dreizehn

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- Auch wenn ich dich davon überzeugen muss, dass wir Freunde sind. Denn das sind wir, egal was nach dem heutigen Tag passieren mag. -

Ich hatte das Gefühl, die Tage und Nächte vergingen so viel schneller seit er hier war. Ich hatte Abwechslung und seit langer Zeit hatte ich wieder den Sinn gefunden, der mich wachrüttelte, wenn ich drohte zusammenzufallen. Keine Ahnung, was wir gestern noch gemacht hatten, abgesehen davon, dass wir den gesamten Tag zusammen auf der Bank verbracht hatten und über Gott und die Welt geplaudert hatten. Nach einer Ewigkeit fühlte ich mich fast schon wieder menschlich. Ein einfaches Mädchen, welches mit ihrem besten Freund sprach und lachte und dabei selbst den Tod für einen Augenblick vergessen konnte.
Ich streckte mich und richtete mich schließlich langsam in meinem Bett auf. Die Matratze hatte sich längst daran gewöhnt und passte sich somit gleich an meine Bewegung an. Ich seufzte leise. Heute war Davis Operation. Ich hatte schon von vielen Operationen so nah am Gehirn gehört. Meist waren die Betroffenen mehrere Tage darauf verschwunden und nach einiger Zeit wieder munter auf den Fluren herumgelaufen. Bis jetzt hatte ich mich nur noch nie so sehr um einen dieser Patienten gesorgt.
Das Einzige, was ich wollte war, dass es ihm besser ging. Dass sie diesen Tumor aus seinem Kopf und seinem leben verbannten und ihn in ein paar Wochen oder sein es Monate, sein normales Leben weiterleben ließen. Ohne mich. Nachdem ich wusste, was genau der Grund für Davis Aufenthalt war, war ich mir komischerweise noch viel sicherer dabei, dass er anschließend in sein Leben zurückkehren würde. Und all das hier eines Tagen vergessen könnte. Er könnte zu seiner Familie und seinen Freunden zurück. Er könnte jeden morgen noch viel besseres Rührei essen, als es das hier jemals geben würde. Er könnte in sein Zimmer zurückkehren und in seinem eigenen Bett schlafen. Er hatte die Chance auf das, was ich immer wollte, aber nie bekommen würde. Und deshalb war auch genau das der Grund, weshalb ich wollte, dass er mich eines Tages vergaß. Er sollte nicht zurück blicken. Jetzt war mein Ziel, ihn erst ein mal auf die Beine kommen zulassen. Ich würde ihn begleiten, bis er zurück konnte. Vielleicht hatten wir noch etwas Zeit. Das hoffte ich zumindest sehr. Doch sollte der Tag gekommen sein, so müsste ich ihn gehen lassen. Denn das schlimmste, was ich einer Person antun könnte, wäre sie in mein Schicksal mit hineinzuziehen. Das war mir mit meinen besten Freunden passiert, ohne es zu wollen auch mit meiner Mum. Das konnte ich nicht noch jemandem antun.

Ich versuchte keinen unnützen Gedanken mehr an irgendetwas zukünftiges zu verschwenden und stattdessen einfach aufzustehen. Es gab keine Begründung, aber ausnahmsweise hatte ich heute nicht vor mir den Morgenmantel anzuziehen. Vielleicht lag es daran, dass wir heute nicht frühstücken würden oder daran, dass es mittlerweile schon neun Uhr war. Spät, für meine Verhältnisse. Er musste nüchtern sein. Um zwölf Uhr sollte er operiert werden. Nur noch drei Stunden. Ich konnte nicht in Worte fassen, wie nervös ich war. Nervöser, als cor jeder anderen Untersuchung, die man an mir durchgeführt hatte.

•••

Als ich mich angezogen hatte lief ich geradewegs auf die Bank zu. Mein Magen knurrte, aber Davis, der normalerweise mindestens das Doppelte von meiner Portion aß, hatte bestimmt noch größeren Hunger. Also hatte ich nicht vor, ihm etwas vorzuessen. Frühstücken konnte ich immer noch, wenn er seinen - naja sagen wir mal - etwas längeren Mittagsschlaf hielt.
Ich hatte mich nicht mit ihm verabreden müssen. Mir war auch so klar, dass er jetzt auf der Bank sitzen würde. Dennoch schaffte ich es nicht, ein Lächeln zu verhindern, als ich ihn erblickte. Sein Blick war auf das Wasser gerichtet.

,,Bereit dem Tumor Adieu zu sagen?", rief ich völlig enthusiastisch, als ich mich auf die Bank fallen ließ, vielleicht um meine eigene Angst zu überdecken. Mittlerweile fragte ich mich, ob wir überhaupt noch wo anders Zeit verbrachten, als auf der Bank. Den ganzen Tag. Eigentlich machten wir tatsächlich nichts anders, außer dazusitzen und zu reden. Jeden einzelnen Tag. Aber das wir zusammen waren und zusammen redeten - das machte es so besonders. Und aus dem Grund störte es mich nicht. Ich kannte die Kulisse seit zehn Jahren. Vielleicht war sie auch einfach mein zu Hause.

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