Cops

10K 473 28
                                    

Mir war kalt. Ich wusste nicht genau, ob sie die Heizung runtergedreht hatten, oder ob sie die Klimaanlage angeschaltet hatten, so unsinnig das im Februar auch war. Mit klammen Fingern zog ich mir die Ärmel des Pullis über meine Handgelenke. Automatisch fiel mein Blick auf den Saum der Ärmel und ich registrierte mit einem kleinen Teil meines Gehirns, der noch in der Lage war, sachlich zu analysieren, dass sich dort rostrote Flecken in das Senfgelb des Pullis gefressen hatten. Ihres Pullis. Mary hatte ihn mir gegeben, weil mir in dem T-Shirt zu kalt gewesen war. Damals, vor einer halben Ewigkeit, vor nicht einmal zwei Stunden.

Ich zog fröstelnd die Schultern hoch und sah mich in dem Raum um. Er ähnelte nicht wirklich den Verhörräumen, die ich aus den Krimiserien kannte, die Tyler gemocht hatte. Es war ein schlichter Raum, die Wände in einem hellen Grau gestrichen, das zwar nicht unbedingt Frohsinn ausstrahlte, jedoch auch nicht so einschüchternd wirkte, wie beispielsweise die schwarzen Wände des Verhörraums des FBI in der Serie Bones. Besonders wohl fühlte ich mich trotzdem nicht.

Der Raum wies nicht besonders viel Mobiliar auf. Er wurde lediglich gefüllt von dem Stuhl, auf dem ich mich niedergelassen hatte, den beiden Stühlen mir gegenüber und dem Tisch, der mich von ihnen trennte. In den Tisch war eine Art Haken eingelassen, wo man, wie ich vermutete, Verbrecher mit Handschellen anketten konnte. Meine Handgelenke kribbelten, als würden sie sich an das Gefühl erinnern, dass das kalte Metall auf meiner Haut ausgelöst hatte. Ich war extrem erleichtert gewesen, als mir die Polizisten die Handschellen abgenommen hatten, als sie mich auf die Wache bugsiert hatten.

Verbrecher. Das Wort, welches ich vor Sekunden wie nebenbei gedacht hatte, ohne ihm eine besondere Bedeutung zuzuordnen, tauchte ungebeten wieder in meinem Kopf auf. War es das, was die Cops sehen würden, wenn sie hereinkommen würden, um mich zu befragen? Würden sie mich nur als junge Mörderin sehen?

Mörderin. War es das, was ich jetzt war? Ich hatte einen Menschen getötet, war da der Begriff Mörderin nicht naheliegend? Ich spürte, wie sich meine Atmung beschleunigte und zwang mich, tief durchzuatmen. Ich durfte jetzt nicht in Panik verfallen, das konnte ich mir jetzt nicht leisten. Wenn die Cops hineinkommen würden, musste ich klar im Kopf sein. Ich musste verstehen, was sie mir vorwarfen, damit ich abwägen konnte, ob ich ihre Fragen beantwortete oder sofort einen Anwalt verlangte. Ich wusste, dass sie mir einen Anwalt stellen mussten. Das war mein Recht. Ich hoffte nur, mein Pflichtverteidiger würde etwas von seinem Fach verstehen. Nach dem, was man so hörte über Pflichtverteidiger, waren sie nicht unbedingt die besten Anwälte.

Trübsinnig starrte ich vor mich hin. Unbewusst streichelte ich über die weiche Wolle des Pullovers. Wie es wohl Mary ging? Ein kalter Klumpen verhärtete sich in meinem Magen. Der kalte Klumpen befand sich dort, seit meine kleine Schwester, getroffen von Noahs Kugel, auf dem Wohnzimmerteppich zusammengesackt war. Es war ihr Blut, das den Stoff des Pullis getränkt hatte, als ich verzweifelt versucht hatte, ihre Wunde zuzuhalten. Sie hatte so viel Blut verloren. Rot und heiß war es aus ihr herausgeflossen. Sie hatte so orientierungslos gewirkt, als mich die Sanitäter von ihr fort gedrückt hatten. Ich schloss die Augen. Ich hatte lange, sehr lange, nicht mehr gebetet, doch nun bewegte ich lautlos meine Lippen und erbat Beistand für meine Schwester. Wenn sie wieder gesund würde, würde ich klaglos mehrere Jahre Knast auf mich nehmen, aber sie musste leben. Sie hatte es nicht verdient zu sterben, nicht sie.

Das war alles nur Ryans Schuld, dachte ich mir und kalte Wut erfüllte mich. Sie war besser als die Sorge um Mary, Wut fühlte sich nicht so hilflos an. Wortlos verfluchte ich Ryan und seine gesamte Sippe, mal ausgenommen von Devil, mahnte mich eine kleine Stimme in meinem Kopf, die ich unschwer als mein Gewissen ausmachen konnte. Devil hatte nichts mit den Hounds zu tun gehabt, jedenfalls soweit ich wusste. Wahrscheinlich hatte sie keine Ahnung gehabt, welchen Geschäften ihr Vater nachging, welchen ihr Onkel, und in was Ryan verstrickt war. Ryan, grollte mein Kopf. Ich biss die Zähne zusammen. Meine Fäuste ballten sich unkontrolliert und ich spürte den unbändigen Drang, sie mitten in Ryans grinsendem Gesicht zu versenken.

Der kleine sachliche Teil meines Gehirns überlegte, ob ich gerade nur meinen ganzen Hass auf die Hounds of Hell auf ihn projizierte, doch ich brachte ihn mit einem unwilligen Kopfschütteln zum Schweigen. Bevor ich noch anfangen konnte, ausgereifte Selbstgespräche zu führen, öffnete sich die Tür. Schlagartig setzte ich mich gerade hin, hob meinen Kopf und versteckte die Hände mit den roten Flecken unter dem Tisch.

Zwei Cops betraten den Raum. Der Erste war ein etwas älterer Herr, dessen Haare an den Schläfen schon grau wurden, dessen Augen mich jedoch flink einschätzten. Der Zweite, der nach ihm durch die Tür kam, war ein ganzes Stück jünger. Hätte ich schätzen müssen, hätte ich ihn höchstens Anfang Dreißig, aber eher Ende Zwanzig eingeordnet. Aus seinem jungen, bartlosen Gesicht starrten mich zwei leichte Glubschaugen unverhohlen an.

Der Ältere legte eine Mappe vor sich auf den Tisch und ließ sich auf den Stuhl sinken, der Jüngere folgte seinen Bewegungen. Aufmerksam beobachtete ich sie. Der Ältere sah mich einige Sekunden ruhig an, ohne zu blinzeln. Ich blickte zurück und obwohl mein Herz heftig in meiner Brust schlug, wandte ich den Blick nicht ab. Schließlich nickte er und senkte den Blick auf die Mappe, die er nun öffnete. Es war eine dünne Mappe. Ich hatte noch nicht viel mit der Polizei zu tun gehabt. In unserem Viertel rief man nicht die Polizei, wenn etwas passierte.

„Mein Name ist Officer Stephen Miller und das ist Officer John Hall", stellte der Ältere sich und seinen Partner vor. Seine Stimme passte gut zu seinem Aussehen und dem Eindruck, den er machte, eine dunkle, angenehme Stimme. Gerade hatte ich das Gefühl, mich ein winziges bisschen zu entspannen, da nahm er aus der Mappe einige Fotos. Wusste der Himmel, wie sie die so schnell entwickelt hatten.

„Das sind Bilder, die am Tatort aufgenommen wurden", führte Officer Stephen Miller aus, während er die Bilder vor mir ausbreitete. Das Gesicht zu einer unbeweglichen Maske gefroren, starrte ich auf die Bilder.

„Wir würden gern wissen, was da passiert ist?", fragte Miller beinahe sanft. Vor mir lag das bleiche, selbst im Tod noch Macht ausstrahlende Gesicht von Ryans Vater. Seine gebrochenen Augen starrten mich an. Eis floss durch meine Adern, lähmte mich, ließ mir keine Luft. Kaltes blaues Eis.


So, das war das erste Kapitel. Ich hoffe, es gefällt euch. Was haltet ihr von dem etwas ernsteren Ton? Versteht ihr Liz' Gefühle gegenüber Ryan? Btw. Guten Rutsch ;)

Dark as midnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt