Die längste Etappe

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Wir hatten unsere Kissen und die Decke wieder in die Taschen verstaut und hatten uns auf den Weg gemacht nach Zabrze. Die Sonne war gerade erst untergegangen und es war noch relativ viel los auf den Straßen von Berlin. Auch schien es Wochenende zu sein. Manuel flog mit mir extra weit oben, damit ich das Blut der Menschen nicht riechen konnte. "Wie lange noch, bis wir was trinken?", fragte ich ihn. Ich musste fast schreien. In dieser Nacht nieselte es und der Wind peitschte uns pfeifend um die Ohren. "Ein Stück hinter der Grenze zu Polen ist ein Bauernhof. Du wirst aber weiter weg warten. Ich werde dir etwas bringen, was ich finde. Ich will dich nicht in Gefahr bringen!" Der Wind schluckte seine Worte und ich musste mich anstrengen ihn zu verstehen.

So flogen wir schweigend ein Stück über die dunklen Wälder und der erleuchteten Autobahnen. "Hier runter." Manuel ging in den Sinkflug. Ich erkannte am Boden ein großes Bauernhaus, zwei riesige Scheunen und Wiesen, auf denen Kühe standen. Sie rochen ein wenig nach Karamell.

Manuel und ich landeten auf dem Dach der Scheune, die am weitesten vom Wohnhaus entfernt war. Er legte seine Tasche ab und sah mich an. Kurz klapperte er überlegend mit den Zähnen, trat dann aber auf mich zu und legte seine zierliche Hand an meine Wange. "Warte hier. Versprich mir, dass du auf keine dumme Ideen kommst. Ich beeile mich und bringe dir was." Er gab mir einen lieblichen Kuss. "Ich warte." Ich zwang mir ein Lächeln auf die Lippen. Manuel lächelte mir ebenso zu und ging dann zum Rand des Daches, um runterzuspringen.

Zähneknirschend setzte ich mich auf meine Tasche drauf, damit mein Hintern nicht nass wurde. Am liebsten wäre ich mitgeflogen, um sofort das warme Rot zu trinken und somit das Brennen und Kratzen zu löschen, welches seit dem Aufwachen in meinem Hals war. Doch ich wusste, dass es für mich und für Manuel sicherer war, wenn ich warten würde.

Und ich wartete eine halbe Ewigkeit, bis Manuel mit einer Babykatze in der Hand anflog. Er landete neben mir und stolperte einen Schritt. Es sah fast so aus, als würde er die Katze fallen lassen. "Eine Katze?", fragte ich in quietschender Stimme. Ich war geschockt. "Das einzige, was ich gefunden habe. Sie wird es aushalten. Es darf nur nicht so viel sein. Ich selbst habe auch nicht viel gehabt. Das Kind ist aufgewacht. Aber egal. Jetzt trink, wir haben es eilig und ich muss das Vieh auch noch zurück bringen." Er schritt auf mich zu und ich roch das Kätzchen. Dessen junges Blut. Meine Augen wurden trocken. Ich schluckte, was das Kratzen in meinem Hals nur verschlimmerte. Ich blendete aus, das es sich um ein Baby handelte, aus dem ich trank. Ich blendete aus, das ich es wohl umbrachte, als ich trank.
"Gut." Manuel entriss mir das Kätzchen, welches kläglich nach seiner Mutter schrie. Ich starrte auf das Tier, welches noch lebte. "Du hast es geschafft. Warte hier, ich bring es zurück zu seiner Mama. Ich hoffe die schlägt mich nicht." Und schon schwang er sich empor.
Ich war Stolz auf mich und ich hatte in Manues Blick erkannt, dass er es auch war.

Als Manu wiederkam, griff er sofort nach seiner Tasche. "Lass uns los. Es zählt echt jede Minute. Wir haben echt Glück, dass es so lange dunkel bleibt. Im Sommer wäre es schwieriger gewesen."

Wir flogen weit. Und bald fing es auch an zu schneien. Unter uns erstreckte sich eine wunderschöne Schneelandschaft. Lange hatte ich nicht mehr so schönen Schnee gesehen. Lächelnd flog ich, mit dem Blick nach unten, bis Manuel mein glückliches Staunen unterbrach. "Scheiße", ächzte er. Ich schaute nach links, zu ihm. Und im selben moment, klappten ihm die Augen zu und sein Körper erschlaffte. Wie ein erschossener Vogel rauschte er Richtung Erdboden.

Erschrocken folgte ich ihm. Ich versuchte so schnell ich konnte zu fliegen. Ihn zu erreichen. Doch er hatte eine Geschwindigkeit angenommen, die kaum zu übertreffen war. Durch den Wind waren meine Augen voller Tränen. Und dann fiel mir etwas ein. Wie ein Falke, hatte Manuel mal gesagt. Ich presste meine Arme an meinen Körper und versuchte mich Windschnittig zu machen. Und tatsächlich funktionierte es. Ich erreichte Manuel, ergriff seinen Körper und versuchte ihn abzubremsen, was mir nur mit Mühe und Kraft gelang. Ich krallte ihn so fest und drehte mich in der Luft, sodass er sich über mir befand. Und zusammen krachten wir in einen Schneeberg.

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