Kapitel 26 "Der Lauscher im Dunkeln"

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Es dauerte eine Weile bis Gerrits Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Zu Beginn sah er nur Schemen und hörte leises Flüstern. Er erschrak zutiefst und instinktiv duckte er sich, denn er meinte, Menschen in der Finsternis um ihn zu erkennen. Doch je mehr er in das Dunkel sah, desto schneller stellte er fest, dass das, was er für Personen gehalten hatte, einfach nur alte Kisten und Werkzeuge waren, die jemand mit Planen verhangen hatte. Langsam beruhigte sich sein Herzschlag wieder und Gerrit wagte es auch, aufzustehen jedoch nicht ohne tief Luft zu holen. Wenn ihm seine Fantasie jetzt schon einen Streich spielte, nur weil es um ihn herum dunkel war, na dann Prost Mahlzeit. Beinahe bereute er es, dass er alleine hier her gekommen war. Trotzdem musste er das jetzt durchziehen und wer wusste schon, ob dies nicht ihre einzige Chance war, die Machenschaften von Frank Messimo aufzudecken. Leise schlich sich der Kommissar von Kiste zu Kiste weiter und folgte den leisen Stimmen. Er verließ die Vorhalle und kam an einen Durchgang, der in einen weiteren Raum mündete. Behutsam schob sich Gerrit an der Wand entlang zum Eingang hin und lugte um die Ecke. Vor ihm lag eine Halle, die beinahe leer war. Am anderen Ende konnte er vier Personen ausmachen, die wohl lebhaft diskutierten, denn er konnte sehen, wie einer der vier weitläufig gestikulierte. Fieberhaft überlegte Gerrit, wie er das Gespräch nun mit anhören konnte. Sorgsam blickte er sich an seinem aktuellen Standort um und versuchte eine Möglichkeit zu finden, wie er ungesehen in den anderen Raum kommen konnte und dem Treffen beiwohnen konnte. Zu seiner Freude erblickte er an der Wand hinter ihm eine Wartungsleiter, die auf einen kleinen Sims unter dem Dach führte. Gerrit folgte dem Verlauf des Simses mit den Augen und sah sich im Glück, denn der Sims ging durch eine mannshohe Öffnung in den nächsten Raum. Wenn er also da hinaufkam, konnte er unter Umständen über den Männern sein und sie belauschen ohne entdeckt zu werden. Mit einem guten Gefühl schlich Gerrit hin, doch  noch bevor er die Hand an die Leiter legen konnte ertönte ein lautes Vibrieren, das ihn bis ins Mark erschrak. So leise wie möglich holte er sein Handy aus der Brusttasche und dankte seinem Schutzengel, dass das Handy nicht erst geklingelt hatte, als er auf der Leiter war. Hätte er die Brust mit dem Handy darin auch nur eine halbe Sekunde an der Metallstufe gehabt, hätte das einen Lärm gemacht, der allen im Gebäude anwesenden klar gemacht hätte, dass der Kommissar im Gebäude war. Zutiefst verärgert und immer noch leicht geschockt drückte er seinen Kollegen weg und stellte das Telefon auf lautlos. Dann machte er sich daran, die Stufen zu erklimmen und auf den Wartungsboden zu kommen. Die Leiter war an die neun Meter hoch und Gerrit war sehr froh, schwindelfrei zu sein. Oben angekommen musste der Kommissar erst einmal verschnaufen, denn leise diese Metallstufen hoch zu kraxeln war ganz schön anstrengend gewesen. Er saß oben auf dem Sims und blickte in die Richtung der heimlichen Versammlung. Viel konnte er in der Dunkelheit nicht erkennen aber es gab nicht viel, was ihn verstecken konnte. Aber er musste es riskieren, hier konnte er zwar bleiben nur leider würde er hier nichts weiter rausfinden. Da könnte er genauso gut nach Hause gehen. Also gab er sich einen Ruck und lief geduckt den schmalen Sims in Richtung der sich unterhaltenden Männer. Er war noch etwa zwanzig Meter weg, da trat er auf einen kleinen Stein, der unter seinem Fuß wegrollte und über den Sims nach unten fiel. Sofort warf sich Gerrit flach auf den Boden und hörte das atmen auf. Das „Ping“ mit dem der Stein auf dem Boden aufkam war gar nicht so laut wie der Kommissar befürchtet hatte, doch laut genug als dass die Männer unter ihm ihr Gespräch unterbrachen. Jedenfalls tat dies der Hauptredner, dessen dunkle Stimme sehr nach Messimo klang. 
Gerrit wartete bis die Stimmen wieder das Tuscheln begannen, dann zählte er bis zwanzig. Er schob sich leise weiter bis er sicher war, genug von dem Gespräch unter ihm mitbekommen zu können. Gerrit lag eine gefühlte Ewigkeit auf der Metallvorrichtung und lauschte angestrengt. Irgendwann war er mutig genug, sich zu bewegen und einen Blick nach unten zu werfen. Vorsichtig lugte er über den Rand und hielt die Augen beinahe ganz zugekniffen um ja keinem verirrten Lichtstrahl die Gelegenheit zu geben, ihn zu verraten. Frank Messimo forderte gerade einen großen, breiten Kerl ihm gegenüber auf, Bericht zu erstatten. „Kein Glück, Boss. Wir waren wie befohlen im Krankenhaus und haben das Zimmer ausfindig gemacht. Ich habe mich auf dem gegenüberliegenden Dach postiert und hatte den Verräter auch gut im Blick. Aber die haben einfach die Vorhänge zugemacht, als hätten sie gewusst, dass wir da sind. Vielleicht haben sie auch die Lasermarkierung meiner Waffe gesehen. Jedenfalls ist Jens im Krankenhaus geblieben und tut sein Möglichstes, Christoph kalt zu stellen. Außerdem hat er davon Wind bekommen, wo die Drogen sind. Sobald er Neuigkeiten hat, sagt er mir Bescheid.“Messimo nickte schweigend und der Breitling trat nervös von einem Fuß auf den anderen und warf dem Kerl neben ihm, der ebenso breit wie lang war einen bangen Blick zu. Sein Chef hatte augenscheinlich zwar keine Waffe bei sich aber allein die Angst vor einem Ausraster schien allen Anwesenden die Sprache zu verschlagen. Nach einer Ewigkeit brach Messimo die Stille und seine Stimme klang gefährlich ruhig: "Ihr sagt mir also der Kerl lebt noch und nur ein Mann arbeitet daran, dass er seinen letzten Atemzug tut? Habt ihr euch schon einmal überlegt was passiert, wenn er auspackt? Ich meine, noch haben wir seine Schlampe hier aber wir sollten uns nicht zu sicher sein. Die Bullen finden uns schneller als wir denken. Und jetzt schert euch vom Acker, ich will nicht, dass man uns hier zusammen sieht. Nicht dass mit der nächsten Fuhre etwas Ähnliches passiert. Haben wir uns verstanden?" Knurrte er am Ende. Die zwei Männer direkt vor ihm nahmen die Beine in die Hand und verschwanden aus der Halle.  Der dritte Mann trat aus dem Schatten hervor und stellte sich stumm neben Messimo. "Gut, dass du da bist. Hol schon einmal den Wagen und komm zum Haupteingang. Ich bin gleich da." Der Angesprochene machte eine angedeutete Verbeugung und verschwand aus Gerrits Blickfeld. Messimo holte sein Handy aus der Tasche und tippte kurz, dann machte auch er sich auf den Weg nach draußen.  Der Kommissar oben auf dem Metallweg wagte es erst sich zubewegen als er die schwere Feuerschutztür zufallen hörte und sich nichts mehr rührte. Vorsichtig richtete er sich in eine sitzende Position auf und schnaufte kurz durch. Leise zog er sein Handy heraus und schickte schnell eine SMS an Robert: Vorsicht! Ganove in der Klinik. Will Christoph und die Drogen. Melde mich wenn am Auto. Dann ließ der Kommissar das Handy in der Brusttasche verschwinden und machte sich höchst aufmerksam auf den Rückweg zu seinem Auto, wo er seinem Kollegen einen Lagebericht durchgeben wollte bevor er sich auf die Suche nach Christophs Frau begab.

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Robert hingegen war die ganze Zeit im Krankenhaus gewesen und hielt bei Christoph Wache. Der Anschlag auf das Leben seines Schwagers hatte ihm etwas klar gemacht: Messimo und seine Handlanger mussten Angst haben, dass Christoph auspackte, daher wollte er ihn zum Schweigen bringen. Robert war froh, dass die Schwestern so aufmerksam gewesen waren und die Rollos geschlossen hatten. Die Verlegung in das neue Zimmer war leise von Statten gegangen und Robert war zuversichtlich, dass keiner der Ganoven etwas mitbekommen hatte, selbst wenn einer von ihnen hier im Gebäude umherschlich. Trotzdem wollte er noch ein wenig hier bleiben und ganz sicher gehen. Um zu erfahren wie es Gerrit ging, wählte er seine Nummer, doch nach einigen Tönen des Freizeichens ging lediglich die Mailbox an. Robert wunderte sich zwar, immerhin hatten sie gesagt, dass sein Kollege dauerhaft Updates über seinen Aufenthaltsort geben sollte und Gerrit hielt sich normal an solche Abmachungen. Beunruhigt rief er Mia an und bat sie, seinen Kollegen zu orten. Er hatte sogar einen Kollegen als Verstärkung gerufen und der Streifenpolizist Johann bekam den Auftrag, vor Christophs Türe zu bleiben und niemanden hinein zu lassen. Ungeduldig lief der Kommissar im Gang vor dem Schwesterzimmer auf und ab und wartete auf eine Antwort von Mia. Als sein Handy endlich piepte und er eine SMS empfing war sie zu seiner Überraschung von Gerrit. Der Text machte Robert nicht wirklich Mut aber er nahm es gelassen hin und freute sich, dass sich sein Kollege gemeldet hatte und es ihm also gut ging. Keine Sekunde nachdem er Gerrits SMS gelesen hatte, trudelte die Handyortung seines Handys auf. Robert klickte Mias Nachricht weg und antwortete seinem Kollegen: In Ordnung, ich werde mich um Christoph kümmern. Pass auf dich auf und hol Verstärkung wenn du sie brauchst! Und melde dich!! Dann rief er mit seinem Handy die Zentrale an und forderte für sich noch einmal einen Kollegen mehr an. Dann setzte er sich auf eine Bank in der Nähe des Zimmers, schnappte sich eine Zeitung und beobachtete unauffällig seine Umgebung um etwaige Störenfriede schnell ausmachen zu können.

Alex hatte sich wie geplant hingelegt als sie heim gekommen war. Nach einem üppigen Schlaf, der ihre Lebensgeister etwas geweckt hatte, war sie nun rechtzeitig aufgestanden um sich schön zu machen. Nachdem sie erfolgreich ihre Augenbrauen verdunkelt und die Wimpern getuscht hatte, wartete sie in ihrer Wohnung auf Gerrits Anruf. Ihr Freund hatte ihr versprochen, sie zu ihrem Date abzuholen und war nun wirklich knapp dran, denn um Acht hatten sie den Tisch beim Griechen bestellt – und das war schon in zehn Minuten. Ungeduldig schaltete sie den Bildschirm ihres Handys ein und gleich darauf wieder aus, währenddessen sah sie auf die Uhr und hoffte auf eine Nachricht von ihm. Doch ihn anrufen wollte sie nicht, sie wollte nicht so ungeduldig wirken wie sie sich fühlte. Sie brauchte einen kühlen Kopf um die Fragen zu stellen, die ihr auf dem Herzen lagen. Immerhin wollte sie ihm nicht gleich Vorwürfe machen, sondern die Probleme ruhig und besonnen ansprechen. Um sich etwas abzulenken schaltete Alex den Fernseher ein und vertiefte sich in eine Action-Romanze. Alex schmunzelte. Wenn das nur in Echt auch so wäre, dass der Polizist alle rettete und unverletzt mit dem Mädchen im Arm aus der Gefahrenzone kam. Stattdessen verloren sie täglich Kollegen an Verbrecher, Polizisten wurden von einer Kugel getroffen und starben, nicht wie in dem Film. So viele liebe Kollegen hatte sie schon verloren, viele waren gestorben, ermordet worden und manche waren in Einsätzen so schwer verletzt worden, dass sie nicht mehr hatten arbeiten können. Alex machte sich abends immer Sorgen, ob am nächsten Tag vielleicht sie dran wäre. Natürlich waren solche Gedanken unsinnig. Sie konnte es in keinem Fall verhindern und Ängste hinderten sie nur an der Ausführung ihres Jobs. Wenn sie in einen Einsatz ging, hatte sie solche Befürchtungen tief verschlossen und dachte nur daran, wie sie ihren Mitmenschen helfen konnte. Und trotzdem trug sie die Angst immer mit sich herum und konnte sie auch nicht loswerden. Ob Gerrit auch solche Befürchtungen hatte? Das musste sie ihn bei Gelegenheit einmal fragen. Nur vielleicht nicht heute. Nach einem Blick auf die Uhr zog sie genervt ihre Jacke aus, setzte sich auf die Couch und vertiefte sie sich in  die Story, die im Fernseher kam, denn dort wurde es gerade spannend. Es fiel ihr überhaupt nicht auf, dass es bereits neun Uhr war und Gerrit sich immer noch nicht gemeldet hatte.

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