- Warum machen es hunderte Worte mehr so kompliziert, genau das zu tun - Jemandem zu verzeihen? -
Ich war noch völlig in meinen Gedanken versunken, als ich gegen Mittag zurück über die Flure, in mein Zimmer lief. Das Tablet brachte ich, wie jeden Morgen in die Cafeteria zurück, mit der Ausrede, ich hätte mich nach draußen gesetzt. Die Kommunikation hier, funktionierte nie wirklich gut. Darum viel es keinem auf, dass ich es am Morgen auf mein Zimmer gebracht bekam, ohne je in der Cafeteria zu erscheinen. Und die Schwestern würden sich nicht wundern, weshalb am Abend noch immer das Frühstückstablett in meinem Zimmer stand.
Da in etwa einer halben Stunde die Ärzte zu Davis kommen sollten, verschwand ich lieber rechtzeitig, ehe mich noch jemand erwischte. Tatsächlich fühlte ich mich langsam, wie in einem dieser Jugendfilme. Wenn sich das Mädchen nachts heimlich hinausschlich und im Nachhinein fürchterlichen Ärger bekam. Mit dem Unterschied, dass sich hier kaum einer für mich interessierte. Und das das hier kein Film war, sondern eine Krebsklinik.
Schwungvoll öffnete ich meine Zimmertür und war geistig bereits dabei, wie ich sie wieder zuschlug und mich müde, aber zugleich erleichtert auf mein Bett schmeißen würde, da bemerkte ich einen Schatten aus den Augenwinkeln, der mich zusammen zucken ließ. Mein Blick fuhr ruckartig auf. Auf dem Stuhl an meinem kleinen Tisch saß jemand, der mich ebenso überrascht ansah und sein Handy, auf welches er scheinbar, bis zu meinem Eintritt gestarrt hatte, schnell in den Schoß fallen ließ. Es dauerte einige Sekunden, bis ich realisierte, wer diese Person in meinem Zimmer war. Dann wurden meine Augen riesig und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Mein Herz klopfte schneller.
,,Da staunst du, was?", meinte er. Seine Stimme klang selbstsicher, fast ein bisschen eingebildet. Aber so kannte ich ihn.
,,Rick." Ich schluckte den Namen beinahe herunter, so leise klang meine Stimme. Ich sah in seine grünen Katzenaugen. Dasselbe grün, an welches ich mich erinnerte. Das war auch das Einzige, an das ich mich wirklich erinnerte. Ich hatte seinen Mund. Große, volle Lippen, die fast schon unnormal für einen Mann waren. Ebenso, wie seine schmale, lange Kopfform. Ansonsten, war ich Mum, wie aus dem Gesicht geschnitten. Das war auch gut so. Ich wollte mich keineswegs in Verbindung mit ihm stellen.
,,Wie geht es dir Loucy?", fragte er. Seine Stimme klang so, wie ich sie kannte. Das letzte mal hatte ich ihn vor vier Jahren gesehen. Da war er von seiner Arbeit in der Stadt und hatte sich mal eben spontan überlegt seine Tochter nach was weiß ich wie vielen Jahren wieder zu besuchen. Während Mum mit Paul zusammen war hatte ich ihn ebenfalls nur zwei mal gesehen. Macht insgesamt drei treffen, bei denen ich mich an ihn erinnern konnte. Meinen leiblichen Vater. Für mich war er Rick. Einen Vater hatte ich nicht. Zumindest war er es mit Sicherheit nicht.
Ich wusste nicht, warum ich plötzlich so nervös wurde. Mum hatte mir schließlich gesagt, dass er in der Stadt wäre. Dass er aber tatsächlich auftauchen würde, damit hätte ich nicht gerechnet.,,Gut", entgegnete ich stumpf. Keine Ahnung, was ich ihm zusagen hatte. Er war praktisch ein fremder für mich. Es war okay, ihm die kalte Schulter zu zeigen. Sollte er nur sehen, wie wenig mir sein Besuch bedeutete.
Er nickte nur langsam. Ich sah, wie seine Fingerspitzen leise tippende Geräusche auf dem schwarzen Display machten und schnell hin und her tanzten.
- Meine Angewohnheit. Es war erschreckend. Ich kannte ihn nicht. Und ich wollte ihn nicht kennen. Und dennoch waren wir auf eine unbeschreibliche Art verbunden. Eine Art, die ich mehr als alles andere verabscheute.,,Wow, du bist echt hübsch geworden. Du trägst deine Haare länger. Und Wahnsinn, bist du groß geworden." Meine Augen sahen ihn einfach nur ausdruckslos an. Klar waren meine Haare gewachsen. Als er mich das letzte mal gesehen hatte, waren sie, aufgrund der Chemo noch sehr kurz und ich trug sie, eher in einer unordentlichen Kurzhaarfrisur, als mit einem richtigen Scheitel. Gewachsen war ich auch, sehr viel sogar. Aber auch das war nichts erstaunliches. Ein winziger Nebeneffekt des Alterns.

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Herzenskämpfer
Fiksi Remaja»Wenn jeder Atemzug zu einem Geschenk wird« Seit sieben Jahren leidet Loucy an Leukämie. Ihr halbes Leben lang kämpft sie mit dem Tod. Ihre Kraft und ihr Glaube daran, gesund zu werden, sind längst verblichen. Dann trifft sie auf Davis. Ein Tumor, d...