Im schwachen Licht seiner Taschenlampe sah Robert eine Frau sitzend, an eine Heizung gelehnt und eine Eisenstange in der Hand haltend. Im ersten Moment dachte Robert, dass sein Gegenüber bereits nicht mehr lebte, bis er ein leichtes Rascheln hörte und er sah, wie sich die Metallstange bewegte. Seine Taschenlampe war mehr auf den Boden gerichtet und er konnte die mehr als weibliche Rundung der Frau sehen. Die Gefangene vor ihm war schwanger und Robert versuchte es mit einem Namen. Leise wisperte der Kommissar: „Frederike?“Er hoffte inniglich, dass er hier die Vermisste gefunden hatte. Doch die Person vor ihm antwortete nicht. Stattdessen ertönte erneut dieser unheimliche Ton, der Robert erneut zusammenfahren ließ. Dieses Mal konnte er genau beobachten, wie die Eisenstange auf die Heizung nieder sauste und den metallenen Ton verursachte. Robert konnte sehen, dass die Person längere Haare hatte und war sich sicher, dass eine Frau vor ihm saß, daher sprach er sie erneut mit dem Namen Frederike an. Erneut war es leise in dem Raum und jetzt wurde es Robert zu bunt und er beleuchtete sein Gegenüber mit der Taschenlampe. Es war definitiv Frederike aber nun erkannte der Kommissar auch den Grund weshalb sie ihm nicht antwortete: Ein breiter Streifen Panzerband war ihr über den Mund geklebt worden, sodass sie keinen Ton herausbringen konnte. Wie der Blitz hatte Robert die Entfernung zwischen ihnen überwunden und befreite sie vorsichtig von diesem unangenehmen Knebel. Dabei bemerkte er, dass auch ihre Hände mit Panzertape aneinander geklebt waren. Wie sie es geschafft hatte an die Stange zu kommen, war ihm ein Rätsel aber als er die Handylampe auf ihre Hände richtete um zu sehen, wo er die Fesseln am besten durchtrennen konnte, bemerkte er, dass die Handgelenke teils aufgerissen und blutig waren. Sie musste schreckliche Schmerzen haben und das noch in der Schwangerschaft. Robert sah die Spuren der Tränen auf ihren Wangen doch als er Frederike ins Gesicht sah, konnte er keine Träne entdecken. Er hatte sich noch nie so richtige Gedanken über Christophs Frau gemacht. Wann immer er Christoph mit Julia besucht hatte, war sie die fleißige Hausfrau gewesen mit der sich aber hauptsächlich Julia unterhalten hatte. Er hatte sich dann mit Christoph über die Arbeit und Autos unterhalten, er hatte also keine zehn Wörter mit ihr gewechselt. Doch nun saß sie vor ihm, die Hände an eine Heizung gefesselt und sie zeigte keine einzige Gefühlsregung außer, dass ihre Augen hoffnungsvoll auf ihn gerichtet waren. Ihr Gesicht war verdreckt und die Haare filzig aber trotzdem war ihre Haltung wie die einer stolzen Frau. Sie war sehr stark, fand Robert. Wie oft hatte er schon Frauen aus irgendwelchen Kellern befreit und hatte alles gesehen, von völliger Hysterie bis totale Apathie, jede Frau hatte ihre Erfahrung anders verarbeitet. Doch niemand hatte so stoische Ruhe ausgestrahlt wie Frederike Hahn. Robert sprach zwar beruhigend auf sie ein, doch es war Christophs Frau, die sich sofort aufrichtete und zu ihrem Mann wollte kaum das Robert sie von ihren Fesseln und dem Knebel befreit hatte. Frederike war etwas schwach auf den Beinen und wäre beinahe gleich wieder umgekippt nachdem sie aufgestanden war. Doch zum Glück reagierte Robert schnell und hielt sie fest. Vorsichtig stützte er sie und begleitete sie vorsichtig durch das Gebäude in Richtung seines Dienstwagens. Am Auto angekommen bugsierte er die Schwangere ins Auto und gab ihr etwas zu trinken. Er schloss die Beifahrertür und bevor er selbst in seinen Wagen stieg, rief er Michael an. „Hi Michi, du wirst es nicht glauben aber ich habe Frederike Hahn gefunden! Sie war im Keller der Fabrikhalle eingesperrt. Sie sieht ganz gut aus aber ich werde sie zur Vorsicht ins Krankenhaus bringen und untersuchen lassen - außerdem will sie ihren Mann unbedingt sehen.“ Michael pfiff durch die Zähne. „Nicht schlecht, Kollege. Alex und ich werden uns gleich den Verdächtigen einmal vornehmen. Seine Akte sieht bislang gar nicht gut aus, vielleicht bekommen wir aus ihm etwas heraus. Kümmer du dich in der Zeit mal um die Frau. Wir sehen uns später im Kommissariat.“ Michael beendete das Gespräch und Robert stieg nun endlich in den Wagen und fuhr mit Frederike Hahn ins Krankenhaus.
Viele Kilometer weiter stand Dr. Axel Maurer in seiner Privatpraxis und sah bereits zum zehnten Mal auf die Uhr. Er erwartete heute ein Paket in dem sich ein Geschenk für seine Verlobte befand und er wollte heute Abend mit ihr ausgehen und ihr anschließend das Präsent übergeben. Was, wenn die Lieferung sich noch verzögerte? Dann wäre sein ganzer Plan hinüber und er musste alles stornieren. Nervös fuhr er sich durch die Haare. Und ausgerechnet heute hielten sich die Patienten zurück – seine Praxis war fast leer und die drei Patienten, die sich hier befanden waren Laborpatienten, denen Blut abgenommen wurde. Dr. Maurer war ein fleißiger Arzt, er hatte gerne zu tun und konnte nichts daran finden, sich ein kleines Golfset ins Büro zu stellen und aus Langweile zu golfen so wie manche seiner Kollegen es taten. Er seufzte und ließ sich auf seinen Stuhl fallen und überlegte sich gerade, wie er sein Büro umräumen konnte. Die Stimme seiner Arzthelferin, die aus der Sprechanlage kam, ließ ihn zusammenfahren. „Dr. Maurer, hier sind zwei Herren, die dringend einen Termin benötigen. Sie wollen sofort behandelt werden.“ Der Arzt runzelte die Stirn, sonst klang Frau Giebels Stimme nicht so gepresst, doch dann antwortete er kurz angebunden: „In Ordnung, schicken Sie sie herein.“ Es wunderte ihn, dass er nicht noch einmal ihre melodische Stimme hörte, die „Okay!“ rief. Das mochte er an seiner Sprechstundenhilfe: Sie hatte immer gute Laune, war voller Elan und hatte ihm schon so manchen unangenehmen Tag verschönert. Vielleicht hatte sie ja einen schlechten Tag heute. Axel Maurer sortierte schnell noch die Dinge auf seinem Schreibtisch und nahm eine aufrechte aber abwartende Haltung ein. Keine Minute später öffnete sich die Tür und seine Arzthelferin trat zögernd ein, dicht gefolgt von zwei Männern. Der eine war breit gebaut und muskelbepackt, das konnte man selbst durch seine Jacke sehen und der andere Herr war eher kleiner und nicht so gut gebaut. Zusätzlich hatte er die Hand über den Bauch gelegt und drückte augenscheinlich ein Tuch auf den Bauch. Sofort war der Arzt misstrauisch und beobachtete jede Bewegung der beiden Männer aufs Genaueste. Er wies sie an, sich zu setzen und schickte derweil Frau Giebel aus dem Raum. „Bitte kümmern Sie sich um die restlichen Patienten, ich möchte die Praxis heute pünktlich schließen.“ Die junge Frau nickte und huschte aus dem Zimmer, sie war sichtlich eingeschüchtert von den beiden Männern. Beinahe erwartete er, dass die Männer sich nun als Ganoven zu erkennen gaben und sie beide in diesem Raum einsperrten, doch nichts dergleichen geschah. Sobald die Tür sich hinter der Arzthelferin geschlossen hatte, stellte sich der Muskelprotz davor. Dr. Maurer konzentrierte sich daher auf den anderen Mann, der sich vorsichtig auf die Untersuchungsliege gesetzt hatte. Als Arzt merkte er sofort die Schweißperlen, die dem Herrn auf der Stirn standen, ein Beweis, dass es ihm nicht gut ging bzw. unter Umständen sogar eine Entzündung im Anflug war. Als er dann nach dem Namen fragte, zog der eine Kerl an der Tür eine Waffe heraus und bedrohte den Mediziner. „Keine Namen, mach einfach nur deine Arbeit.“, fauchte er und wedelte etwas mit der Pistole herum. Dr. Maurer rümpfte mehr angewidert als geschockt die Nase. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, jetzt wurde er auch noch erpresst, der Tag hätte nicht schlechter enden können. Aus irgendeinem Grund empfand er keinerlei Angst bei dem Anblick der Waffe sondern fühlte sich eher gelangweilt. Trotzdem gab er sich nicht so selbstbewusst, wie er tat, sondern versuchte etwas eingeschüchtert zu wirken. Scheinbar funktionierte es, denn als er erschrocken stammelte: „Alles, was Sie wollen aber ich muss noch meine Arzthelferin über zwei Patienten informieren und sie bitten, die Sachen zu erledigen, die ich jetzt nicht noch machen kann. Bitte darf ich kurz mit ihr sprechen?, erntete er nur einen verächtlichen Blick und ein Kopfnicken, was der Arzt als Zustimmung wertete. Er betätigte den Schalter der Freisprechanlage und als sich seine Sprechstundenhilfe meldete, sagte er: „Frau Giebel, bitte bestellen Sie noch neue Pflaster. Und rufen Sie bitte Herrn Katzenberger an und geben Sie ihm die aktuellen Werte durch. Ich kann mich heute erst einmal um keine weiteren Patienten kümmern, bitte schicken Sie alle weg. Vielen Dank.“Ein kleiner Schweißtropfen rann ihm die Stirn hinunter als er seine Aufmerksamkeit den Ganoven zuwandte und anfing, die Schusswunde zu behandeln.
Im K11 saß Alexandra Rietz in der Sitznische neben den Automaten und starrte in den Becher, den sie in den Händen hielt. Michael hatte sie vor ein paar Minuten einfach aus dem Verhörzimmer geworfen, weil sie den Verdächtigen angeschrien hatte. Dabei hatte Sie nur kurz die Nerven verloren als der Mann zum Ausdruck gebracht hatte, er würde sich freuen, wenn ein Polizist für die Einmischung der Polizei in fremde Angelegenheiten ins Gras beißen würde. Und damit hatte er Gerrit gemeint! Natürlich war ihr Kollege zur Stelle gewesen und hatte sie zurückgehalten aber Alex hätte dem fies grinsenden Ganoven gerne die Faust in der Magengrube versenkt. Und nun saß sie hier mit ihren eigenen Gedanken und einem inzwischen kalten Kaffee. Genervt rieb sich die blonde Kommissarin die Stirn. Es schlug ihr nicht nur auf den Magen, dass Gerrit im Krankenhaus war, sondern es machte sie auch fertig, dass sie nichts für ihn tun konnte. Während sie so da vor sich hin seufzte, trat Max telefonierend neben sie und hob den Zeigefinger, als würde er sie auf etwas aufmerksam machen wollen. „Ist in Ordnung, ich mache mich mit einem Kollegen auf den Weg.“, haspelte er noch ins Handy bevor er Alex an der Schulter packte. „Wir haben einen Einsatz und Steffi ist schon zu Hause. Hilfst du mir heute aus? Ich lad dich auch später auf einen Kaffee ein.“ Alex schmunzelte, Max war wirklich ein total netter Kerl. Keck erwiderte sie: „Also ich brauche kein Getränk, mir reicht es, wenn ich fahren darf.“Der Polizist machte ein Gesicht als würde ihm dieser Gedanke Höllenqualen bereiten und zog mit verzerrter Miene den Schlüssel aus der Hosentasche, den er Alex zuwarf. Diese fing ihn geschickt auf und drehte ihn noch einmal in den Fingern. „Auf geht’s, es geht um einen Überfall, jede Sekunde zählt!“, sagte Max noch, da war Alex schon auf halbem Weg zum Aufzug – zu glücklich war sie, dass sie sich ablenken konnte.Sponsor werden und Werbung komplett deaktivieren
Frederike Hahn hingegen wollte sich nicht ablenken lassen. Sie saß zwar im Behandlungszimmer und wartetet auf den Arzt aber würde Robert Ritter ihr nicht den Weg versperren, wäre sie schon lang auf und davon. „Ich will Christoph sehen. Wie geht es ihm? Ich muss zu ihm und mich vergewissern, dass er wohlauf ist.“ So ging das bereits eine Viertelstunde und Robert war genervt. Ihr Verhalten nagte an seinen sowieso schon angespannten Nerven, denn es ging ihm nicht anders, auch er wollte los – nur dass er wissen wollte, wie es Gerrit ging und ob er aufwachen würde. Endlich ging die Tür auf und die Ärztin kam herein. Sie stellte Christophs Frau allerlei Fragen und befand scheinbar, dass es ihr gut ging. Trotzdem ging sie auf Nummer sicher und begutachtete das Baby über Ultraschall. Schlussendlich war sie aber einverstanden, dass Frederike ihren Mann besuchen konnte. „Ich werde Ihnen etwas zu Essen und zu trinken aufs Zimmer bringen lassen, es ist wichtig, dass sie wieder zu Kräften kommen – vor Allem für ihr Ungeborenes.“ Das schien Frederike etwas zu Vernunft kommen zu lassen und so folgte sie Robert mit bemessenen Schritten. Dabei war sich Robert sicher, dass sie am liebsten losgerannt wäre. Der Kommissar brachte die Schwangere zu Ihrem Mann und lief danach zu Gerrits Zimmer. Sein Kollege lag immer noch an diverse Geräte angeschlossen im Bett und hob sich farblich beinahe nicht von den weißen Laken ab. Stumm setzte sich Robert neben seinen Freund und hielt ihm die Hand. Er hätte die Frau, die herein gekommen war beinahe nicht gemerkt, wenn sie nicht hinter ihm stehen geblieben und extra berührt hätte. Der Kommissar drehte sich langsam, wie im Schlaf um und blickte in tiefgrüne Augen, in denen Tränen glitzerten. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er verstand, wer da vor ihm stand und ihn anstarrte. Roberts Augen weiteten sich vor Erstaunen und er konnte nur noch ein Wort flüstern: „Julia.“
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Bis ans Ende der Welt
AdventureUrlaubszeit für Alex und Gerrit! Doch was als schöne Entspannungswoche gedacht war, entwickelt sich zu einer Zerreißprobe für das K11-Team. Jemand überschätzt sich und die Bestrafung lässt nicht lange auf sich warten