Kapitel 29 "Warten"

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Robert war zusammen mit Max in den Hof des Krankenhauses gegangen und hatte geprüft ob der Attentäter noch lebte. Leider war dem nicht so, was Robert beinahe klar gewesen war. Ein Sturz aus dieser Höhe konnte eigentlich nur tödlich enden. Der Kommissar rieb sich genervt die Augen. Also fehlte ihnen wieder einmal ein Hinweis, sie hatten zwar Christoph schützen können, hatten aber durch den Tod seines Angreifers keine Möglichkeit, Christophs Frau zu finden. Es war doch zum Haare raufen. Bei sich hoffte Robert, dass Gerrit wenigstens mit der Beschattung von Messimo Glück hatte, sonst sahen sie ganz schön alt aus. Max telefonierte gerade und forderte die Spurensicherung an und so ging Robert zum Auto und holte das Absperrband. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass Gerrit bereits einige Zeit überfällig war. Die Sonne fing schon an unterzugehen und bald war es Zeit für sein Date mit Alex. Robert hatte ebenfalls für die gleiche Uhrzeit ein Treffen mit Julia ausgemacht und wollte ihr reinen Wein einschenken, so wie er es mit Gerrit ausgemacht hatte. Wenn sein Kollege jetzt Alex versetzte, wäre Robert der einzige, der es mit einer wahrscheinlich wütenden Freundin aushalten müsste. Ob er das wollte? Andererseits hatte er Gerrit und sich selbst versprochen, dass er Julia die Wahrheit sagen musste. Am liebsten hätte er aufgestöhnt und wäre nach Hause gefahren aber er hatte noch zu tun, also ging er zurück in den Hof und sperrte die Unglücksstelle weiträumig ab. 

Während Max und Robert schweigend auf die Spurensicherung warteten, versuchte Robert seinen Kollegen Gerrit zu erreichen. Doch nach einer geraumen Zeit in der er nur das stete Rufzeichen hörte, ging nur die Mailbox ran. Robert runzelte die Stirn und beschloss den Bayer in zehn Minuten noch einmal anzurufen. Um den Fall etwas voranzubringen holte er noch seinen Notizblock mit Stift aus dem Auto und befragte die Krankenschwestern, ob sie was gesehen hatten und wenn ja was. Nachdem Max einen Kollegen der Streife zum Wachmann für den Unfallort organisiert hatte, folgte er Robert und übernahm die anderen Krankenschwestern und Ärzte. Beinahe eine halbe Stunde lief Robert von Schwester zu Arzt und nahm alle Aussagen auf. Mitten in einer Befragung klingelte auf einmal sein Handy und Robert war kurz davor, den Anrufer zu ignorieren, doch als er das Handy halb aus der Tasche gezogen und die Nummer gesehen hatte, entschied er sich schnell um. Mit einer Geste entschuldigte er sich bei der Krankenschwester, die er gerade befragen wollte und lief schnell ein paar Schritte weiter um seine Ruhe zu haben. Dann nahm er den Anruf an und fragte seinen Kollegen vergnügt: „Hey Gerrit, na alles klar?“ und erwartete, dass sein Kollege ebenso vergnügt klang, wie er. Doch leider hörte er den Bayer kaum, nur ein leises Röcheln und angestrengtes schnaufen. Zuerst dachte Robert, dass Gerrit sich einen Spaß mit ihm erlaubte oder einfach nur aus Versehen zurück gerufen hatte, während das Handy in der Hosentasche war. Vorsichtig stellte er die Lautstärke hoch um zu verstehen, ob sein Kollege nicht doch sprach oder den Anruf getätigt hatte, damit Robert ein Gespräch mithören kann. Schreck fuhr ihm in alle Glieder als er ein leises Fiepen hörte, eine Stimme, die Heiser klang und die unverständliche Sachen sagte. War Gerrit etwas passiert? Robert wollte wissen, was los war und stellte die Frage lauter an das Handy doch er konnte wieder keinen Ton verstehen. Gerade wollte er noch einmal Fragen, da vernahm er nur noch einen leisen, heiseren Hilferuf. Schockiert rief er nach seinem Kollegen und auf einmal war die Leitung tot. Irgendwer hatte aufgelegt. Was war passiert, war mit Gerrit alles in Ordnung? Wie sollte er ihn denn jetzt finden? Robert fiel nichts ein, was sollte er tun? Er musste unbedingt Gerrit finden, nur wie? Natürlich. Sein Handy orten, was sonst. Er rief Mia an und bat sie, dass sie das Handy seines Kollegen ortete. Mia war erstaunt: „Ich hab das Handy doch heute schon geortet, was ist denn los?“ Robert schlug sich mit der Hand an den Kopf. Natürlich! Er hatte das Ergebnis ja noch! Wie der Blitz saß Robert im Auto, gab den letzten Standpunkt ins Navigationssystem ein und brauste los. Zu Mia sagte er nur kurz angebunden: „Ich muss wissen, wo er jetzt ist. Mehr kann ich noch nicht sagen also bitte tu’s für mich. Und bitte sende mir gleich die aktualisierten Daten zu, wenn du sie hast. Danke!“ Dann legte er auf und konzentrierte sich darauf allen anderen Fahrzeugen auszuweichen und diejenigen, die zu langsam auf die Seite fuhren mit dem Fernlicht zu informieren, dass er es eilig hatte. Irgendwann auf halbem Weg rief Mia an und sagte ihm, dass sich Gerrit seit der letzten Ortung kaum bewegt hatte. Panik wollte von ihm Besitz ergreifen, doch Robert ließ es nicht zu. Egal was ihn an Gerrits Aufenthaltsort erwartete, er musste ruhig bleiben. Trotzdem betete Robert, dass seinem Kollegen nichts zugestoßen war. Er kam vor einer alten Lagerhalle zum Stehen, sprang aus dem Auto und machte sich eilig auf die Suche nach Gerrit. Er lief an einer alten Steinmauer entlang, wo er nach einiger Zeit eine Tür entdeckte. Sofort war er dort und rüttelte am Türgriff, doch die Tür bewegte sich keinen Zentimeter. Kurz musterte Robert das Türschloss, doch da es so neu aussah, versuchte er gar nicht erst die Tür aufzubrechen. Stattdessen rannte er an der Mauer weiter und suchte nach dem nächsten Eingang.

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Als er das Gelände beinahe zur Hälfte umrundet hatte, kam er zu einem großen Schiebetor, wo er locker drüber springen konnte. Vorsichtshalber prüfte er, ob er das Tor aufschieben konnte und zu seiner großen Überraschung bewegte es sich. Robert überlegte ob jemand vor ihm hier gewesen war und einfach nur vergessen hatte das Tor zu schließen oder ob derjenige es einfach eilig gehabt und unter Druck gestanden hatte. Er verwarf seine Überlegungen sogleich wieder, denn es konnte ihm herzlich egal sein, wer hier gewesen war, sein einziges Ziel bestand darin, Gerrit zu finden. Schnell eilte er weiter und begann nach seinem Kollegen zu rufen in der Hoffnung, dass er ihn hören konnte. Robert rannte inzwischen mit wildem Blick über das Gelände, links und rechts suchte er nach seinem Kollegen, der auf seine Rufe nicht antwortete. Robert war kurz davor zu verzweifeln, wo war Gerrit nur? War er entführt worden? Konnte er ihn daher nicht finden? Die Panik, die er bisher erfolgreich verdrängt hatte, schlug zu und Robert blieb stehen. Seine Hände zitterten als er einen letzten verzweifelnden Blick über den Platz warf. Am Rand der großen Halle zu seiner Rechten sah er etwas liegen und Robert rannte erneut los. Je näher er kam, desto klarer konnte er sehen, dass dort ein Körper lag. Als er nur noch drei Meter weg war erkannte er das braune Haar und die Gesichtszüge seines besten Freundes. Robert fühlte sich als würde ihm der Boden unter den Füßen weg gezogen als er sich benommen neben seinen Kollegen kniete. Dieser lag mit einer Hand auf der Brust auf dem Boden, die Augen geschlossen und den linken Arm neben dem Körper liegend. Zwischen Gerrits Fingern trat immer noch Blut hervor obwohl sein T-Shirt bereits nass war. Dieser Anblick verstörte Robert komplett. „Gerrit, scheiße Mann! Hörst du mich? Was ist passiert?“, fragte er panisch, obwohl er sah, dass sein Kollege bewusstlos war und nicht antworten konnte. Vorsichtig tastete Robert seinen Freund ab wobei er die Wunde in dessen Brust ausblendete. Er spürte einen schwachen Puls und schickte ein erleichtertes Stoßgebet zum Himmel. Dann fragte er sich, ob Gerrit das hier überleben konnte. Wenn sein Freund starb, war es seine Schuld! Er hatte Gerrit in die Sache hineingezogen. Er sollte hier liegen und nicht Gerrit! Wie konnte er das nur jemals wieder gut machen? Kurzzeitig wusste Robert nicht, was er jetzt machen sollte. Sein Kopf war wie leer gepustet und er konnte nur auf die Verletzung seines Kollegen starren. Er fühlte sich unglaublich alt und hilflos. Robert brauchte einige Minuten bis seine Ausbildung wieder griff und er sich die nächsten Schritte in Erinnerung rief. Hilfe. Er musste Hilfe holen, sagte sich der Kommissar und nahm sein Handy heraus um den Notruf zu wählen. Als er den Anruf getätigt hatte, setzte er sich neben seinen Kollegen und zog dessen Hand von der Brust weg. Die Wunde sah tief aus und es war viel Blut zu sehen. Was musste er nun tun? Richtig. Der Ort musste untersucht werden, alle möglichen Beweise mussten gesichert werden, damit sie herausfinden konnten, was passiert war. Also wählte Robert die Nummer seiner Kollegen der Spurensicherung und bat sie hier her. Erneut blickte er auf seinen Freund und wieder schloss sich eine eisige Hand um sein Herz. Vorsichtig nahm Robert die Hand seines Kollegen und drückte sie fest. Er wollte, dass Gerrit wusste er war nicht allein. Ein Wort tauchte in seinen Gedanken auf. Druck. Richtig, er musste die Wunde abdrücken um den Blutverlust zu mindern. Daher zog er schnell die Jacke, die er gleich auf den Boden warf, und das T-Shirt aus, welches er auf Gerrits Verletzung presste. Mit der anderen Hand ergriff er wieder die Hand seines Kollegen und stellte erschrocken fest, wie kalt diese war. Sein Ausbilder hatte ihm einst beigebracht, dass ein Mensch unter Schock, ob verletzt oder nicht, immer eine Decke gegen die Kälte bekam. Robert wusste, dass er eine Decke im Auto hatte aber sollte er seinen Kollegen hier einfach unbewacht liegen lassen? Das Risiko wollte er nicht eingehen. Was, wenn jemand kam, der Gerrit beseitigen wollte? Dann könnte er, Robert, nichts dagegen tun und es nicht verhindern. Nein, er würde hier bleiben und seinen Freund verteidigen, egal was es kostete! Da er nichts anderes bei sich trug als seine Jacke, breitete er diese über Gerrit aus und versuchte so viel von seinem großen Kollegen unter die Jacke zu bringen, wie möglich. Robert blickte sich aufmerksam um und hoffte, das Martinshorn zu hören, doch vergeblich. Er knirschte mit den Zähnen als er Gerrit ansah und ihm eine Stimme in seinem Kopf sagte „Es ist nur deine Schuld, wenn er stirbt!“ Energisch schüttelte der Kommissar den Kopf und vertrieb die Stimme. Sein Freund würde nicht sterben, das konnte er gar nicht. Dafür war er zu stark und zu dickköpfig.  Trotzdem stahlen sich Schuldgefühle in Roberts Herz und machten seine Brust eng. Die Sonne war gerade untergegangen, da rollte die erste Träne seine Wange herunter. So blieb Robert nur in Jeans bekleidet und mit den Tränen kämpfend auf dem Boden sitzen, hielt Gerrits Hand und wartete auf den Notarzt.

Bis ans Ende der Welt  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt