Willkommen in der Familie

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Ich hörte Geräusche. Etwas, was in die Erde stach. Dann Stimmen. Ich spitzte die Ohren. Die Stimmen erinnerten mich an jemanden. Es war eindeutig die Stimme von Manuels Bruder. Ich schlug gegen das Holz des Sarges. "Hallo?", schrie ich durch es hindurch. "Patrick?" Ich seufzte auf, als ich Manuels Stimme hörte. Ich wurde befreit. "Holt mich raus!" Ich wackelte nervös mit meinen Zehen. Dann hörte ich einen Knall, der mir in den Ohren stach. "Ich mach auf. Schließe deine Augen, damit keine Erde reinrieselt." Ich schloss meine Augen. Dann wurde der Deckel meines Sarges geöffnet. Kühle Luft blies mir ins Gesicht. "Gute Nacht, der Herr." Ich öffnete meine Augen und sah in das Gesicht von Manuel. Er hielt den Sarg offen und grinste mich breit an. Früher, als Mensch, hätte ich vermutlich nur seine schemenhafte Gestalt erkannt. Aber nun sah ich ihn, wie am Tage. "Manuel", hauchte ich, richtete mich auf und fiel ihm in die Arme. Fest umschlang ich seinen Oberkörper. Er fühlte sich warm an. 

"Beeilt euch mal. Wir müssen das Grab wieder zu machen, bevor uns jemand bemerkt." Unsere Zweisamkeit wurde durch das Grummeln eines Vampirs unterbrochen. "Wir müssen deinen Sarg herausheben", murmelte Manuel und drückte mich sachte von sich. Ich nickte bloß und stand dann auf. Meine Beine waren Eingeschlafen. "Du nimmst die Seite, ich die." Manuel stellte sich an das Fußende des Sarges. Zusammen hievten wir die schwere Holzkiste an und reichten sie seinen Bruder. Er zog sie auf den Weg, vor meinem Grab. Dann griff Manuel mich an der Hand und flog empor, um mich neben meinem Grab abzusetzen. "Du hast ganz schön lange gebraucht wach zu werden", sagte Manuel zu mir, während er eine Schaufel griff. "Wie lange?", fragte ich. Dabei fiel mein Blick auf meinen Grabstein. Ein Tag vor meinem siebzehnten Geburtstag war mein Todesdatum. Ich schluckte. Mein Vater musste vollkommen fertig sein. 

"Fast zwei Wochen." Manuel schnaufte. Er und sein Bruder schaufelten mein Grab zu. "Zwei Wochen", wiederholte ich flüsternd. Zwei Wochen litt er schon. "Ja, das ist ziemlich lange. Wir vermuten, weil dir das Genick gebrochen wurde. Das dauert, bis das Serum die Verletzung geheilt hat." Ich legte meine Hand an meinen Nacken. Deshalb schmerzte er so. "Was, wer?", fragte ich Manuel. Er stoppte mit dem Schaufeln und ließ seinen Bruder allein weiter machen. Manuel steckte die Schaufel in den Boden und kam auf mich zu. Seine Hände waren voller Erde. "Du bist auf den Friedhof gekommen. Stephan hat dich erwischt, wollte aus dir trinken. Da hast du gesagt, du wurdest gebissen. Und laut Regeln, muss jeder, der gebissen wurde, sofort zum Vampir werden. So auch du. Und jetzt bist du hier. Aber es steht dir." Manuel strich mir eine kurze Strähne aus der Stirn. "Was?" Ich war verwirrt. "Durchaus interessant." Manuel steckte seinen Finger an meinen Mund und hob meine Oberlippe an. Ich zuckte mit dem Kopf zurück und wischte mir die Erde von der Lippe weg. "Was?", fragte ich wieder nur. "Erinnerst du dich daran, als ich dir mal erzählt hatte, dass die Vampirzähne erst wachsen?" Manuel schnappte sich wieder die Schaufel. "Ja." Ich runzelte die Stirn. "Deine Zähnchen sind schon ziemlich lang, dafür das du gerade frisch aus dem Ei gepellt bist." Nun grinste der Vampir frech. 

Ich tastete meine Zähne ab. Tatsächlich waren sie beachtlich lang. Vielleicht sogar fast einen Zentimeter. "Krass", murmelte ich. "Wir machen das Loch jetzt zu, legen die Kränze wieder rauf und dann bringen wir deinen Sarg in die Gruft. Du musst schließlich noch was trinken. Sonst kommst du morgen Nacht gar nicht aus dem Sarg. Und ich habe keine Lust dir was bringen zu müssen." Er kratzte den letzten Rest Erde zusammen und schippte ihn auf mein Grab. Sein Bruder, der unser Gespräch nur Still belauscht hatte, legte die Kränze auf mein Grab zurück. "Du nimmst die Schaufeln." Manuel streckte seinem Bruder die Schaufeln hin. Dieser nahm sie Wortlos und ging voran. "Du hinten, ich vorne. Hinten ist er leichter." Manuel ging zum Sarg und hob ihn an. "Nun komm." Erwartungsvoll sah er zu mir. Schnell ging ich, noch immer mit leicht wackeligen Beinen, zu meinem Sarg, hob ihn an und trug ihn gemeinsam mit Manuel hinter Peter her, bis zur kleinen Kapelle, durch eine Hintertür, dann die Treppe herunter, bis hin zu einem größeren Raum. In ihm roch es modrig. Aber es roch gut. 

In dem Raum waren Kerzen verteilt. Und auf den Särgen saßen noch weitere Vampire, die mich allesamt anlächelten. Eine stand sogar auf und kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu. Manuel und ich setzten meinen Sarg ab und sofort umarmte mich der fremde Vampir. "Willkommen in der Familie, Patrick." Sie rieb mir den Rücken. Ihr Geruch erinnerte mich an die Blumenabteilung in einem Baumarkt. "Ich bin Monika, Manuels Mutter." Sie lächelte mich an. Ihre Zähne waren länger als die von Manuel. "Mich kennst du ja schon", grinste Peter mich an. Er wusch sich gerade die Hände in einer Art Brunnen. Ich nickte. "Du mich eigentlich auch. Ich habe dich umgebracht. Stephan." Der Vampir reichte mir die Hand. Mein Mörder. Der Grund, wieso ich jetzt schon ein Vampir war. Doch ich schüttelte seine Hand.

"Ich bin Sebastian, das ist Andrea." Ein Vampir, der Ähnlichkeiten mit Manuel hatte, lächelte mich an. Andrea sah eher aus wie eine Frau, die zu viele Bücher las. Ich nickte ihnen zu und sah dann zu den restlichen Vampiren. Eine ältere Dame trat hervor. "Ich bin der Obervampir. Willkommen in der Familie. Die Regeln werden wir besprechen, wenn du fit genug bist. Du solltest nun schnell deine erste Nahrung zu dir nehmen. Manuel, das erledigst du." Sie sprach hochnäßig. "Sicher, Großmutter. Komm Patrick." Manuel griff mich an der Hand und zog mich zu seinem Sarg. "Hier. Der Umhang. Denno war so nett ihn aus deinem Zimmer zu holen." Er nahm den schwarzen Umhang aus seinem Sarg heraus und gab ihn mir. "Wie gehts Denno?", fragte ich ihn. "Das bereden wir draußen. Jetzt komm." Manuel ging schnell voran. Unsicher folgte ich ihm die Treppe empor. Gleich musste ich das erste Mal Menschenblut zu mir nehmen. Und davor graute es mich jetzt schon. 

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