Kapitel 16 "War wohl Nichts"

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Gerrit und Robert hingegen hatten Alex abgesetzt und waren direkt weiter gefahren. Robert saß am Steuer und schwieg sich aus. Gerrit beobachtete seinen jungen Kollegen und überlegte, wie er am besten ein Gespräch in Gang bekommen konnte. Roberts Miene war angespannt, Gerrit konnte deutlich eine Ader an seiner Schläfe erkennen und Roberts Kiefermuskeln zitterten schon. „Wo fahren wir eigentlich hin, Robert?“, fragte der ältere Kommissar und sah seinen Kollegen aufmerksam an. „Ins Krankenhaus. Muss dir war zeigen.“, stieß Robert zwischen den Zähnen hervor und konzentrierte sich weiter auf den Verkehr. Gerrit fragte sich zum dritten Mal, wie sein Kollege die komplette Kehrtwende von der Ich-freue-mich-dass-ihr-wieder-da-seid-Stimmung zu diesem verschlossenen und schweigsamen Verhalten hinbekommen hatte. Erneut runzelte Gerrit die Stirn, denn langsam machte er sich wirkliche Sorgen um seinen Freund. „Hey Robert, jetzt erzähl endlich. Was ist passiert?? Du machst mir langsam wirklich Angst.“, drängte er ihn und Robert schien nun tatsächlich mit ihm reden zu wollen, denn er fuhr den Wagen an den Straßenrand und stellte den Motor ab. Dann legte er beide Hände aufs Lenkrad, den Kopf ebenfalls und fing das Schluchzen an. Gerrit war wie vom Donner gerührt und wusste zuerst überhaupt nicht, was er tun sollte. Erst war Robert so fröhlich, dann so verschlossen und nun augenscheinlich total deprimiert? Das kannte er bisher nur von Frauen und so brauchte er eine geschlagene Minute, bis er sich bewegte und Robert die Schulter tätschelte. Sie saßen eine ganze Weile so da, bis Robert sich wieder einigermaßen beruhigt hatte und sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. Gerrit musterte seinen Kollegen und war wirklich verwirrt aufgrund seines Verhaltens. Robert hatte sich langsam wieder in der Gewalt und begann sich seinem Kollegen zu öffnen: „Gerrit es ist so: Ich habe dir doch gesagt, dass Christoph vermisst wird weil er nicht mehr von seinem Urlaub nach Hause gekommen ist. Ich habe heute Vormittag einen Anruf von ihm erhalten. Er klang nicht so gut, war schwach und kurz vor der Bewusstlosigkeit gestanden. Christoph konnte mir gerade so seinen Standort mitteilen. Ich habe ihn gefunden – aber frage nicht in welchem Zustand. Ich habe ihn in die stabile Seitenlage bugsiert aber ich konnte nicht herausfinden, was ihm gefehlt hat. Er war noch einmal kurz bei Bewusstsein, ein paar Minuten bevor das RTW ankam aber da hat er nur Halluziniert und unsinniges Zeug geredet. Sie haben ihn gerade so ins Krankenhaus bringen können und haben ihn ewig operiert. Ich habe kurz bevor ich euch holen gefahren bin den Anruf bekommen, dass er noch lebt und die Operation beendet wurde. Mehr wollten sie mir am Telefon nicht sagen. Ich konnte auch Julia kein Wort davon sagen bis ich mehr weiß. Du kommst doch trotzdem mit mir, oder?“, mit diesen Worten blickte Robert seinen Kollegen flehend an. Gerrit beobachtete die geröteten Augen und die verzweifelte Miene seines Freundes und lächelte: „Klar helfe ich dir. Tu ich doch schon die ganze Zeit, ich habe auch in der Türkei einiges erlebt und vielleicht auch herausgefunden. Aber dazu später. Wir gehen da jetzt zusammen hin und dann sehen wir schon, wie es weiter geht.“, munterte er Robert auf und sah, wie sich ein kleines Lächeln auf sein Gesicht stahl. Auch wenn es dem jüngeren Polizisten augenscheinlich wieder besser ging bestand Gerrit darauf, dass er den Rest der Strecke fuhr. Robert stierte die ganze Zeit aus dem Fenster, es war klar erkennbar, dass er sich große Sorgen um Christoph machte. Sogar Gerrit überlegte, in welche Machenschaften der Bekannte seines Freundes verwickelt gewesen war. Halluzinationen sprachen für Medikamente oder irgendwelche Drogen. Aber hatte Christoph wirklich Drogen genommen? Gerrit wusste ja, dass seine Schwester Julia das Thema Drogen und Gewaltbereitschaft in ihrer Abschlussarbeit behandelt hatte. Da konnte er sich nicht vorstellen, dass sie das zulassen würde. Außerdem wusste er von Robert, dass Christoph und seine Frau unbedingt ein Kind wollten und da würde es nicht dafür sprechen, dass er sich das mit Drogen verbauen würde. Andererseits wusste man nie, was in den Köpfen der Menschen vor sich ging. Roberts raue Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Du wirst aber erst einmal niemandem etwas davon erzählen, ja Gerrit? Oder weiß Alex schon von der Geschichte? Oh nein, bestimmt hast du es ihr erzählt! Sag, wie viel weiß sie? Und wird sie Julia gegenüber die Klappe halten?“ Gerrit hörte deutlich die Panik in seiner Stimme und beeilte sich, die Dinge klarzustellen: „Robert, beruhige dich doch! Alex weiß rein gar nichts. Ich habe ihr keinen Ton gesagt und ich habe erst einmal nicht vor das zu ändern.“ Nachdem Robert tief durchgeatmet und sich beruhigt hatte, fragte Gerrit seinerseits: „Das heißt aber auch, dass niemand etwas von der Geschichte weiß? Julia nicht und auch Michael nicht?“ Robert schüttelte stumm den Kopf. Gerrit seufzte. Die Geschichte vor Alex geheim zu halten war schon schwierig genug aber wenn sie nun auch Michael Nichts erzählen würden? Das bedeutete ein ganzes Stückchen Arbeit. Andererseits konnte er Robert auch verstehen. So gerne er seine Kollegen hatte, er würde solch eine verworrene Situation nicht vor allen breit treten wollen. Zuerst mussten sie Licht in die Sache bringen und dann konnten sie die anderen vielleicht einbinden. Doch zuerst brauchten sie Antworten und die würden sie im Krankenhaus hoffentlich bekommen.

Robert stürmte aus dem Auto sobald Gerrit den Motor ausgestellt hatte. Sein Kollege holte ihn aber schnell ein und hielt ihn am Ärmel fest: „Robert, mach mal langsam. Wir wollen uns doch nicht so auffällig verhalten. Wir sind Polizisten auf dem Weg zu einem Einsatz. Niemand weiß, dass wir Christoph näher kennen. Du hast ihn gefunden und nun befragen wir ihn. Reine Routine.“ Robert dankte seinem Kollegen im Stillen für seine Besonnenheit. Natürlich hatte er recht und so verlangsamte Robert seine Schritte deutlich, jedoch konnte er seiner Nervosität einfach nicht Herr werden. Als sie die Station erreichten wollte Robert schon drauf los stürmen und mit der Tür ins Haus fallen, doch abermals hielt Gerrit ihn zurück und übernahm die Gesprächsführung. „Guten Tag, mein Name ist Gerrit Grass vom K11, meinen Kollegen Robert Ritter kennen Sie ja bereits. Wir sind wegen dem Mann hier, den mein Kollege heute Vormittag gefunden hat. Könnten Sie uns zu ihm führen?“ Die Schwester nickte, wies jedoch gleichzeitig eine ihrer Kolleginnen an, den zuständigen Arzt zu holen. Dies irritierte Gerrit zwar, jedoch beschloss er, zunächst abzuwarten. Daher folgten sie der weiß gekleideten Dame schweigend zum Zimmer des Vermissten. Sie öffnete ihnen die Tür und ließ sie eintreten, jedoch kam sie nicht hinterher sondern schloss die Türe hinter ihnen, sodass sie alleine im Raum waren. Robert trat zum Bett hin und sah sich seinen wohl zukünftigen Schwager genau an. Christophs Mine war entspannt aber er schien ausgemergelt und um seine Augen war ein dunkler Schatten zu sehen. Gerrit beobachtete seinen Kollegen genau, denn er wusste nicht ob Robert vielleicht gleich zusammenbrechen würde. Robert war sichtlich erschüttert, hielt sich aber ziemlich tapfer. Er brachte kein Wort raus, was vielleicht ganz gut war, denn in diesem Moment wurde die Tür schwungvoll geöffnet und herein trat ein Arzt von vielleicht 45 Jahren. Er ließ die Tür von der Schwester schließen und trat auf die beiden wartenden Polizisten zu und gab ihnen die Hand: „Hallo, mein Name ist Dr. Wenger, ich habe den Mann hier operiert und untersucht. Ich nehme an, dass Sie wissen, wer dieser Mann ist? Robert bejahte während Gerrit im selben Moment „Nein.“ Sagte. Gerrit verbesserte sich schnell: „Wir kennen die Personalien des Mannes aber mehr würden wir gerne von Ihnen erfahren.“ Dr. Wenger legte den Kopf schräg und nickte. „Es ist folgendermaßen: Dieser Mann hier hat unglaubliches Glück gehabt, dass Sie ihn gefunden haben.“ Dr. Wenger zog eine Tüte aus seinem Arztkittel hervor und hielt ihn den Kommissaren hin. „Der gute Herr hatte diese ganzen Päckchen in seinem Magen und eine davon hatte sich geöffnet. Wenn Sie ihn auch nur eine halbe Stunde später gefunden hätten, hätten wir Nichts mehr für ihn tun können. So wird er nun eine Weile Ruhe brauchen aber wohl wieder ganz gesund werden. Ich überlasse Ihnen diese Päckchen zur Untersuchung.“ Gerrit schaffte es, eine neutrale Miene aufzusetzen aber Robert blickte stattdessen zu Boden und biss sich auf die Lippe um nicht wieder in Tränen auszubrechen. „Ich würde Sie beiden bitten den Mann noch ausruhen zu lassen. Sobald er wieder bei Bewusstsein ist, werde ich Sie anrufen lassen, wenn Sie mir Ihre Nummer zukommen lassen.“, wandte sich der Arzt an Gerrit, denn ihm war klar, dass er von Robert erst einmal keine Antwort bekommen würde. Gerrit nickte und gab ihm seine und Roberts Handynummer. Dann verabschiedete sich der Arzt und verschwand aus dem Zimmer. Als Robert und sein Kollege wieder alleine waren, fand Robert seine Stimme wieder und blickte Gerrit bang ins Gesicht: „Gerrit, was machen wir denn nun? Christoph war Bodypacker! Er schmuggelt Drogen!?“ Gerrit sah seinen Freund betreten an: „Ich weiß es nicht Robert. Aber du kommst als erstes einmal mit zu mir. Vorher geben wir die Drogen noch im Labor ab. Also ich werde das tun. In deiner momentanen Verfassung solltest du vielleicht mit niemandem in der Arbeit sprechen. Also komm, lass uns gehen.“ Mit einem letzten verwirrten Blick auf Christoph ging Robert zur Tür und Gerrit folgte ihm. Die Tür schloss sich hinter den beiden Kommissaren und das einzige, was noch zu hören war, war das leise Piepen des Herzfrequenzmessers.

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