Kapitel 38 "Dafür sind Freunde da"

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Alex rannte los sobald sie aus dem Zimmer war und stürmte mit langen Schritten an ihren beiden Kollegen vorbei, die vor der Tür warteten und ihre Kollegin irritiert vorbei flitzen sahen. Michael erhob sich sofort und lief Alex in Richtung der Treppen nach, währen Robert wir gelähmt beobachtete, wie die Krankenschwestern geschwind ein Gerät in Gerrits Zimmer schoben, ein Arzt hinter ihnen her eilte hinter diesem sofort die Tür geschlossen wurde. Robert stand geschockt auf und wollte zum Zimmer gehen, klopfen, durch die Tür preschen, irgendetwas tun um zu sehen was mit Gerrit war, doch eine Schwester versperrte ihm den Weg, fasste ihn am Handgelenk und zog ihn in die Sitznische zurück. Sie drückte ihn auf den Stuhl, brachte ihm einen Schluck Wasser und setzte sich so vor ihn, dass ihr Gesicht die Tür verdeckte. Robert versuchte den Kopf so zu drehen, dass er die Türe weiterhin im Blick haben konnte, doch egal wie er den Hals verrenkte, immer war da die Krankenschwester. Widerwillig blickte er sie mit grimmigem Blick an, was wusste sie schon. Warum hinderte sie ihn daran, zu wissen, wie es seinem Kollegen ging? Doch als er die Krankenschwester ansah und ihren mitleidigen und einfühlsamen Blick bemerkte, da begannen die ersten Tränen ihre Bahn über sein Gesicht zu ziehen. Es war ihm unangenehm, dass seine Emotionen ihn vor der Schwester überkamen, doch er konnte die Tränen auch nicht zurück halten. Er hatte den Defibrillator gesehen, das Herz seines Kollegen hatte also ausgesetzt. So viel wusste er von der Medizin - auch, dass es eine Frage der Stärke eines Herzens war, ob der Patient wieder aufwachen würde oder nicht. War das der Grund dafür gewesen, dass Alex so fluchtartig das Zimmer verlassen hatte? Hatte sie nicht mit ansehen wollen, wie ihr Freund wiederbelebt wurde? Inbrünstig hoffte Robert, dass sein Kollege ein starkes Herz hatte. Und wenn Gerrit nun sterben sollte, war es seine Schuld. Also verbarg er voller Scham den Kopf in den Händen und weinte stumm vor sich hin. Einzig seine bebenden Schultern verrieten Außenstehenden, dass er weinte. Plötzlich spürte er eine Hand auf dem rechten Schulterblatt und blickte irritiert hoch. Die Krankenschwester hatte ihm eine Decke gebracht, sie über ihn gelegt und tätschelte ihm nun beruhigend den Rücken. Gerne hätte Robert ihr gesagt, dass sie aufhören könnte, er war Polizist und war schockierende Ereignisse gewöhnt. Doch in diesem Moment war es schön einmal Privatperson zu sein, sich die Augen darüber auszuweinen, dass sein bester Freund in diesem Moment um sein Leben kämpfte. Also hielt sich Robert nicht zurück und erst als seine Tränen versiegten und er merkte, wie er vom Flüssigkeitsverlust Kopfweh bekam, hob er den Blick wieder. Durch den Tränenschleier konnte er das Glas Wasser vor sich gut sehen und aus dem Augenwinkel sah er die Silhouette der Krankenschwester neben sich. Gierig schlang Robert das Wasser herunter und wischte sich anschließend mit beiden Händen über die Augen. Sein Blick wurde wieder schärfer, daher sah er, dass ihn die Schwester lächelnd anblickte. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, die er hier gesessen hatte und sich die Augen aus dem Kopf geheult hatte. Kurz überlegte der Kommissar, ob er wirklich einen so erbärmlichen Anblick bot, dass er sie belustigte und wollte die Frage gerade stellen, da sprach die Frau schon mit ihm. „Ihr Freund ist wach. Es geht ihm nicht gut und er ist sehr schwach aber wenn Sie mir versprechen, dass Sie ihn nicht zu sehr aufregen, können sie zu ihm. Sollten sie ihn überanstrengen, werfe ich Sie eigenhändig aus dem Zimmer.“ Den letzten Satz hörte Robert kaum, denn er hatte der Schwester schon die Arme um den Hals geworfen und drückte sie an sich. Leise flüsterte er „Danke.“, bevor er sich aus der Umarmung löste und in das Zimmer seines Freundes stürmte.

Alex hingegen lief immer noch ungebremst weiter. Sie hatte das Krankenhaus schon lange hinter sich gelassen und lief einfach an der Straße entlang ohne groß über ein Ziel nachzudenken. Sie wusste, dass Michael ihr folgte, aber aktuell konnte sie nicht stehenbleiben und über ihr Problem sprechen. Doch irgendwann ging auch ihr die Puste aus und so wurde sie langsamer bis sie an einem Kinderspielplatz stehen blieb und sich auf eine Holzbank setzte. Tränen verschleierten ihre Augen als sie geradeaus starrte, doch nahm sie wahr, dass Michael mit großen Schritten auf sie zu kam und sich neben sie setzte. Er machte keine Anstalten mit ihr zu reden oder ihr in irgendeiner Weise näher zu kommen, stattdessen saß er einfach nur stumm neben Alex und gab ihr mit seiner Anwesenheit Ruhe. Nach ein paar Minuten seufzte die Kommissarin und legte ihren Kopf auf Michaels Schulter. Erst dann legte ihr Kollege den Arm um sie und drückte sie an sich. Alex musste kurz lächeln. Ihr bester Freund wusste genau, dass sie Abstand brauchte bis sie selber bereit war auf jemand anderen zuzugehen. Michael stellte auch keine Fragen sondern wartete geduldig, bis sie Worte für das fand, was sie bedrückte. Doch gerade wollte Alex nicht sprechen, sie brauchte ihre Ruhe und hoffte, dass ihre Gedanken sich endlich beruhigten. Schon hatte sie die Stirn gerunzelt und die Arme verschränkt. Michael hatte wohl gespürt, dass Alex nichts sagen würde und so sprach er stattdessen von etwas belanglosem: „Der Doc Alsleben hat uns für heute Abend zum Essen eingeladen. Er will uns seiner neuen Flamme vorstellen – ich habe ja gehört, dass es eine Kollegin aus dem ansässigen Privatkrankenhaus ist. Robert bringt Julia mit und ich wollte dich fragen ob du meine Begleitung machen möchtest?“ Alex, die den Kopf immer noch an die Brust ihres Kollegen gelegt hatte, musste erneut lächeln. Der Doc mit seinen Frauen. Alex wartete auf den Moment an dem Christian Alsleben endlich unter die Haube kommen würde. Er hatte aber auch immer Pech, dass er an Damen geriet, die nicht zu ihm passten. „In Ordnung, ich komme mit, ich glaube die Ablenkung wird mir gut tun. Ich habe Gerrit vorhin gesagt, dass ich nicht weiß, ob ich ihm verzeihen und weiter mit ihm zusammen sein kann.“, sagte Alex während ihre Stimme immer leiser wurde. Besorgt blickte Michael seine Kollegin an, der schon wieder Tränen in die Augen traten. „Er hat mir so weh getan, Michi. Er hätte einfach nur einen Piep sagen müssen, dann hätten wir zu viert die Sache durchstehen können. Aber nein, er hat uns angelogen und ist jetzt im Krankenhaus, hat im Koma gelegen und ist mehr als schwach! Wie soll ich ihm vertrauen können, wenn er mich in wichtige Dinge nicht einweiht? Warum hat er nur nichts gesagt. Ich bin so stinkwütend auf ihn, ich würde am allerliebsten in ihn rein prügeln, dass er Mist gebaut hat. Aber als ich ihn verlassen habe hat sein Herzmonitor ganz schrecklich gepiept. Michi ich habe Angst, dass ich Gerrit so sehr zugesetzt habe, dass er stirbt!“, schniefte Alex und verbarg ihr Gesicht in seiner Brust. Ihr Kollege drückte sie fest an sich und strich ihr sanft über das Haar. „Shh.  Es ist alles gut. Gerrit ist ein bärenstarker Kerl und wird wieder gesund. Da bin ich mir ganz sicher, wirst schon sehen. Ich gehe aber davon aus, dass er längere Zeit brauchen wird, bis er wieder zur Arbeit erscheinen wird. Er braucht Ruhe, Reha und vor allem wieder Training. Vielleicht auch noch einmal ein Seminar über die Grundlagen der Teamarbeit.“, versuchte Michael sich an einem Witz. Und tatsächlich munterten seine Worte Alex etwas auf. Der glatzköpfige Kommissar fuhr fort: „Außerdem kannst du dir dann in Ruhe klar werden, was du möchtest und ob du ihm verzeihen kannst. Ich werde dafür Sorge tragen, dass Gerrit dich in der Zeit auch in Frieden lässt, wenn du das möchtest. Einverstanden Kleines?“ Alex richtete sich auf um ihren besten Freund kräftig zu umarmen. „Danke, Michi.“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Ein Grinsen breitete sich auf Michaels Gesicht aus als ihm eine Idee kam: „Na komm, ich fahr dich heim, dann kannst du endlich einmal wieder schlafen. Und vorher holen wir uns noch eine leckere Pizza von Luigis.“ Und einander fest im Arm haltend machten sich die beiden Kommissare auf den Weg zurück zum Krankenhaus.

 Dort saß Robert immer noch neben seinem Kollegen und knetete seine Hände. Gerrit hatte ihm gerade erzählt warum Alex den Raum so stürmisch verlassen hatte und in seine Stimme schlich sich Schmerz. Robert hatte seinen Kollegen noch nie so gesehen. Seine Wangen waren eingefallen, sein Atem ging ziemlich flach und auch die sonst so glücklichen Augen des Bayern hatten ihren Glanz verloren. Gerrit würde es niemals offen zugeben aber dass Alex ihn jetzt verlassen hatte war so ungefähr das Schlimmste, was ihm seit langer Zeit passiert war. Er fühlte sich sehr schwach, konnte kaum richtig atmen und sein Herz fühlte sich an als wäre es in 1000 Teile zersprungen. Was in gewisser Weise stimmte, wie Robert ihm erzählt hatte – immerhin hatte der Arzt ihn wiederbelebt, da waren schon so einige Volt durch sein Herz hindurch gejagt worden. Robert hingegen saß neben Gerrit und schwieg immer noch. Er wusste nicht, wie er seinem Freund jetzt helfen konnte und für das, was ihm einfiel fand er keine Worte. Jedenfalls keine die in seinen Ohren bedeutungsvoll waren. Schuldgefühle fraßen sich durch seine Eingeweide und er hasste es seinen besten Freund so am Boden zerstört zu sehen: Mit blasser Haut, eingefallenen Wangen und trüben Augen. Nur wie in Gottes Namen konnte er seine Fehler wieder gut machen? Ob Alex mit sich reden ließe? Nein, er kannte Alex. Wenn sie sich dafür entschlossen hatte Gerrit zu verlassen, dann konnte sie erst einmal niemand davon abbringen und vom Gegenteil überzeugen. Er fuhr schrecklich zusammen als auf einmal der Arzt neben ihnen stand – Robert hatte ihn nicht hereinkommen hören. Der Mediziner räusperte sich: „Hallo Herr Grass, schön Sie wieder zu sehen. Ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern aber wir hatten vor drei Jahren schon einmal das Vergnügen. Damals hatten sie aber nur eine Schusswunde im Bauch und waren entgegen meiner Anweisungen viel zu schnell auf den Beinen. Davon kann ich Ihnen diesmal aber nur abraten, denn Ihr Körper ist extrem geschwächt und es ist zwingend notwendig, dass Sie sich an meine Vorgaben halten – zwei Wochen absolute Ruhe. Kein Einkaufen, kein Sport und keine weiteren Anstrengungen. Danach können Sie langsam in die Reha einsteigen, hierfür sollten sie durchaus acht bis zehn Wochen einrechnen. Ich zähle hierbei vor allem auf Sie, Herr Ritter.“, wandte er sich dann plötzlich an Robert: „Bitte bringen Sie Ihren Kollegen zur Vernunft und helfen Sie ihm regelmäßig in die Reha-Klinik. Es ist wichtig für seine Genesung, vor Allem wenn er wieder in seinen Job zurück will.“ Robert nickte und sah dann seinen Kollegen an, dessen Gesicht wie versteinert war. Es war ihm anzusehen, dass er mit den Anweisungen des Arztes nicht einverstanden war. Robert wusste wie ungern Gerrit untätig war. Der Arzt gab Gerrit noch ein paar Tipps mit und verließ den Raum. Gerrits Augenbrauen waren inzwischen so nah aneinander, dass sie einen Strich bildeten. Robert redete auf ihn ein und tat sein Möglichstes um seinen Kollegen zu motivieren und tatsächlich: irgendwann lächelte Gerrit auch wieder. Kurze Zeit kehrte Stille zwischen den beiden ein und jeder hing seinen Gedanken nach. Irgendwann seufzte Gerrit laut und fuhr sich mit beiden Händen über die Augen um seiner Verzweiflung Herr zu werden. „Was ist nur los mit mir? Ich habe das Gefühl gerade hängt mein ganzes Leben aus den Angeln. Mein Körper ist total am Ende und ich habe Alex wohl für immer verloren. Ich bin so ein Idiot, sie war mit das Beste, was mir hätte passieren können und ich habe alles kaputt gemacht. Ach Robert, wie soll ich denn jetzt nur weiter machen?“ Robert nickte zerknirscht und tätschelte seinem Kollegen den Arm. Es gelang ihm, seine Schuldgefühle zu verdrängen und einen positiven, überzeugten Gesichtsaufdruck aufzusetzen. : „Ich weiß noch nicht wie genau es weiter geht, dafür ist alles zu Ungewiss. Du wirst das machen was dein Arzt dir vorgeschrieben hat und dann alles so nehmen wie es kommt. Aber bei einer Sache kannst du dir sicher sein: Egal welche Herausforderungen auf dich warten, ich werde dir in jedem Fall beistehen. Du bist nicht alleine, Mann!“ Gerrit war ziemlich gerührt und drückte Robert die Hand bevor er leise sagte: „Danke, Robert. Mit einem Freund wie dir an meiner Seite schaffe ich es wirklich bis ans Ende der Welt.“

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