an. „Es musste gesagt werden? Das ist mein Boss, dem du das gesagt hast!"
„Tut mir ja leid, dass ich mich für meine Freundin einsetzte, wenn sie jemand scheiße behandelt!", sagte er und hob entschuldigend die Hände.
Inzwischen waren wir beide ziemlich geladen und ich war bereits kurz davor zu explodieren. „Ich bin kein kleines Kind, ich kann für mich allein sprechen!"
„Das hat man ja gesehen!", lachte er auf. Machte er sich gerade darüber witzig, dass ich so eingeschüchtert war oder warf er mir hier vor schwach und klein zu sein, weil ich mich nicht gewehrt habe?

„Du bist echt unglaublich!", sagte ich aufgebracht. „Hör zu Ally, auch wenn er dein Chef ist gibt ihm das noch lange nicht das Recht dich so vor allen bloßzustellen und zu beleidigen!"
„Oh bitte, wer hat hier denn wen beleidigt?", fragte ich schnippisch. Er antwortete nicht. Ich hoffte, dass er nochmal darüber nachdachte, was er hier angerichtet hatte und das es ihm leid tat!

„Das könnte Folgen für mich haben. Ist dir das klar?", fragte ich ihn. Wieder kam keine Antwort von ihm. Diese Stille machte mich wahnsinnig.
„Oh, jetzt zeigst du mir die kalte Schulter? Wirklich sehr erwachsen, Pi.".
„Gut, also was ist denn das Schlimmste was passieren könnte?", er saß auf meinem Bett und starrte zu mir hoch.
„Ich könnte verdammt nochmal gefeuert werden!", die Wut in mir wuchs mit jeder Sekunde.

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich mit ihm jemals so gestritten habe. Klar, wir waren nicht immer einer Meinung und haben uns schön öfters mal in die Haare gekriegt, aber das hier war anders. Es war nicht nur eine kleine Meinungsverschiedenheit.

„Vielleicht wäre das sogar besser...", murmelte er vor sich hin, während er auf den Boden starrte und jeden Blickkontakt mit mir vermied. Wahrscheinlich sagt er das mehr zu sich selbst als zu mir, doch trotzdem hatte ich es gehört.
„Wie bitte?", fragte ich. „Was willst du denn? Dass ich gefeuert werde und zurück nach Hamburg komme? Oder noch besser, dass ich von selbst kündige?! Denn das werde ich nicht tun!".
Pi sah zu mir hoch, schüttelte den Kopf, stand auf und sagte: „Was? Nein? Natürlich will ich nicht, dass du gekündigt wirst!".

Ich verstand die Welt nicht mehr...ich verstand ihn nicht mehr. „Und doch wünschst du dir, ich würde den Job nicht machen...". Pi sah zu Boden.
„Es ist kompliziert.", sagte er schließlich.

Kompliziert. Kompliziert?!
Und da war er. Der Moment, an dem ich explodierte.
„Du bist echt so ein Arschloch! Was willst du eigentlich von mir?! Sag mir doch einfach ins Gesicht, was dein Problem ist!", schrie ich ihn an und stand genau vor ihm.
„Das hier bist nicht du!", hob auch er die Stimme und sah mich danach traurig an. Dieser eine Satz brachte mich dazu, völlig zu verstummen. Was meinte er denn damit?