Ich hatte Papa alles erklärt. Nun saßen wir am Tisch. Er trank einen Tee. "Wieso bist du dann nicht früher zu mir gekommen?", fragte er mich. "Ich bin noch nicht lange wach. Ich war gestern Nacht bei Denno. Er wusste von allem. Und dann, direkt in der nächsten Nacht, bin ich zu dir. Aber ich wurde gewarnt." "Gewarnt?" Papa nippte an seiner Tasse. "Du darfst niemanden erzählen, dass ich ein Vampir bin. Das ich sozusagen, Lebe. Jeder der von der Existenz weiß, ist in Gefahr. Ich will nicht, dass du auch ein Vampir wirst." Ich sah von ihm ab. Irgendwann würde ich meinen Vater sterben sehen. Genauso wie Denno. Wie Hilde und Ina. "Ich muss es für mich behalten? Nicht mal Hilde?" Er seufzte. "Wenn das nur einer weiter erzählt, sind wir Vampire am Arsch." Ich wollte kein weiteres Risiko eingehen. Papa nickte. "Wirst du mich denn besuchen?", fragte er dann traurig. Ich lächelte. "So oft ich kann. Nur werde ich ans Fenster klopfen. Wenn mich ein Nachbar im Aufzug sieht, bin ich geliefert. Oder besser, wir." Papa gluckste kurz auf. "So erwachsen kenne ich dich gar nicht." Grinsend boxte ich gegen seinen Arm. "Ich werde für immer sechszehn bleiben. Nie erwachsen." Papa grinste. Dann erlosch sein Lächeln. "Du sag mal, wenn du ein Vampir bist. Trinkst du Menschenblut?" Er musterte mich forsch.
Ich hielt inne. Ein unangenehmes Thema. "Bis jetzt nicht", antwortete ich dann etwas eingeschüchtert. "Ich dachte, vampire brauchen jede Nacht Blut." Er war verwirrt. Und ich überfordert. "Naja, dass ja. Eigentlich ja. Aber ich will keinen Menschen beißen. Bis jetzt habe ich nur ein Huhn und ein Kaninchen gehabt." Ich fühlte mich, als würde er mich maßregeln wollen. Als hätte ich eine schlimme Tat verbrochen und würde jetzt Ärger bekommen und noch irgendeine Strafe dazu. Papa schauderte. "Ich kann mir das gar nicht vorstellen." Er trank nochmal etwas Tee. "Konnte ich mir auch nicht. Aber ich muss was zu mir nehmen, weil ich sonst wirklich sterbe. Ebenso, wenn ich in die Sonne gehe oder mir jemand ein Pflock durchs Herz rammt. Viel aus Filmen und Büchern ist wirklich wahr. Aber viel ist auch Quatsch. Zum Beispiel, können wir uns nicht in Fledermäuse verwandeln. Das war das Erste, was Manuel mir erklärt hatte, als wir uns kennengelernt haben." Ich schmunzelte bei der Erinnerung. "Kann ich deinen Freund denn auch mal Kennenlernen? Ich meine, wenn ihr wollt. Wenn er will. Wenn das geht." Papa rieb sich den Daumen. Ihm wurde das Gespräch unangenehm. "Ich rede nachher mit ihm, okay?" Ich lächelte, woraufhin Papa nickte.
Wir redeten noch lange über mein Leben als Mensch. Über Papa, Hilde. Und dann gingen wir in mein Zimmer. Er hatte wirklich alles so gelassen. Selbst die dreckige Kleidung auf meinem Stuhl. "Ich hätte es für immer liegen gelassen. Alles so stehen gelassen, bis ich sterbe", murmelte Papa und setzte sich auf meine Bettkante. "Kann ich etwas Kleidung mitnehmen? Und vielleicht paar Bücher." Ich ging zu meinem Regal und nahm eins heraus, was ich lesen wollte aber nie angefangen hatte. "Natürlich. Du kannst auch immer vorbei kommen, wenn du mal Fernsehen willst oder eine DVD schauen möchtest." "Danke Papa." Ich lächelte und klemmte mir mein Buch unter mein Arm. Dann ging ich zum Kleiderschrank und nahm meinen Lieblingspullover heraus. Ich hatte schließlich noch die Kleidung an, die Papa mir für die Beerdigung angezogen hatte. Ich stockte. Die er mir angezogen hatte. "Du Papa?", fing ich also zögerlich an. "Ja?" Er blickte von einem Foto auf. Ein Foto von mir und Denno, welches neben der Lampe stand. "Als ich, als ich tot war. Wer hat mir das angezogen?" Ich machte eine Gestik auf meine Kleidung. "Ich und Hilde."
Würde es gehen, würde mir mein Blut ins Gesicht schießen. Er hatte mich gewaschen, mich ausgezogen und angezogen. Er hatte mich Nackt gesehen. Stocksteif stand ich vor meinem Kleiderschrank und sah ihn an. Papa fing an zu lachen. "Keine Sorge. Nur die Hose, Socken, Schuhe und dein Hemd. Das Bestattungsinstitut hat dich vorbereitet. Dafür war ich nicht Stark genug." Papa stellte das Foto wieder zurück. Erleichtert stieß ich die Luft aus. "Dann ist ja gut." Ich band mir den Pullover um die Hüfte und zog mir einen anderen über. "Ich muss dann auch fliegen", meinte ich im Anschluss. Papas Blick wurde traurig. "Ich lass dein Fenster offen, damit du Nachts reinkommen kannst." Papa stand auf. "Nein. Ich klopfe. Nicht, dass einer der anderen herkommt und dich leertrinkt. Lass die Fenster zu. Und wenn du da bist, sehe ich es ja. Ich klopfe einfach." Ich ging auf Papa zu und nahm ihn liebevoll in den Arm. "Ich liebe dich, Paddy", schnaufte er dann. Ich drückte meinen Vater näher an mich. Das hatte er nie gesagt. Nie. Und jetzt tat er es. Und es bedeutete mir die Welt. "Ich dich auch, Papa. Bis demnächst."
Mit den Worten löste ich mich von ihm, ging zu meinem Fenster, öffnete es und schwang mich raus. Aber bevor ich flog, drehte ich mich noch mal um und sah ihn an. Er stand da am Fenster und lächelte. "Hab einen schönen Tag", sagte ich dann noch. Papa grinste und wünschte mir eine "Gute Nacht". "Das heißt, guten Tag." Lachend wackelte ich mit den Armen und flog davon. Ich fühlte mich befreit. Der Druck in meiner Brust war weg. Ich hatte Papas Leid beendet. Nun konnte er wieder glücklich sein. Grinsend flog ich weiter und weiter. Ich lachte auf, machte einen Looping und flog dann, mit dem Rücken nach unten, richtung Friedhof.
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Leben als Vampir
FanfictionZweiter Teil von meiner Geschichte "Der Vampir" Es lohnt, den ersten Teil vor diesem hier zu lesen. Patrick, der Junge, der sich in einen Vampir verliebt hat und somit viele Risiken eingegangen ist, ist nun selbst einer der blutsaugenden Wesen gewor...