- Das Gefühl nicht allein zu sein -
Es mussten bereits Stunden vergangen sein, als Dr. Cartneys Stimme plötzlich neben mir auftauchte.
,,Alles in Ordnung?", fragte sie und setzte sich langsam neben mich auf die Bank. Über meine Schultern legte sie eine dünne Stoffdecke. Ihren Kittel hatte sie ausgezogen. Es war mitlerweile dunkel geworden. Ich mochte die Nächte schon immer gern. Die funkelnden kleinen Sterne, die sich manchmal so verrückt anreihten und Bilder ergaben, die manchmal nur ich mit meiner Fantasie erkennen konnte. Die immer kühler werdende Luft auf meiner Haut, nachdem sie die ganze Zeit von der warmen Sonne berührt wurde. Ich atmete tief ein. Dann sah ich zu Dr.Cartney. Sie musste schon längst Feierabend haben. Und doch schien sie sich von mir verabschieden zu wollen. Ich konnte unsere Verbindung nicht beschreiben. Sie war nur meine behandelnde Ärztin. Wohlgemerkt seit mitlerweile sieben Jahren. Ich war ihre erste Krebspatientin. Ich konnte mir vorstellen, wie wichtig es ihr war, dass ich überlebte. Sie redete immer gut auf mich ein und fragte mich nach meinen Interessen oder einfach nach meinem Befinden aus. Eigentlich mochte ich diese Unterhaltungen, auch wenn ich ihr nie Gegenfragen stellte. Ich zuckte müde mit den Schultern. Sie strich sich eine, aus dem Zopf gelöste, Haarsträhne hinter ihr Ohr und sah mich aufmunternd an.
,,Hör mal, deine Mutter wird sich beruhigen. Du musst sie nur verstehen. Sie hat es wirklich nicht leicht. Ich begleite dich jetzt schon all die Jahre und immer, wirklich ausnahmslos immer warst du die größte Kämpferin, die ich kenne. Es ist für keinen verständlich, besser gesagt nachvollziehbar, warum dieser Kampfgeist plötzlich verschwunden ist, vor allem da du auf einem guten Weg bist. Ich sage dir jetzt etwas, nicht in meiner Rolle als Ärztin, sondern als Mutter, die ihr Kind vor Jahren auch an Krebs verloren hat." Meine Augen wurden riesig. Überrascht und gleichzeitig bemitleidend sah ich sie an. Ich wusste nicht ein mal, dass sie Kinder hatte. Vielleicht zeigte sie gerade deshalb so viel Ehrgeiz in meiner Behandlung.
,,Krebs kann so stark sein, dass es keine andere Möglichkeit mehr gibt, als den Tod. Aber bei dir Loucy, habe ich das Gefühl, es ist wie bei meiner Tochter. Wenn du nur weiter kämpfst und immer die Hoffnung behältst, dann kannst du ihn besiegen. Abgesehen von den ganzen ärztlichen Methoden und Therapien. Ich kann es dir nicht versprechen, aber hätte meine Tochter sich nicht aufgegeben, dann wäre sie vielleicht noch am Leben. Und ich lasse nicht zu, dass dir das gleiche widerfährt." Ihre Worte hatten mir eine Gänsehaut bereitet.
,,Wie war ihr Name?", fragte ich leise und sah immer noch überrascht in ihre Augen. Ich hatte nicht gewusst, dass sie eine Tochter gehabt hatte.
,,Isabelle. Sie war gerade vier Jahre alt geworden, als sie starb. Leukämie, genau wie du. Mein ehemaliger Partner, ihr Vater und ich haben uns in dieser schrecklichen Zeit getrennt. Ich hatte gerade erst mit dem Studium begonnen, als sie zur Welt kam. Schon mit zweieinhalb Jahren bekam sie ihre Diagnose. Ich glaube, hätten wir ihr nur etwas beigestanden in dieser Zeit, hätten wir nur mehr für sie getan, dann...", ihre Stimme brach ab. Ihr Kopf war gesenkt. Doch sie weinte nicht. Hilflos blickte ich auf sie hinab, so zusammengekauert saß sie da. Es tat mir so schrecklich leid für sie. Vielleicht, da ich mich selbst in dieser ganzen Geschichte wieder erkannte. Oder es lag daran, dass ich zu geben musste, Dr.Cartney eindeutig mehr in mein Herz geschlossen zu haben, als ich zu geben wollte.
,,Ich habe die selbe Geschichte damals deiner Mutter erzählt", begann sie erneut, nach paar stillen Sekunden. Ihre Stimme war immer noch zittrig, aber fester. ,,Ich denke das ist der Grund. Sie will alles für dich tun. Sie versucht ihr Bestes, um dich aufzumuntern und dir Hoffnung zu machen. Aber je älter du wirst und je mehr du verstehst, desto schwieriger wird es. Und das macht ihr zu schaffen. Deine Mutter kämpft wirklich jede Sekunde um dein Leben. Aber das Gefühl keinen Erfolg zu haben lässt sie zerbrechen. Und ich gebe zu, mich auch."
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Herzenskämpfer
Teen Fiction»Wenn jeder Atemzug zu einem Geschenk wird« Seit sieben Jahren leidet Loucy an Leukämie. Ihr halbes Leben lang kämpft sie mit dem Tod. Ihre Kraft und ihr Glaube daran, gesund zu werden, sind längst verblichen. Dann trifft sie auf Davis. Ein Tumor, d...