Don't stop me now

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Mit großen Augen sah ich Elly an. „Kannst du mit mir zu ihrer Wohnung gehen?"

Elly runzelte die Stirn, dann blickte sie auf ihre Füße. „Ich weiß nicht...", meinte sie ausweichen.

„Elly, bitte", meine Stimme wurde eindringlicher, „ich muss rausfinden, ob er dort ist. Ich muss ihn einfach finden!" Meine ganze Verzweiflung klang in meinem Flehen mit.

„Liz, es ist schon dunkel draußen und es gießt wie aus Eimern. Du kannst doch jetzt nicht ernsthaft loswollen zu einer Wohnung, die mindestens eine halbe Stunde zu Fuß von hier entfernt ist", insistierte Elly.

Dagegen fiel mir nicht wirklich etwas ein. Stumm starrte ich auf meine Finger. „Dann gib mir wenigstens die Adresse, wenn du nicht mitkommst", bat ich Elly. Sie seufzte und tippte auf ihrem Handy herum.

„Ich habe dir die Adresse geschickt", meinte sie dann. „Aber versprich mir", sie legte ihre Hand auf meinen Arm, „dass du nicht heute Nacht noch losziehst. Mach das morgen! Marc ist erwachsen, er kennt die Straße, er weiß, was er tut!"

Obwohl mich alles in mir dazu drängte, so schnell wie möglich loszulaufen, sah ich ein, dass sie Recht hatte. Ich nickte. „Okay, ich mach das morgen... Darf ich trotzdem noch bei dir schlafen?"

Elly prustete auf, wobei sich ihre Mundwinkel leicht hoben. „Na ja, jetzt kann ich dich ja unmöglich wieder wegschicken, oder? Apropos, was machen wir eigentlich mit dem da?" Sie deutete auf Ryan, der immer noch gefesselt auf dem Küchenstuhl saß und unser Gespräch stumm verfolgt hatte.

Unschlüssig sah ich ihn an. Eine seiner hellen Locken kräuselte sich vorwitzig über seine Stirn, sein Gesichtsausdruck war ruhig, ich meinte jedoch trotzdem, eine leichte Unsicherheit in seinen Augen zu bemerken. „Ich weiß es nicht..." Ich wusste, dass ich nicht bereit war, ihn zu töten. Laufen lassen konnte ich ihn jedoch genau so wenig.

„Können wir ihn zumindest für heute Nacht hier in der Küche lassen?", fragte ich Elly. Sie sah mich zweifelnd an.

„Hm, also ich muss gleich eh los zur Arbeit und meine Schwester kommt heute Nacht vermutlich auch nicht wieder. Du wärst also allein mit ihm..."

Obwohl mich der Gedanke beunruhigte, war ich Elly dankbar, dass sie es zumindest in Betracht zog. „Sobald ich morgen früh von der Wohnung zurück bin, überlege ich mir was anderes", versprach ich. Längerfristig könnten wir Ryan sowieso nicht hier in der Wohnung lassen.

Elly sah zwar immer noch nicht besonders begeistert aus, doch schließlich nickte sie. „Also gut, aber stell bloß keine Sauerei an, falls du am Ende noch beschließt, es ihm heimzuzahlen..." Mein Blick schoss zu Ryan und ich bemerkte die leichte Panik, die in seinem Blick aufflackerte, die er jedoch sofort wieder unter Kontrolle brachte und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Elly hatte es auch gesehen, ein breites Grinsen zierte ihr Gesicht.

„Also gut", meinte sie, „ich muss mich langsam mal fertig machen." Sie nickte in Ryans Richtung. „Kannst du ihn mal eben unter Kontrolle halten? Er hat mir den Stoff noch nicht gegeben..."

Meine Augenbrauen schossen nach oben, doch nach einem kurzen Moment der Überraschung, sammelte ich mich und griff nach dem Küchenmesser.

„Hey, hey, das ist nicht nötig!" Auch in Ryans Stimme klang leichte Panik mit, als ich mit erhobenem Messer hinter ihn trat.

„Sicher ist sicher", meinte Elly nur. „Also, wo ist mein Stoff?"

Ryan schluckte, als ich mein Messer von hinten langsam nach vorne gleiten ließ und ihm leicht an die Kehle legte. Obwohl es mir widerstrebte, ihm so nahe zu sein, musste ich zugeben, dass ich seine Angst fast genoss. Wie sehr hatte ich mich schon vor ihm gefürchtet, es war Zeit, den Spieß umzudrehen.

„Das Koks ist in meiner rechten Jackentasche", meinte Ryan. Elly grinste wieder, trat flink einen Schritt auf Ryan zu, griff in die Tasche seiner durchnässten Sweatshirtjacke und hatte im nächsten Moment drei durchsichtige Beutelchen mit weißem Pulver darin in der Hand.

„Da ich mich bei den Hounds vermutlich eh schon über alle Maßen hinaus unbeliebt gemacht habe, lass ich das mit dem Bezahlen auch mal weg", meinte sie leichthin. Sie trat wieder von Ryan weg und auch ich entfernte das Messer und trat zurück. Ryan atmete tief durch und ich sah, dass sich seine Hände, die er zu Fäusten geballt hatte, wieder etwas entspannten.

„Ich muss mir noch kurz was richtiges anziehen, bin gleich wieder da", meinte Elly und verschwand mit den Beutelchen durch die Küchentür, bevor ich sie aufhalten konnte. Eine unangenehme Stille machte sich breit. Verlegen sah ich auf den Boden, aber immer wieder huschte mein Blick zu Ryan. Er saß wieder einigermaßen gelassen auf dem Stuhl. Sein Gesicht war glatt und es war mir unmöglich zu erraten, was er wohl dachte. Nur seine Augen wanderten immer wieder über mich, als würde er versuchen, etwas bestimmtes herauszufinden.

Elly stieß die Küchentür wieder auf und brach den Bann, in den unsere Beobachtungen uns gezogen hatten. Sie rieb sich heftig über die Nase, nieste kurz und heftig und atmete dann einmal tief ein. Sie hatte sich eine schwarze Jeans mit Lochern über den Knien angezogen, sowie einen schlichten dunkelgrauen Oversize-Pullover.

„Ich muss los, kommst du noch kurz mit in den Flur?"

Verwundert nickte ich und folgte ihr. Sie zog die Küchentür hinter mir ins Schluss und machte sich daran, schwarze Stiefeletten anzuziehen. „Was ich mich gefragt habe...", fing sie an, um dann ein paar Sekunden lang nichts mehr zu sagen. „Na ja", fuhr sie dann fort, „du hast gemeint, er hätte dich gefoltert." Sie sah durch ihre dunklen Locken zu mir hoch. „Willst du ihn umbringen?" Ihre Stimme war vollkommen ernst.

„Ich..." Mit großen Augen blickte ich sie an. „Ich glaube, das kann ich nicht."

Sie nickte. „Verstehe, du hast ihn mal geliebt, oder so was in der Art. Aber bist du dir sicher, dass du dich wirklich nicht an ihm rächen willst? Ich meine, er sitzt gefesselt in der Küche. Du könntest machen mit ihm, was du willst."

Ich ließ ihre Worte kurz nachschwingen. Mir wurde klar, dass Ryan tatsächlich mit Haut und Haaren in meiner Macht war. Ich könnte alles machen, ich könnte ihn verstümmeln, ihn ebenfalls mit Elektroschocks foltern, ich könnte...

„Sag mal, hättest du eine Zigarette für mich?", fragte ich Elly, einem plötzlichen Impuls folgend. Sie sah mich zwar etwas verwirrt an, kramte dann aber in ihrer Handtasche und fischte eine Zigarettenschachtel heraus. Ich nahm mir eine Zigarette.

„Feuer liegt auf dem Fensterbrett." Elly hatte ihre Schuhe fertig geschnürt und stand auf. „Falls irgendwas passiert, ruf mich an." Ich nickte und sie umarmte mich zum Abschied. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss und ich stand einen Atemzug lang im dunklen Flur und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Dann kehrte ich in die Küche zurück.


Juhu, ich habe endlich ein neues Kapitel geschafft. Ich hoffe, es gefällt euch, auch wenn ihr so lange darauf warten musstet. Was glaubt ihr, wird Liz machen? Ich hoffe es geht euch gut und ich kann bald das nächste Kapitel hochladen :)

Dark as midnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt