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Meine Hände zitterten als ich das Blatt Papier in meiner Hand anstarrte. Es war seine Handschrift. Dieser Brief hier war definitiv von ihm.

Liebe Ally,

während ich das hier schreibe liegst du nur wenige Meter von mir entfernt in deinem Bett und weinst. Und ich sitze hier in deinem Wohnzimmer und wünschte ich wäre bei dir. Ich will dich im Arm halten und dich trösten. Ich will dir gern sagen, dass alles wieder gut wird. Du weißt, ich hasse es dich traurig, beziehungsweise weinen zu sehen. Doch jetzt gerade bin ich wohl der letzte Mensch auf Erden, den du sehen willst. Und das tut mir leid.
Es tut mir leid, dass ich der Grund dafür bin, dass du weinst. Dass es dir so schlecht geht, nur weil ich einen Fehler gemacht habe. Doch trotzdem tut es mir nicht leid, was ich auf dem Event gesagt habe.
Seit du hier bist habe ich das Gefühl, du entfernst dich von mir. Du lebst hier deinen Traum. Du ziehst hier dein eigenes Ding durch und mich lässt seit ein einer Weile nicht das Gefühl los, dass es dir hier in Berlin besser geht als in Hamburg...
Mit jedem Mal, dass ich dich hier besucht habe hatte ich das Gefühl, dass du dich veränderst. Du scheinst einfach so glücklich zu sein. Du bist wie ein vollkommen neuer Mensch geworden und das ist echt schön mit anzusehen, wie gut es dir geht. Doch ich schätze ich hatte einfach Angst. Angst davor, das du dir hier etwas aufbaust und ich immer mehr in den Hintergrund rücke oder noch schlimmer...dass du mich nicht mehr brauchen würdest. Dass dir diese Fernbeziehungssache zu viel wird und du es vielleicht beenden könntest.
Ich sagte, du seist nicht mehr die Ally, die ich hier vor 4 Monaten hergebracht habe. Das stimmt auch. Du bist über dich hinausgewachsen, du wirkst viel unabhängiger. Und so langsam sehe ich mich nicht mehr in dieser Welt. Du verdienst es glücklich zu sein und dein Leben so zu leben, wie du es möchtest. Das wurde mir klar, als ich hier saß und über unseren Streit nachgedacht habe. Ich will deinen Träumen nicht im Wege stehen. Du hattest recht. Von Anfang an hast du mich unterstützt und ich denke es ist Zeit, dass ich das jetzt auch tue. Ich schätze es sollte uns erst einmal gut tun, Abstand voneinander zu halten, denn das ist genau das, was du wolltest. Und du bedeutest mir viel zu viel um diesen Wunsch nicht zu respektieren.
Erinnerst du dich an den Tag, an dem wir uns kennengelernt haben? Du hattest dieses coole Bring Me The Horizon Shirt getragen auf das ich aus Versehen meinen Kaffee geschüttet habe. Das war auch der Tag, an dem ich offiziell der Band beigetreten bin. Ich wusste, dieser Tag würde mein Leben verändern aber ich hätte nicht gedacht, wie drastisch diese Veränderung sein würde.
Denn du bist durch Zufall in mein Leben gestolpert.
Ich habe mich schneller in dich verliebt, als mir lieb war. Du bist mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Also habe ich jede noch so kleine Möglichkeit gesucht, um dir nahe zu sein. Und du hast es nicht mal bemerkt. Am Anfang dachte ich, die Gefühle würden wieder verschwinden, immerhin kamst du gerade aus einer gescheiterten Beziehung und ich dachte, du hättest sowieso kein Interesse. Doch als ich realisierte, dass du meine Gefühle erwidert hast, fühlte ich mich wie der glücklichste Mann auf Erden.
Unsere Beziehung geheim zu halten war scheiße. Ich konnte in der Öffentlichkeit nicht deine Hand halten, dich küssen oder dir einfach nahe sein. Wenn ich ehrlich bin habe ich es gehasst. Am liebsten hätte ich es einfach laut hinausgeschrien, sodass jeder von uns wusste und davon, wie glücklich wir sind.
Doch ich habe verstanden, warum du es so wolltest. Du hattest Angst, dass dein Bruder davon erfährt und du hattest Angst davor, wie er wohl reagieren könnte. Die kleine Schwester mit seinem besten Freund...aber ich glaube, ich hätte in deiner Situation wohl genauso gehandelt. Und auch wenn ich nicht der größte Fan dieser geheimen Beziehung war, habe ich mich darauf eingelassen. Ich wollte das, was sich da zwischen uns entwickelt hatte, nicht aufgeben. Dafür warst du mir einfach zu wichtig. Ich konnte mir garnicht mehr vorstellen, wie es ohne dich wäre. Dafür hattest du mir den Kopf schon zu sehr verdreht.
Ich habe schon sehr früh gemerkt, dass ich dich liebe. Es waren einfach diese kleinen Sachen, die ich über dich erfahren habe. Du hast mir viele Dinge anvertraut, die wie du sagtest, keiner von dir weiß. Du hast mir die Chance gegeben dein wahres Ich kennenzulernen. Und mit jedem Tag wurde mir immer mehr klar, wie sehr ich dich doch liebe.
Und so wie wir gute Tage hatten, hatten wir auch schlechte. Als du mir sagtest, dass du die Sache zwischen uns beendest war es, als würde meine Welt zusammenbrechen. Dich zu verlieren war einfach unbeschreiblich schlimm für mich. Ich konnte es einfach nicht verstehen. Ich wollte es nicht verstehen. Ich habe mich sehr zurückgezogen und wollte mit kaum jemanden reden. Und so langsam aber sicher war ich auf einem guten Weg über dich hinwegzukommen.
Zu Nik's Hochzeit habe ich dich dann zum ersten Mal wiedergesehen. Du sahst wunderschön aus und du schienst ganz glücklich zu sein. Anders als ich. Ich hätte mich am liebsten verkrochen und wäre dir am liebsten aus dem Weg gegangen. Doch ich konnte es nicht. Ich musste in deiner Nähe sein, ob ich nun wollte oder nicht. Dich mit jemand anderem zu sehen war schlimm für mich, wie du ja mitbekommen hast. Ich konnte es nicht ertragen, dass jemand anderes dich haben kann. Doch dann sagtest du mir, du würdest mich brauchen und auf einmal hatte ich wieder einen Funken Hoffnung für uns. Als wir dann schließlich die Nacht zusammen verbracht haben und ich dich wieder bei mir hatte, schwor ich mir, dich nie wieder gehen zu lassen.
Und jetzt sitze ich hier und frage mich, ob es nicht vielleicht doch besser wäre, wenn ich dich gehen lassen würde. Ich will dich selbst entscheiden lassen was du möchtest. Und egal wie es am Ende ausgeht, ich werde dich nicht von deiner Entscheidung abhalten.
Du sollst glücklich sein.
Das ist alles, was ich will. Egal, ob ich ein Teil davon bin oder nicht.
Das solltest du wissen, bevor du eine Entscheidung triffst.
Ich liebe dich.

Pi

Immer mehr Tränen liefen mir über die Wangen. Ich konnte nicht begreifen, was hier vor mir auf dem Blatt stand. Also las ich den Brief erneut und später sogar noch ein drittes Mal. Alles fühlte sich so an, als würde ich so viele Emotionen auf einmal fühlen, doch gleichzeitig fühlte ich mich leer.

Er hatte diesen Brief nach unserem Streit geschrieben und ihn mir dann hier hingelegt. Wie konnte ich nur so dumm sein und diesen Brief nicht bemerken?

Und immer noch mit Tränen in den Augen saß ich hier auf dem Boden und versuchte herauszufinden, was ich wirklich fühlte...

My NightingaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt