Gerrit Grass setzte den Blinker, stellte sein Auto am Rand der Straße ab und stieg aus. Er streckte sich und blinzelte in das grelle Sonnenlicht. Der Kommissar war froh endlich aus seinem Wagen heraus zu kommen, denn das Autofahren strengte ihn immer noch etwas an. Wenigstens musste er inzwischen nicht mehr mit Krücken durch die Gegend laufen, sondern konnte auf den eigenen zwei Beinen gehen. Seit vier Wochen kämpfte er sich durch die Reha – sein Physiotherapeut ging nicht gerade zärtlich mit ihm um und auch Robert hing ihm im Nacken und trieb ihn an. Er war seinem besten Freund halb dankbar, halb hasste er ihn. Es gab Tage da sehnte sich Gerrit nach etwas Ruhe, einem kühlen Bier und seiner Couch doch jedes Mal war sein braunhaariger Kollege nach seiner Schicht in die WG gekommen und hatte ihn zum spazieren gehen genötigt. „Babysteps, Gerrit. Jeden Tag ein kleines Bisschen laufen und in ein paar Wochen bist du wieder fit. Du darfst nur nicht faul werden!“, mit diesen Worten hatte er ihn auf die Straße geschoben und ihm somit keine Wahl gelassen. Aber Gerrit musste sich im Nachhinein eingestehen, dass Robert Recht gehabt hatte. Es war ihm langsam aber sicher besser gegangen und auch die Anfangs so harten Physiotherapie-Stunden schlauchten den Kommissar nicht mehr als ein normales Workout. Seit Anfang dieser Woche hatte Gerrit sich fit genug gefühlt um einkaufen zu gehen und er hatte nicht einmal Pause machen müssen. Vor einem Monat hatte er noch den Anspruch an sich gehabt sofort wieder auf den Beinen zu sein aber sein Körper hatte das nicht mit gemacht. Er war wohl doch alt geworden. Durch seine Verletzung war er zudem etwas genügsamer geworden: Er war stolz darauf, dass er einen Meter mehr gehen konnte als den Tag vorher und nahm sich für den nächsten Tag erneut einen Meter mehr vor. So hatte er sich bisher motivieren können. Robert hatte ihn lange Zeit von der Tatsache ablenken können, dass Gerrit so wie er beinander war, definitiv nicht weiter als Polizist arbeiten konnte.
Doch diese Erkenntnis war dem Bayer eines Abends beim Ansehen eines Fernsehfilms gekommen. Er hatte Bruce Willis dabei beobachtet wie er sich über eine Mauer hievte und einen feindlichen Spion zu Boden warf um ihn anschließend zu vermöbeln. Grinsend hatte Gerrit sich an das eine Mal erinnert als er mit Robert im Trainingsraum gerungen hatte. Damals hatten sie wissen wollen wer der Stärkere von ihnen war. Gerrit hatte knapp gewonnen – und das auch nur wegen seiner guten Antizipation. Er hatte Roberts Schlag ins Leere laufen lassen und ihn sofort in den Schwitzkasten genommen bis Robert schließlich aufgegeben hatte. Allein der Gedanke an dieses Erlebnis hatte ihn kichern lassen. In diesem Moment hatte er beschlossen sich ein Bier aufzumachen und wollte in die Küche gehen. Doch er war mit dem Bein kurz am Sofa hängen geblieben und sein Körper hatte ihm plötzlich den Dienst versagt. Gerrits Bein war weggeknickt, dann war er umgefallen wie ein Stein und als er auf dem Boden lag, hatte er sein Herz wie verrückt hämmern gehört. Bewegen hatte er sich nicht und so starrte Gerrit hilfesuchend im Raum umher, doch natürlich war niemand da der ihm hätte helfen können, nicht einmal Falk war da gewesen. Und sein Handy war natürlich im Schlafzimmer gelegen, unerreichbar. Eine Stimme in seinem Kopf hatte hämisch geschnarrt: „Da liegst du nun, schwach und hilflos. Nur noch ein Häufchen Elend ist von dem strahlenden Kommissar übrig.“ Gerrit hatte so etwas nicht hören wollen, die Stimme sprach Dinge aus, die er nicht wahrhaben wollte und als er gemerkt hatte, wie das Gefühl in seine Arme zurückkehrte, hatte er sich wie ein Kind die Ohren zugehalten. Doch die Stimme hatte unbeeindruckt in ihm weiter gekichert: „ Ein kleines Kind hätte dich umwerfen können, wie willst du überhaupt wieder arbeiten? Wie glaubst du wirst du einen Verbrecher fangen können? Die werden dich auslachen! An einen Schreibtisch verbannen und dich dort verrotten lassen. Dein Team wird sich jemanden suchen, der mehr aushält. Und Alex wird einem Schwächling wie dir niemals verzeihen!“ Tränen waren aus Gerrits Augen geströmt und Verzweiflung hatte ihn gepackt, denn die Stimme hatte Recht. Er war ein Schwächling, er hatte Alex und seine Kraft verloren, einfach alles was ihn je Stolz gemacht hatte. Und wenn er nicht bald Fortschritte machte würde er seinen Job ebenfalls verlieren. Und da hatte er beschlossen ab jetzt doppelt so hart zu trainieren. Er trieb sich härter an und zwang sich zu viel mehr, er begann lange Strecken zu laufen und startete zu Hause mit Fitness, bis ihm sein Physiotherapeut ein absolutes Sportverbot erteilte. „Herr Grass, wenn Sie so weiter machen ruinieren Sie sich Ihre Gesundheit! Entweder Sie hören jetzt auf mit all dem Schwachsinn und befolgen meine Anweisungen oder Sie können sich einen neuen Job suchen.“ Nur dank Roberts Hilfe – sein Kollege hatte sich extra ein paar Tage für ihn frei genommen – hatte er es geschafft zu einem normalen Rehabilitationstraining zurück zu kommen. Und heute fühlte er sich endlich wieder gut. Es fielen ihm zwar noch einige Dinge schwer und nach einer halben Stunde durchgehenden Laufens musste er eine kurze Pause machen, doch sein Herz erholte sich bereits wieder und wurde stetig stärker, das hatte ihm der Arzt bereits bestätigt. Jedenfalls physisch ging es seinem Herzen gut. Seitdem er das letzte Mal mit Alex gesprochen hatte waren bereits sechs Wochen vergangen und immer wieder stahl sich ein Schmerz in seine Brust, wenn er an ihre wunderschönen Augen dachte.
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Bis ans Ende der Welt
AdventureUrlaubszeit für Alex und Gerrit! Doch was als schöne Entspannungswoche gedacht war, entwickelt sich zu einer Zerreißprobe für das K11-Team. Jemand überschätzt sich und die Bestrafung lässt nicht lange auf sich warten