fünfundzwanzig

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- Ich denke wir sind Quitt,
Davis Halter -


Ich wurde von einem sanften Klopfen aus dem Schlaf gerissen. Mein erster Gedanke war, dass es Dr. Cartney sein könnte, um meine Blutwerte zu messen. Dann viel mir ein, dass ich sie gebeten hatte, mich ausschlafen zu lassen, da ich spät zurück kommen würde. Der nächste Gedanke überrumpelte mich so plötzlich, dass ich nicht mal ein ,,Herein" in klaren Worten herausbringen konnte.

Ich hatte Davis geküsst.

Im nächsten Moment betrat er in mein Zimmer. Mit seinem typischen Grinsen im Gesicht und diesen unfassbar schönen Augen. Automatisch ging mein Puls hoch.
Und nun stand er da, ganz unschuldig, als sei nichts passiert.

,,Guten Morgen", begrüßte er mich freundlich. Ich war noch immer so überwältigt, dass ich keine Antwort heraus bekam. Er durchquerte das Zimmer und lief zu dem großen Fenster, welches noch immer von den schweren Vorgängen verdeckt war.
,,Du verpasst einen wunderschönen, sonnigen Tag", meinte er, ohne sich zu mir umzudrehen.
Das nächste, was aus mir heraus kam, überraschte mich selbst vermutlich genau so sehr, wie ihn.

,,Mach sie auf", sagte ich und bemerkte die Bedeutung dieser Wörter erst, als ich sie ausgesprochen hatte. Das letzte mal, dass ich durch das Fenster gesehen hatte, war vor Caths Tod. Ich hatte nie vor gehabt, mich strikt dagegen zu weigern. Doch je mehr Zeit verstrich, in der ich mich nicht traute, die  Vorhänge zu öffnen, desto gewöhnlicher wurde es mir, dass ich sie nie wieder berühren würde. Ebenso wie mit meinem Spiegelbild. Ich hatte Angst vor etwas lächerlichen, völlig selbstverständlichen.
Doch jetzt, wo Davis so kurz davor war, die Vorhänge beiseite zu Schieben, merkte ich, wie groß mein Verlangen danach war. Ich hatte das alte Kapitel abgeschlossen, hatte in mein Spiegelbild gesehen.
Ich musste nicht sterben, ohne dass Gefühl zu haben, geliebt zu werden. Ich wurde geküsst, von Davis Halter. Er sagte mir, dass er mich liebte.
Ich merkte, wie bereit ich plötzlich war, den alten Abschnitt meines Lebens abzuschließen. Nach vorn zu blicken. Cath würde nicht zum Leben erwachen, nur weil ich an den alten Erinnerungen klammerte. Warum sollte ich keine neuen, genauso unvergesslichen machen?
,,Sicher?" Davis sah sich zu mir um. Ich nickte nur, mit einem zielstrebigen Blick. Als die ersten, warmen Sonnenstrahlen durch das Fenster schienen, viel die letzte Last von mir ab, wie ein Rucksack, den ich einen endlos langen Weg mit mir geschleppt hatte.
Automatisch erschien ein Lächeln auf meinen Lippen.

,,Danke", flüsterte ich so leise, dass ich mir sicher war, er hatte es nicht gehört. Auch er schien zufrieden zu sein. Er sah noch eine Weile aus dem Fenster, dann kam er auf mich zu. Ein fast schon triumphierender Gesichtsausdruck.
Lautlos setzte er sich an mein Fußende. Ich hatte mich längst aufgerichtet und sah ihn mit erleichterter und dankbarer Miene an.
,,Ich hoffe, das war wirklich in Ordnung", meinte er und ich rutschte näher an ihn heran, um meinen Kopf an seine Schulter zu lehnen. Mein Blick war auf die Sonnenstrahlen gerichtet, die durch die dichten Blätter des hohen Baumes vielen. Wie wunderschön es doch eigentlich war.

,,Mehr als das", entgegnete ich. Dann drehte ich meine Kopf zu ihm und küsste ihn. Es war wie ein Reflex. Etwas, dass ich nicht kontrollieren konnte. Ich tat es schon wieder.
Bis gestern hatte ich gedacht, dass so etwas in meinem einsamen, tragischen Leben, nie passieren würde. Nie hätte ich gedacht, dass mich eine Person auf diese Art lieben könnte. Ich wusste noch nicht ein mal, ob ich zulassen durfte, dass ich so geliebt wurde. Ich hatte vor gehabt, möglichst viele Menschen aus meinem leben fern zu halten und selbst die, die mir am wichtigsten waren, von mir abgestoßen. Ich hatte gedacht, ich würde sie damit schützen. Ein dummer, kindischer Gedanke. Wie konnte man jemanden schützen, wenn man ihn dazu so sehr verletzen musste, dass es fast schon abartig war.
Jetzt weigerte ich mich, dem sturen kleinen Mädchen in mir zu gehorchen, mich dem Krebs zu ergeben.
Ich spürte seine große Hand an meiner Wange. Ich wollte, dass dieses Gefühl, für immer anhielt, selbst, als mich ein lauter schriller Klingelton aus meiner Euphorie riss. Davis zog die Augenbrauen zusammen, drückte ein letztes Mal seine Lippen auf meine und suchte dann hektisch nach seinem Handy, um den Ton zu beenden.

HerzenskämpferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt