Kapitel 30 "Die reine Wahrheit"

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Es schien eine Ewigkeit zu dauern bis Robert den Ton des Martinshorns hörte und kurz darauf die blinkenden Lichter der Blaulichter durch den Hof zuckten. Aus dem Krankenwagen sprangen die ersten Sanitäter und brachten sogleich eine Decke mit. Keine Sekunde später traf der Notarzt ein, sprang aus dem Auto und gesellte sich zu den Sanitätern. Robert wurde zur Seite gedrängt und konnte nichts weiter tun als nur daneben zu stehen. Gerrit wurde die Decke auf den Bauch gelegt bevor er auf eine Trage aufgebahrt wurde und der Notarzt nebenher lief. Eine der Sanitäterinnen kam zu Robert und brachte ihm ebenfalls eine Decke, dann brachte sie Feuchttücher und wischte das Blut von seinen Händen ab.  Der Kommissar ließ sie gewähren und fragte sich wie Gerrit leben konnte, wo er doch so viel Blut an seinen Händen hatte. Robert musste sich einige Male räuspern bis er seine Stimme wieder fand und stellte die Frage dann doch nur flüsternd: „Ist er…? Wird er…? Ich meine, wird er es überleben? Wie geht es ihm?“ Die Rettungsassistentin blickte ihn mitleidig an, konnte ihm aber nichts Genaues sagen und so antwortete sie nur ausweichend: „Wie bringen ihn ins Krankenhaus, dort wird er die beste Behandlung bekommen.“ Und tatsächlich setzte sich der Krankenwagen in diesem Moment mit Martinshorn und Blaulicht in Bewegung. Robert blickte dem Auto benebelt nach, er hatte nicht einmal die Chance bekommen zu sagen, dass er mitfahren wollte. Die Sanitäterin sah seinen Blick, denn sie beeilte sich zu sagen: „Wir bringen ihn ins Marienkrankenhaus. Er wird in die Notaufnahme kommen, dort werden sie weitere Informationen bekommen.“ Robert nickte abgehackt und beobachtete wie die Kollegen der Spurensicherungen in den Hof einfuhren. Seine antrainierte Disziplin kam wieder durch und gewann die Oberhand über Roberts Handeln. Er zog sich die  Decke von den Schultern, bedankte sich knapp bei der Rettungsassistentin und lief den Kollegen der Spurensicherung entgegen. Diese waren sichtlich überrascht ihn mitten in der Nacht oben ohne herumlaufen zu sehen, nahmen seine Anweisungen und Informationen aber ohne einen Ton entgegen. Nachdem Robert sichergestellt hatte, dass seine Instruktionen befolgt wurden und er sofort alle neuen Informationen bekommen würde, lief er zu seinem Auto zurück und zog sich zu allererst einmal einen dünnen Pulli über. Grimmig ballte Robert die Fäuste. Wie würde er vorgehen, wenn das ein  normaler Fall wäre? Er würde die Angehörigen verständigen müssen, Alex musste von Gerrits Zustand erfahren und es war absolut wichtig, dass Robert ihr diese Nachricht persönlich überbrachte. Da konnte er niemanden vorschicken um das zu erledigen, hieran war nur er allein schuld. Wenigstens vor ihr wollte er grade stehen. Schweren Herzens stieg der Kommissar ins Auto und wendete. 

Alex schreckte aus ihrem Dämmerschlaf hoch, als es plötzlich an der Tür klingelte. Sie schaltete den Fernseher aus und eilte durch den Flur. Sie war mehr als erstaunt, als nicht Gerrit, sondern Robert vor der Tür stand. „Was machst denn du hier? Wo ist Gerrit?“, fragte sie völlig perplex. „Komm mit. Frag nicht mehr, du musst einfach ein wenig warten.“,  sagte er kurz angebunden und war beinahe schon wieder die Treppen herunter gelaufen ehe sich Alex erst einmal gerührt hatte. Sie folgte ihrem Kollegen gehorsam nachdem sie ihre Tasche mit den Wertsachen aus dem Wohnzimmer geholt hatte. Alex setzte sich ins Auto und blickte ihren Kollegen skeptisch an. Robert war sehr schweigsam und sie vermisste das Funkeln in seinen Augen. Seine Gesichtszüge wirkten so hart, das die Kommissarin sich nicht traute ihn anzusprechen. Ein schlechtes Gefühl stieg in ihr hoch, eine Ahnung, dass sie heute nichts als schlechte Dinge erfahren würde. Um sich nicht weiter mit dunklen Ahnungen aufzuhalten, lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf ihre Umgebung und versuchte zu erraten, wo sie hinfuhren. Doch sie kam zu keinem Schluss bis sie auf einen großen Parkplatz einfuhren, den sie zu kennen meinte. Da brach sie die Stille und fragte Robert, wo sie waren. Natürlich erkannte sie, dass sie sich bei einem Krankenhaus befanden aber weshalb war sie hier? Ihr Kollege antwortete nicht sondern stieg aus und öffnete ihr die Tür. Als Alex ausstieg bemerkte sie die glänzenden Augen ihres Kollegen. Sie schauderte bei diesem Anblick. Was war passiert? Hatte Robert etwas angestellt und wollte er, dass sie ihm half? Oder was hatte er gerade mit ihr vor, wohin gingen sie überhaupt? Sie beschleunigte ihre Schritte um endlich Antworten zu finden. 

Als sie in der Eingangshalle des Krankenhauses angekommen war, fiel ihr Blick auf die Uhr und sie zuckte zusammen.

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Gerrit war beinahe zwei Stunden überfällig und sie hatte noch nichts von ihm gehört. Abrupt blieb sie stehen und hielt Robert am Arm zurück. Seine verdunkelte Miene und die Tränen. Ihr schlechtes Gefühl und die Tatsache, dass Gerrit sie nicht zu ihrem Date abgeholt hatte. Das alles machte Sinn, wenn Gerrit etwas zugestoßen war. Leise fragte sie Robert danach, doch der riss sich nur wortlos von ihr los und marschierte weiter. Alex begann zu zittern und konnte beinahe nicht weiterlaufen. Warum sprach Robert nicht mit ihr? War Gerrit wirklich etwas passiert oder was war los? Immerhin waren sie im Krankenhaus und liefen nicht zur Leichenhalle – irgendwie beruhigte sie das. Wenn es Gerrit schlecht ging und ihm etwas zugestoßen war, musste sie es wissen, und zwar sofort! Grimmig beschleunigte sie ihre Schritte, bis sie Seite an Seite mit Robert das Krankenhaus betrat. Keine zwei Minuten später waren sie in der Notaufnahme angekommen und Robert sprach mit der Schwester während Alex ihren Blick  durch den Raum schweifen ließ in der Hoffnung das Gesicht ihres Freundes zu sehen. Sie fand ihn nicht und ihr wurde kurz übel und dann eiskalt. Ein Mann in weißem Kittel trat aus einer Tür zu ihrer linken, sprach kurz mit Robert und lief dann zielsicher auf Alex zu. Kurz erwartete sie, dass auch Robert nun näher trat und sich anhörte, was der Arzt zu sagen hatte, doch ihr Kollege blieb schweigend neben der Tür  stehen und sah ins Nichts. Alex konzentrierte sich jetzt nur auf den Arzt, der sie fast erreicht hatte. Der Mann setzte sich neben ihr auf die Bank, blickte sie mit klaren aber besorgten Augen an und nahm vorsichtig ihre Hand in seine: „Hören Sie, Frau Rietz. Ihr Kollege wurde in eine Schießerei verwickelt und dabei verletzt. Ich kann zum Glück sagen, dass er nicht am Herzen getroffen worden ist.“ Tränen der Erleichterung wollten aus der Kommissarin hervorbrechen, doch sie blinzelte sie weg, dann fuhr ihr Gegenüber fort: „Stattdessen ist die Kugel in die Lunge eingedrungen und dort stecken geblieben, dadurch hat er bereits viel Blut verloren. Er hat sehr großes Glück gehabt, dass Herr Ritter ihn so schnell gefunden hat. Herr Grass scheint durchaus noch atmen zu können, doch wir müssen die Kugel entfernen um wenn möglich einen dauerhaften Ausfall des Lungenflügels zu verhindern. Das ist aber unglaublich gefährlich. Wir können nicht versprechen, dass seine Lunge wieder gut heilen wird. Wir werden ihn operieren und den Lungenflügel wieder zusammenflicken. Wenn er die Operation gut übersteht, liegt alles Weitere an ihm selbst. Ich hoffe sehr, dass er dann die Kraft hat, sich zurück zu kämpfen. Er wird in diesem Moment gerade in den OP gebracht und meine Kollegen werden so sorgfältig wie möglich arbeiten. Tut mir leid, dass ich Ihnen nichts Angenehmeres sagen kann, Frau Rietz.“  Er strich ihr noch einmal behutsam über den Rücken und wandte sich zum Gehen. Alex sah ihm bedrückt nach, dabei gewahrte sie Robert, der immer noch wie versteinert drei Meter abseits stand und es immer noch nicht wagte in die Richtung seiner Kollegin zu sehen. Alex kämpfte sehr mit sich doch am Ende siegte die Sehnsucht nach einer Umarmung, nach jemandem, der sie in den Arm nahm und ihr gut zusprach. Also stand sie auf und stellte sich direkt vor ihn. Damit zwang sie ihn, sie anzusehen und als sie in seine blauen Augen blickte in denen so viel Trauer stand, konnte sie ihm nicht böse sein. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter und schlag die Arme um ihn während sich ihre Tränen endlich Bahn brachen. Robert legte die eine Hand um ihren Rücken und strich ihr mit der anderen über den Kopf während er ganz leise „Shh. Es wird alles gut.“ Flüsterte. Alex fühlte sich wieder wie ein kleines Kind und weinte so lange bis sie keine Tränen mehr hatte. Dann fühle sie sich so schwach, dass sie sich setzen musste. Robert half ihr auf die Bank und setzte sich neben sie. „Was genau ist eigentlich los? Wie kommt es, dass du ihn gefunden hast? Wir waren doch eigentlich verabredet, wieso hat er mir nicht gesagt, was er macht?!“ Alex war kurz davor zu schreien, sie wollte endlich wissen was hier gespielt wurde und weshalb  Gerrit verletzt war. Robert blickte sie verzweifelt an und rang nach Worten. „Bitte Alex, hör‘ mir zu, ich wollte das alles nicht! Jedenfalls nicht so, ich habe ihn doch nur um einen Gefallen gebeten und am Ende ist alles eskaliert.“ Die Kommissarin merkte, wie ihre Trauer verschwand und Wut Platz machte. Innerlich hielt sie die Luft an. Was jetzt wohl kam? Leise und beinahe hörbar knurrte sie: „Erzähl mir sofort was los ist. Ich will alles ganz genau wissen. Die Wahrheit – nur die reine Wahrheit, Robert, hörst du?.“ Und so erzählte ihr Robert alles, jedes Detail.

Bis ans Ende der Welt  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt