dreiundzwanzig

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- Es gibt ihn also wirklich - den Sinn des Lebens. -

Als ich nach einer Weile die Lichtung erreichte, war das Gras noch immer feucht, auch wenn der Regen schon vor einer ganzen Weile aufgehört hatte. Nach dem Gespräch mit Cara, wusste ich zwar noch immer nicht, wie ich Davis das schenken konnte, was ich mir vorstellte, aber ich hatte verstanden, dass es unwichtig war. Ich wollte ihm etwas schenken, an das er sich auch in Jahren noch erinnerte. Denn Cara hatte recht. Im Prinzip war mir die Kamera egal. Was an dem Geschenk wirklich von Bedeutung war, waren die Bilder. Die Momente, die wir in den vergangen Wochen festgehalten hatten. Das waren die Dinge, an die wir uns auch noch in Jahren erinnern würden.
Ich drückte meine Hand fester um das Glasröhrchen in meiner Jackentasche, nur um mich zu vergewissern, dass es noch da war. Mit großen Schritten lief ich auf das Wasser zu. Es war mir egal, dass meine Schuhe und die Hose nass wurden. Von der langsam wärmer werdenden Sonne würden sie ohnehin in kürze trocknen.
Mein Blick war auf die kristallklare Oberfläche des Wassers gerichtet. Die leichten Wellen nicht aus den Augen gelassen, hockte ich mich hin, öffnete den kleinen Verschluss des Röhrchens und hielt es mit meiner Hand in das kühle, angenehme Wasser. Mit dem Gefühl kam die Erinnerung. An die Zeit, die wir hier gesessen hatten. Wie Davis mich immer wieder überredete mit im Schwimmen zu gehen, bis ich es endlich tat. Und es war so schön das kalte Wasser an meiner Haut zu spüren, dass ich mich fragte, warum ich nicht schon früher auf ihn gehört hatte.
Ich zog meine Hand mit dem gefüllten Gefäß heraus und drückte den Verschluss auf die kleine runde Öffnung. Direkt neben mir drückten schwere gefallene Regentropfen die pinken Pfingstrosen nach unten. Als wir das letzte mal hier waren, hielten sie ihre Köpfe noch aufrecht der Sonne entgegen. Ich erinnerte mich daran, wie wir ihnen jedes Mal beim wachsen zu sehen konnten. Auch wenn sie längst an Farbe und Schönheit verloren hatten, pflückte ich die Größte von ihnen und verschloss sie in meiner freien Hand.

Den ganzen Weg zur Klinik zurück pochte die Aufregung in meinen Sehnen, so gepackt von der Vorfreude auf den heutigen Abend war ich. Wir würden ins Kino gehen. Ich fragte mich, ob es dort tatsächlich so romantisch und fantastisch war, wie Cara mir immer wieder erzählt hatte. Ich fragte mich, ob ich heute tatsächlich einen Burger essen würde. Oder ob Davis mich in letzter Minute doch dazu überredete Hummer oder was man auch immer in solch einem schicken Lokal aß, zu bestellen. Denn noch traute ich dem Ganzen nicht. Was mich noch mehr zum Verzweifeln brachte, war jedoch die Frage, was ich anziehen würde. Der Gedanke an ein schickes Abendlokal mit Gästen die vermutlich alle Schauspieler oder andere Berühmtheiten waren, kam ich mir plötzlich ziemlich fehl am Platz vor. Wenn ich dort mit Shirt und Hose auftauchen würde und dann verpflichtet wäre sündhaft teure Gerichte zu bestellen. Naja, immerhin kannte mich dort keiner. So oder so würde uns vermutlich niemand beachten. Schließlich hieß es doch immer, dass alle Promis nur mit sich selbst beschäftigt waren. Wer sollte sich also für zwei unscheinbare Jugendliche interessieren? Schnell verdrängte ich all die Gedanken und versuchte mir einzureden, dass ich mich einfach auf den Abend freuen sollte. Denn das tat ich auch, wenn ich mich nicht gerade verrück machte.

Noch immer versunken in Gedanken und ohne jegliche Personen oder Gespräche wahrzunehmen lief ich blind in mein Zimmer. Mit meinem Kopf ganz wo anders. Ich band die Blume an den etwas dünneren Hals des Gefäßes und kramte einen Stift hervor.
Mit bemüht ordentlicher Schrift beschriftete ich die Rückseite des Polaroid Bildes.

Happy Birthday!
Auf das diese Erinnerungen immer uns gehören und auf noch tausend weitere mehr.
Deine Lou

Es war nichts großes, aber es hatte Bedeutung.
Ich bemerkte mit einem überraschenden Blick auf die Uhr, dass es bereits kurz vor fünf war.
Schnell schmiss ich meine, von dem hohen Gras nass gewordene, Hose und das T-Shirt auf mein Bett und verschwand in dem kleinen Badezimmer, welches lediglich aus meiner engen Dusche, einer Toilette und einem Waschbecken bestand und so klein war, dass ich mich nur sehr ungern dort aufhielt. Ich schlüpfte unter die Dusche und drehte zuerst langsam den Hahn auf, um die Wassertemperatur anzupassen. Erst, als die ersten lauwarmen Tropfen meine Haut berührten, traute ich, auch meine Haare unter den schwachen Wasserstrahl zu halten. Ich schloss meine Augen und drehte das Wasser weiter auf. Um mich herum verschwammen jegliche Geräusche und Bilder in dem sanften, gleichmäßigen Rauschen des Wassers. Genau so stellte ich mir das Meer vor. Ebenfalls einer meiner Träume, die ich noch nie laut ausgesprochen hatte. Ich stellte es mir unbeschreiblich schön vor mit nackten Füßen durch den Sand zu laufen und hin und wieder von leichten türkis glitzernden Wellen berührt zu werden. Dazu das Rauschen des Meeres und die warmen Sonnenstrahlen in meinem Gesicht. Ich hatte es alles vor Augen. Auch, wenn ich noch nie an diesem Ort gewesen war. Ich hoffte nur zu sehr, dass er existierte.

HerzenskämpferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt