Jake

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Dann plötzlich ist es soweit! Es ist der zwanzigste Oktober! Der Tag, an dem Eric Geburtstag gehabt hätte. Der Tag, an dem er zweiundzwanzig geworden wäre ...

Am Morgen haben es alle eilig und niemand scheint einen Gedanken daran zu verschwenden -bis auf mich. Nur ich habe vor der Schule nochmal kurz in seinem Zimmer vor dem Foto gestanden und ihm gedanklich alles Gute gewünscht -auch von Ry. Danach ist alles wie immer, bis auf die Tatsache, dass ich mich von oben bis unten in schwarz gekleidet habe. Meiner neuen Lieblingsfarbe.

*

-Jake?-, ich richte mitten im Matheunterricht meine Gedanken auf meinen Bruder. Nebenbei tue ich so, als würde ich aufpassen, was Mr. Warren erzählt.

-Was gibt's?-

-Wie ist das eigentlich mit ... Nein! Ich muss mal mit dir reden!-

-Jetzt? Besser nach der Schule! Am Strand?-, schickt er mir zurück. Ich drehe mich kurz zu ihm herum und nicke.

»Dawn Wilson«, ruft Mr. Warren mich genau in dem Augenblick auf. Schnell drehe ich mich wieder um und sehe ihn groß an. Was will er bloß von mir? -Sag einfach neunzig-, höre ich Jake's Stimme in meinem Kopf. »Einfach Neunzig!«, plappert mein Mundwerk übereifrig drauflos. Gedanklich schlage ich mir die flache Hand vor die Stirn. Mist! Wie peinlich! Als ich mich rot geworden umsehe, kichern ein paar unserer Mitschüler verstohlen in sich hinein. »Sehr Gut!«, lobt Mr. Warren da auf einmal. Der Ausdruck in seinem Gesicht zeugt von genau derselben Überraschung, wie sie bei mir zu sehen sein muss. Meine Antwort war richtig? Und ... seit wann lobt der seine Schüler? Ein erneuter Blick durch den Raum bestätigt mir, dass keiner mehr über mich lacht. Erleichtert lasse ich die angestaute Luft aus meinen Lungen heraus.

»Jetzt aber bitte wieder hier aufpassen ja!«, ermahnt er mich. Beschämt nicke ich und schaue auf den Tisch vor mir.

-Danke Jake.-

-Kein Problem Schwesterchen.-

*

»Wo warst du nur mit deinen Gedanken bei Mathe?«, will Jake am Mittag von mir wissen. Wir sind mit Eric's BMW an den Strand gefahren und schlendern am Ufer entlang. Unsere Schuhe haben wir ausgezogen und laufen barfuss durch Sand und Wasser.

»Jake!«, beschwere ich mich lachend. Er grinst auch und sieht kurz zu mir herüber. Danach schaut er mit einer merkwürdigen Anspannung im Gesicht auf das türkis glitzernde Meer hinaus.

»Konntest du das etwa nicht in meinen Gedanken lesen?«, wundere ich mich. Jake grinst verschmitzt. »Na ja also ... eigentlich sind deine Gedanken unendlich ... hm hm, einseitig, düster und traurig und ... so weiter! Da halte ich mich lieber raus!«, lacht er. Seine strahlend weißen Zähne blitzen zwischen den Lippen auf. Unwillkürlich muss ich lächeln. »Liest du alle Gedanken?«

Jake schweigt kurz nachdenklich. »Hm«, nickt er dann zustimmend, »fast alle! Aber bei manchen geht es leider nicht.« Fragend sehe ich zu ihm rüber, »bei wem denn zum Beispiel nicht?« Jake sieht durch das klare Wasser hindurch auf seine Zehen. »Hauptsächlich bei älteren! Mom, Dad, Chris, Mr. Warren ...«, er seufzt bedauernd.

Na toll! Mr. Warren's Gedanken zum Beispiel wären doch sehr hilfreich! Vor allem was die unangekündigten Mathe Tests betrifft.

»Was glaubst du, warum das so ist?«

»Hm«, mehr sagt er nicht dazu. Jedenfalls nicht gleich. Er scheint ziemlich tief in Gedanken versunken zu sein. »Jake?« So langsam beschleicht mich der Gedanke, dass seine wiederkehrende geistige Abwesenheit mir irgendetwas sagen soll.

Dawn - Magisches ErwachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt