"Bis zur Stelle, wo wir Rast machen können, sind es gute dreihundert Kilometer. Wir müssen uns beeilen, damit wir das schaffen", sagte Manuel zu mir. Wir hatten ein gutes Tempo erreicht und glitten über die Stadt hinweg, richtung Rumänien. "Ich kann jetzt schon nicht mehr!", schrie ich gegen den pfeifenden Wind. Manuel hatte seinen Kopf zu mir gedreht und schmunzelte. Seine Finger berührten meine im Flug. "Sobald wir Rückenwind haben, ist das ein Klacks." Ich knirschte mit den Zähnen und sah wieder nach vorne. Er hatte solch lange Flüge schon öfter mitgemacht. Für mich war es das erste Mal. Ich war nicht geübt im Fliegen. Wann war ich denn schon weitere strecken geflogen? Das weiteste war der Bauernhof. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, als ich daran denken musste. An den Bauernhof, an den toten alten Mann. Den ich umgebracht habe.
"Ist alles okay?" Ich spürte Manuels Hand, die meine in sich nahm. "Ja, ich habe nur gerade. Ich habe an den Blutrausch gedacht." Ich traute mich nicht zur Seite zu sehen. "Wir bekommen das wieder hin, dass verspreche ich dir. Der Graf wird dir helfen." Unsere Hände lösten sich wieder voneinander. Wir mussten erneut Schwung aufnehmen, also bewegten wir unsere Arme auf und ab.
"Ich habe Angst." Ich hatte es schon öfter ausgesprochen. Doch irgendwie überkam mich das Gefühl der Angst und der Sorge. Was wäre, wenn ich während der Reise nach Rumänien in den Blutrausch verfalle? Wenn ich weitere Menschen ermorde und vielleicht sogar Manuel was antue. Ich könnte mir es nie verzeihen, würde ich meinen geliebten verletzen. "Patrick, ich passe auf dich auf. Notfalls binde ich dich an einen Baum." Und dann schenkte Manuel mir ein freches breites Grinsen. Es erinnerte mich an früher, als er immer so vorlaut in mein Zimmer geflogen kam und sich alles erlaubt hatte, auch, wenn ich damit nicht einverstanden war. Und es schenkte mir selbst ein Lächeln auf die Lippen.
(...)
Meine Arme taten weh. Ebenso mein Nacken. Ich war erschöpft. "Wann sind wir endlich da?", fragte ich. Wir flogen schon eine Ewigkeit. Selbst mein Magen knurrte. "Nicht mehr lange. Vielleicht noch paar Kilometer." Auch Manuel klang erschöpft.
Unter uns sah man die Lichter der Dörfer. Vereinzelnd Autos auf den Straßen. Mal ein Zug der auf Gleisen fuhr. Und dann, in der Ferne, erkannte man eine Stadt. Hell erstrahlte sie im Dunkeln. "Das da ist Berlin", sagte Manuel und zeigte dabei mit dem Finger nach vorne. Berlin. So weit waren wir geflogen. Ich war darüber erstaunt. "Da vorne." Manuel ging in den Landeanflug. Ich machte es ihm nach und gemeinsam landeten wir auf einer der Gehwege auf dem Friedhof. "Ich hoffe die Gruft ist offen." Er ging los. "Die Gruft?", fragte ich mit zusammengeschobenen Augenbrauen. "Ja. Vor über fünfzig Jahren hat ihr eine Sippe gewohnt. Damals war der Friedhofsgärtner aber hinter Vampiren her und hat sie alle getötet. Mit einem Pflock durch ihr Herz." Manuel erzählte das, als würde er eine Gruselgeschichte erzählen. Und tatsächlich bekam ich es auch mit der Angst zutun. "Und seitdem ist die Gruft leer. Nur kann es immer sein, dass sie von den Menschen dicht gemacht wurde. Deshalb müssen wir schnell nachsehen, um uns im Notfall eine neue bleibe für den Tag zu suchen."
Wir liefen zu einem Grab. Es hatte einen Eingang, welcher mit Gittern zu gemacht wurde. "Scheiße", murmelte ich bei dem Anblick. Doch Manuel blieb ganz ruhig. "Nein, nicht scheiße. Gut!" Grinsend schob er das Gitter zur Seite und machte eine Geste. "Treten sie ein in unsere Behausung für den Tag." Grinsend schüttelte ich meinen Kopf und ging durch die Gitteröffnung. Hinter mir schlüpfte auch Manu hindurch und schloss es wieder. "Weiter." Er schob mich nach vorne. Es war ein großer Raum, rein aus Stein. An den Wänden waren leere Fächer. "Die Familie die hier Beerdigt wurde waren alle Vampire. Ihre Urnen wurden vernichtet, damit sie bloß nicht wieder zu den Lebenden kommen." Manuel sah sich die leeren Fächer an. "Und hier bleiben wir?", fragte ich. Ich fand es komisch in einem Grab zu sein. "Nein." Manu grinste und ging in die Ecke des Raumes. Er bückte sich und griff eine der Bodenplatten. "Hilf mir mal." Er zerrte an sie, um sie hoch zu heben. Verwirrt kam ich zu ihm und half ihm, die Platte anzuheben und schließlich zur Seite zu schieben. Das Geräusch von schabenden Stein auf Stein war grässlich. Zumal es laut an den kalten Wänden der Gruft wiederhallte. "Geh du vor!", sagte Manuel und zeigte nun in das Loch, welches sich gezeigt hatte, als wir den Stein zur Seite geschoben hatten.
Mit meinem ganzen Mut, setzte ich mich an den Rand und ließ mich reinrutschten. Sofort verfingen sich Spinnennetze an meinen Beinen, armen und in meinem Gesicht. Ich musste Husten durch den vielen Staub und der Erde, die mir ins Gesicht rieselte. Und dann landete ich unsanft auf dem kalten erdigen Boden einer kleinen Höhle unter der Gruft, in der ich eben noch gestanden hatte.
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Leben als Vampir
FanfictionZweiter Teil von meiner Geschichte "Der Vampir" Es lohnt, den ersten Teil vor diesem hier zu lesen. Patrick, der Junge, der sich in einen Vampir verliebt hat und somit viele Risiken eingegangen ist, ist nun selbst einer der blutsaugenden Wesen gewor...