Allein

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Ich hockte auf einem dicken Ast eines Baumes. Ich war nun schon ganze sieben Nächte ein Vampir. Und diese Nacht war die Erste, in der ich allein unterwegs war. Ohne Manuel. Ich ließ die Beine baumeln. Mein Augenpaar beobachtete ein Pärchen. Langsam, arm in arm, gingen sie den Kiesweg im Park entlang. Man hörte das verliebte kichern der Frau. Mein Magen knurrte. Doch ich scheute mich davor sie anzugreifen. Sie sind zu zweit. Größer, stärker. Mein Hals fing an zu brennen. Automatisch griff ich mir an den Hals und strich über meine Haut. "Man", murmelte ich und schwang mich vom Ast in die Lüfte. Ich machte mich auf den Weg zum Bauernhof. Das erste Mal allein was zu essen besorgen.

Ich landete neben dem Hühnerstall. Ein braunes Huhn pickte gerade auf dem Boden herum. Meine Anwesenheit schien es nicht zu stören. Ich sah mich um. In dem Bauernhaus brannte Licht. Vermutlich waren die Bewohner noch wach. Fernsehabend, vielleicht auch ein Geburtstag mit Torte und anderen Leckereien. So etwas leckeres, was ich nie wieder essen könnte. Mein Blick wanderte wieder zum Huhn. Das einzige was meinem Rachen hinunterläuft ist Blut. Für den Rest meines Lebens. Ich schmunzelte. Lebens. 

Die Tür zum Stall machte ich auf und trat ein. Das Huhn, welches eben noch so friedlich kleine Körnchen aufgesammelt hatte, rannte nun ein Stück weg. Zu den anderen Hühnern, die so friedlich zusammengekauert auf dem Boden lagen und schliefen. Oder geschlafen hatten. Nun waren sie wach und flatterten hektisch hin und her. Ich runzelte die Stirn und versuchte nach einem Huhn zu greifen. Doch es huschte mir durch die Finger. Beim nächsten versuch erwischte ich eines der Hühner. Die anderen rannten wild gackernd umher. Panisch und laut. Das Huhn in meinen Händen zappelte. Ich drückte es gegen meine Brust und versuchte den Kopf zu greifen. Ich hatte Durst. Der Geruch des Blutes stieg mir schon die ganze Zeit in die Nase und machte das Brennen in meinem Hals nur noch schlimmer. Und dann, endlich, hielt das Huhn still und ich konnte den Kopf greifen. Zufrieden streckte ich meinen eigenen Kopf vor und legte meine Zähne an dem dünnen Hals an. Nicht zu viel Patrick, ermahnte ich mich selbst im Kopf. Ich bohrte meine Zähne hinein. Wieder dieser Geschmack der sich in meinen Mund ausbreitete. Ich schloss die Augen und sog. Das Brennen in meinem Hals hörte auf. Das Huhn wurde schlaff, bis es fast leblos in meiner Hand, gegen meine Brust, lehnte. Geschockt von mir selbst entfernte ich meine Zähne von dem Tier. Sofort fiel der Kopf schlapp nach unten. Blut floss aus den Eintrittsstellen meiner Zähne hinaus. Ich verzog den Mund und drückte mit der Hand auf die Wunden. So wie Manuel das einst getan hatte. Die Blutung stoppen. "Bitte stirb nicht", flüsterte ich dem Huhn zu, das sich noch immer nicht regte. Hatte ich es umgebracht? Ich legte meinen Finger unter dem Kopf des Huhns. Die Augen waren zu. In meinem Hals bildete sich ein Kloß. Erschrocken setzte ich das Huhn ab und trat taumelnd ein paar Schritte zurück. Es lag da, tot. Ich hatte ein Tier umgebracht. 

Die anderen Hühner rannten immer noch laut umher und eins trampelte sogar über das tote Tier. Ich drehte mich hektisch um und machte die Tür vom Stall auf, um hinaus zu gelangen. Genau in dem Moment ging die Tür vom Bauernhaus auf und ein Mann, um die sechzig, stand im Schein der Lampe. Das Blut, welches durchs seine Adern schoss, roch süß. Mein Magen war voll. Doch dieser Geruch machte mich wahnsinnig. "Was machen Sie da?", rief der Mann mir zu. Er hatte mich bemerkt. Ich sah, dass er in seiner Hand eine Schrotflinte hielt. Sie waren Jäger. Ich bekam es mit der Angst zutun, doch regen konnte ich mich nicht. Der Mann kam auf mich zu, die Flinte auf mich gerichtet. Stocksteif blieb ich stehen. "Was machen Sie bei meinen Hühnern?" Er kam immer näher. Meine Augen fühlten sich plötzlich so trocken an. Mein Hals fing stärker zu brennen an, als jemals zuvor. Meine Muskeln in den Armen spannten sich an und die Luft die ich atmete schien immer dünner zu werden.

Nun stand der Mann direkt vor mir. Seine Augen waren blassgrau, seine Klamotten waren einfache Schlafsachen. Das Gackern der Hühner musste ihn Aufmerksam gemacht haben. Vermutlich hatte er einen Fuchs erwartet. Doch das er einen Menschen, oder besser einen Vampir, vorfand, damit hätte er wohl nicht gerechnet. Vor allem nicht mit einem Jungen. "Nun rede!" Er trat noch ein Schritt vor. Ich roch, dass er Angst hatte. Sein Blut schoss in sein Herz, welches Stark klopfte, und wieder aus es hinaus, durch seinen ganzen Körper. Mein Mund wurde trocken und ich machte einen Schritt auf den Mann zu. Ich kontrollierte mich nicht. Es passierte einfach. Aus dem Schritt wurden zwei, drei. Und dann stand ich direkt vor ihm. Der Lauf der Flinte direkt gegen meine Brust.

Leben als Vampir Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt