Kapitel 24 "Streit liegt in der Luft"

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Im K11 warteten die beiden Kollegen schweigend auf den Aufzug, der sie zu ihrem Büro bringen sollte. Robert starrte die Aufzugtüren an und wartete ungeduldig darauf, dass sie aufgingen. Gerrit hingegen sah sich das bunte Treiben um sich herum an: Er sah die ganzen Kollegen, die schwatzend auf den Ausgang zu liefen, die Kollegen der Nachtschicht, die zu spät waren und sich in das Gebäude hinein drängelten. Gerrit hasste es um diese Uhrzeit in der Arbeit aufzuschlagen, ihm war das große Gedränge zuwider. Er hatte gerne seine Ruhe, wenn er schon in die Nachtschicht musste. Aber ändern konnte er es jetzt gerade auch nicht mehr. Gerrit ließ seinen Blick weiter entspannt durch die Menge wandern und er wünschte sich wieder an den Strand, weg von dem ganzen Stress. Da sah er ein bekanntes Gesicht in der Masse auf ihn zusteuern: Max versuchte gegen den Strom der Hinausgehenden anzukommen und sich zum Aufzug durch zu kämpfen. Nach ungefähr einer Minute hatte er die Halle durchquert und blieb vor den Kommissaren stehen. Gerrit hob überrascht eine Augenbraue als er bemerkte, wie stark Max keuchte, es hörte sich an als wäre er gerade einen Marathon gelaufen. Gerrit wollte gerade laut Fragen, da hielt Max einen Finger hoch und stützte die andere Hand auf seinem Oberschenkel ab, während er nach vorne gebeugt den Rücken durchstreckte um besser atmen zu können. Nach einer halben Minute beruhigte er sich wieder: „Sorry Jungs, aber ich hab aktuell so total den Schnupfen und atmen ist eine Qual. Ich suche euch, weil Mia schon zwei Mal angerufen hat während ihr nicht da wart. Sie hat wohl etwas gefunden und wollte mit euch sprechen.“ Da Robert nicht den Anschein machte als würde er etwas anderes tun als weiter die Wand vor sich anstarren, versprach Gerrit, dass er sich mit der IT-Dame in Verbindung setzen würde. Max rauschte von dannen und der Aufzug kam. „Kommst du mit, Robert? Wir können ja gleich runter fahren.“, schlug Gerrit vor, doch sein Kollege sagte nur kurz angebunden: „Ne, ich will ins Büro, muss noch etwas nachsehen.“. Dann drückte er die Taste des richtigen Stockwerks und ließ seinem Kollegen ungefähr zwei Sekunden um sich zu entscheiden, ob er mit wollte. Gerrit entschied sich für draußen bleiben und war schon auf dem Weg zur Treppe während der Aufzug seinen Kollegen nach oben transportierte. Gerrit nahm mit Absicht die Stufen, dass er seine Ruhe hatte. Er wunderte sich sehr über Roberts Verhalten. Es war ihm schon klar, dass ihn die Sache sehr mitnahm aber Gerrit war schließlich da um ihm zu helfen. Weshalb verschloss er sich nun auch vor Gerrit? Es musste an irgendetwas gelegen haben, was Christoph gesagt hat. Doch zum weiterüberlegen blieb ihm keine Zeit mehr, denn er stand bereits vor Mias Tür. Zögernd klopfte er und öffnete nach Aufforderung die Tür. Mia blickte kaum von ihrem Schreibtisch auf sondern tippte schnell etwas in den PC, wählte auf ihrem Telefon eine Nummer, doch machte keine Anstalten den Hörer in die Hand zu nehmen. Stattdessen redete sie einfach los und Gerrit brauchte ein wenig bis er schnallte, dass sie ein Headset trug: „Ja Ferdinand, ich hab das Handy des Gesuchten in der Schwedensteinstraße geortet. Laut Bewegungsprofil ist er da seit 10 Minuten nicht mehr weg. Vielleicht erwischt ihr ihn noch. Viel Glück!“Dann drehte sich Mia zu ihm herum und sagte mit einem Glitzern in den Augen: „Was stehst du da an der Tür herum? Ich beiße nicht. Naja meistens jedenfalls. Komm her, ich muss mit dir reden.“Sie klopfte mit ihrer Hand auf den Stuhl neben ihrem. Gehorsam setzte sich der Kommissar und wartete ab, was Mia von ihm wollte. Seine Kollegin ließ ihn etwas warten und klickte so schnell an ihrem PC herum, dass Gerrit fast nicht hinterher kam. Irgendwann hatte sie ein Bild aufgerufen, schob es auf den Bildschirm, der Gerrit am nächsten war und vergrößerte es. Auf ihrem anderen Monitor kam eine Excel-Datei zum Vorschein, die der Kommissar aber nicht lesen konnte. Daher konzentrierte er sich auf das Foto und begutachtete die Personen darauf. Alle waren in sommerlichem Outfit gekleidet und hielten je eine Flasche in der Hand. Es sah prinzipiell ganz entspannt aus, doch als Gerrit die Männer genauer ansah, bekam er eine Gänsehaut: Auf dem Bild befanden sich sowohl Frank Messimo als auch der Tote aus der Flughafensiedlung. 

Seine Gedanken mussten sich auf seinem Gesicht wiedergespiegelt haben, denn Mia blickte ihn triumphierend an: „Hab ich es doch gewusst, du kennst da auch jemanden!“ Verwirrt blickte Gerrit zu ihr und fragte, wer noch jemanden erkannt hatte. „Na Alex natürlich.“, antwortete seine Kollegin lächelnd. „Sie war es auch, die das Bild gefunden und mir vorbei gebracht hat. Sie meinte, sie kennt einen der Typen darauf, doch sie kann nicht einordnen woher. Und du siehst gerade aus, als hättest du ein Gespenst gesehen. Da muss doch ein Zusammenhang sein.“ Gerrit war etwas neunruhigt, wen hatte Alex gemeint zu kennen? Hatte sie Massimo doch am Flughafen gesehen und ihn auf dem Foto wiedererkannt? Oder kannte sie einen der anderen Männer auf dem Bild? Hatte sie am Ende den Toten aus der Flughafensiedlung gekannt oder ihn nur erkannt? Wusste sie jetzt, dass Gerrit ihr etwas verheimlicht hatte? Er riss sich aus seinen Spekulationen und fragte Mia weiter aus: „Woher hat sie das Foto? Wen hat sie darauf erkannt? Oder wen meint sie zu kennen? Hast du noch irgendwelche anderen Informationen für mich?!“ Mia hob abwehrend die Hände, so sehr irritierte sie das Interesse des Kollegen. „Hey Gerrit mach mal langsam. Wenn du so viel wissen willst, warum sprichst du nicht einfach mit Alex? Die kann dir sicher mehr sagen als ich jetzt. Ich kann dir nur sagen, dass einer der Nachbarn der Familie scheinbar nicht der ist, der er vorzugeben scheint. Alex meinte, dieser Typ hier hätte ihr die Türe geöffnet...“ Sie deutete auf Messimos Gesicht, dann tippte sie einen kurzen Befehl am Computer und eine Personalakte erschien. Gerrit trat etwas näher an den Bildschirm heran um den Namen zu entziffern: Johann Pfeifer stand dort zu lesen und ein langgezogenes Gesicht mit tief sitzenden Augenbrauen und einem schmalen Mund blickten ihm entgegen. Mia setzte ihren Satz derweil fort: „Und dieser Kerl hier ist der eigentliche Eigentümer dieses Hauses. Sie sehen sich nicht wirklich ähnlich, was meinst du? Kennst du einen der beiden?“ Gerrit blickte auf den Bildschirm, vermeintlich um sich den Herren genauer anzusehen. Doch in Wahrheit raste sein Verstand und er überlegte verzweifelt, wie er nun am unverfänglichsten antworten konnte. „Könntest du noch einmal auf das Bild schalten? Ich bin mir sicher, dass da ein Toter von uns drauf ist.“, sagte er schließlich. Gerrit nickte dann überdeutlich und deutete auf den Mann ganz rechts: „Den hier haben wir gestern tot in der Flughafensiedlung gefunden. Aufgeschnitten, wahrscheinlich war er Bodypacker und musste deshalb sterben.“Mia nickte etwas gedankenverloren und schreckte hoch, als ihr Telefon auf einmal laut klingelte. Sie warf Gerrit einen entschuldigenden Blick zu und hatte ihr Headset bereits wieder aktiviert. Das Gespräch dauerte nicht lange aber es schien wohl dringend, denn als Mia aufgelegt hatte, wandte sie sich an den neben ihr stehenden Kommissar: „Sorry Gerrit, ich hab jetzt gleich einen wichtigen Termin und kann dir nicht weiter helfen. Aber wenn ich dir einen Tipp geben darf, dann fahrt doch noch einmal zu dem Herrn Pfeifer und befragt den einmal. Vielleicht findet ihr ja etwas heraus. Ach und bevor ich es vergesse, hier ist noch die Adresse der Handyortung von Christoph Hahns Handy – Alex hatte mich darum gebeten.“ Mit diesen Worten stand sie auf, gab ihrem Kollegen einen Zettel und kaum war Gerrit ebenfalls aufgestanden, hatte sie ihn schon mit sich aus dem Raum gezogen und die Tür abgesperrt. „Tschüssi!“, rief sie noch, dann sprintete sie mit wehenden Haaren die Treppen hinauf und ließ den Kommissar zurück. Gerrit hatte nicht die geringste Lust jetzt mit Robert irgendwohin zu fahren, da dieser so geniale Laune hatte. Trotzdem rief er seinen Kollegen an und teilte ihm mit, dass sie noch einmal zu Christoph nach Hause fahren und den Nachbarn befragen würden. Gerrit setzte sich ins Auto und wartete auf Robert. Keine fünf  Minuten später erschien der Kollege mit immer noch versteinerter Miene. Sobald Robert sich angeschnallt hatte, fuhr Gerrit los. Der ältere der beiden hatte das Radio angeschaltet, denn er hätte es nicht ertragen, wenn während der ganzen Fahrt nur geschwiegen wurde. Also hörten sie der Witzelei der Radioreporter zu, die gerade wieder das Oktoberfest aufs Korn nahmen. Ein paar Mal schien es Gerrit als wollte sein Kollege mit ihm sprechen, doch jedes Mal schloss er den Mund wieder und seine Miene war erneut wie aus Stein. 
Gerrit schickte drei Stoßgebete zum Himmel als sie endlich in der Färberstraße angekommen waren. Er stieg aus dem Auto aus und ihm fröstelte. Ob das nun am Wetter lag oder an seiner jetzigen Situation, das vermochte er nicht zu sagen. Trotzdem zog er seine Jacke etwas enger, als er zum Nachbarhaus der Hahns lief. Die Straße lag in tiefster Stille da und mit Schrecken stellte Gerrit fest, dass es bereits nach zehn Uhr abends war. Aber was sollte er schon anderes tun, jetzt waren sie schon hier und sollten es wenigstens probieren. Also klingelte er und wartete ab, wer ihm die Tür öffnete – falls überhaupt. Robert stand neben ihm und knetete nervös die Finger. Die beiden Kommissare drehten sich um und wollten gerade die Stufe zum Gartentor wieder hinuntersteigen, da ging hinter ihnen die Haustür auf.  „Wer sind Sie und warum klingeln Sie mitten in der Nacht bei mir?“, schnauzte sie der Mann an, der in einen Bademantel gehüllt vor ihnen stand. Gerrit beeilte sich, seinen Ausweis heraus zu holen und sich und Robert vorzustellen. „Herr Pfeifer, nehme ich an?“ Der angesprochene nickte und wirkte immer noch verärgert. „Natürlich, wer sollte ich denn sonst sein.“, murrte er, doch Gerrit ließ nicht locker. „Dann erinnern Sie sich sicher an meine beiden Kollegen, die heute bei Ihnen waren, oder?“, fragte er lauernd. Nun würde sich herausstellen, was hier mit ihm und Messimo gelaufen war. Oder Alex hatte sich getäuscht aber das glaubte er nicht, dafür sahen sich dieser Pfeifer und Messimo nicht ähnlich genug. Herr Pfeifer schien sich aber an die Kollegen zu erinnern: „Ach ja, natürlich. Der großgewachsene, glatzköpfige Mann, der mich so nett befragt hat. Klar erinnere ich mich.“ Gerrit bohrte nach: „Und der zweite Kollege? Wie sah der aus?“ Diesmal runzelte sein Gegenüber die Stirn und antwortete aber kurz darauf: „Naja der hatte etwas kürzere, brünette Haare und war etwas kleiner. Aber der stand auch weiter hinten, den konnte ich nicht erkennen.“, brachte er hervor. Gerrit entging nicht, dass er sich nervös durch die Haare fuhr. „Ja genau, die beiden Kollegen waren heute hier und wollten von Ihnen wissen, ob Sie von Ihren Nachbarn etwas mitbekommen haben. Ist Ihnen denn schon etwas eingefallen oder haben Sie etwas mitbekommen?“ Herr Pfeifer verneinte schnell: „Nein, leider nicht. Ich war den Tag über mit meinen Bowlingkollegen unterwegs, daher habe ich nichts Neues gesehen.“ Hätten Sie denn ein Bild von Ihren Bowlingkollegen?“, fragte der Kommissar zuckersüß. „Was soll das, warum fragen Sie mich so etwas?! Verdächtigen Sie etwa mich? Mir reicht es, erst kommen Sie mitten in der Nacht, wecken mich und jetzt muss ich mir auch solche Anschuldigungen anhören! Verschwinden Sie, bevor ich mich vergesse!“, donnerte der Hauseigentümer nun und schloss mit einem dumpfen Knall die Türe. Missmutig starrte Gerrit auf die Tür, die ihn und den Lügner trennte. Er war sich sicher, dass Messimo heute früh hier gewesen war und diesem Pfeifer nur erzählt hatte, wer da war. Dass er auf die Finte mit dem Kollegen hereingefallen war, bestätigte dies nur. Robert brach nun das allererste Mal sein Schweigen: „Na toll. Und was jetzt?? Du hättest ruhig etwas feinfühliger sein können, jetzt wird der garantiert nicht mehr mit uns reden.“, maulte er seinen Kollegen an. Gerrit musste sich wirklich zusammen reißen, um seinen Freund nicht anzubrüllen. Stattdessen versuchte er ruhig zu bleiben und einzig seine etwas zitternde Stimme verriet, dass er kurz vor der Explosion stand: „Der Kerl verheimlicht uns etwas. Er war auf keinen Fall hier als Alex und Michael heute hier waren. Ich musste versuchen ihn aus der Reserve zu locken. Du hättest ja ruhig auch etwas beitragen können.“ Robert gab nur noch ein genervtes Geräusch von sich und stiefelte zum Auto zurück und Gerrit folgte ihm mit geballten Fäusten. Die ganze Autofahrt herrschte eisiges Schweigen zwischen den beiden Freunden.

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Wieder im Kommissariat schwiegen sich die beiden Kommissare an, denn keiner wusste so richtig, was er nun sagen sollte. Keiner wollte zu diesem Zeitpunkt derjenige sein, der nachgab. Beide tippten an ihren Computern herum und Gerrit schrieb seinen Bericht über den Flughafenmord weiter. Die Zeit verflog und es wurde draußen bereits wieder hell, sodass Robert irgendwann den Vorschlag machte, man solle doch nach Hause fahren. Gerrit stimmte seinem Kollegen zu und so verabschiedeten sie sich relativ kühl voneinander. 
Während Gerrit sich daheim ins Bett gelegt hatte, hatte sich Robert noch ein Bier genehmigt und spielte auf seinem Laptop Solitär. Er war zwar hundemüde, doch sein Hirn spielte verrückt. Er war nervös wegen Julia. Heute Abend würde er ihr erzählen, was mit ihrem Bruder los war und was seine Rolle darin war. Dass er ihr Dinge verheimlicht hatte und sein möglichstes tat um Christoph zu schützen. Was würde sie sagen? Wie würde sie reagieren? Konnte sie ihm so etwas verzeihen? Das einzige, was den jüngsten Kommissar beruhigte war, dass Gerrit es ihm gleich tun und auspacken würde. Gerrit war sein Vorbild in so vielen Sachen, er hatte die Erfahrung als Kommissar, war menschlich ein Prachtkerl und sorgte sich immer um seine Mitmenschen. Und auch Robert gegenüber hatte er immer ein gutes Wort gefunden, egal wie schlecht die Situation auch sein mochte. Robert schöpfte Kraft daraus, dass sein Freund ähnliches durchmachte wie er. Nachdem Robert das dritte Spiel hintereinander verloren hatte, beschloss er, nun doch ins Bett zu gehen. Er erwachte keine halbe Stunde später wieder, da sein Handy einen ohrenbetäubenden Krach machte. Als sich Roberts Schreck und Irritation legten, merkte er, dass sein Klingelton schuld an dem Lärm war. Wer rief ihn um diese unchristliche Uhrzeit an? Es war gerade ein mal 9 Uhr und er hatte Nachtschicht! Beinahe genervt ging er ans Telefon. „Ja, Ritter?“ Seine Miene wandelte sich in Sekundenschnelle von sauer zu tief erschrocken und er würgte hervor: „In Ordnung, wir sind unterwegs!“ dann legte er auf, weckte seinen Kollegen und war wie der Wind im Auto.

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