Mary und ich blieben noch einige Minuten nebeneinander vor der Wanne sitzen. Wie redeten nicht. Ich starrte nur vor mich auf die weißen Fließen und versuchte zu verarbeiten, dass mein Bruder mich schon wieder verlassen hatte. Ich konnte es einfach nicht verstehen. Er war doch älter geworden, reifer. Das erste Mal war er weggelaufen, vor einer Situation, die er nicht mehr kontrollieren konnte. Was hatte diesmal dazu geführt, dass er die Kontrolle über die Situation verlor und keinen anderen Ausweg mehr sah?
Zumindest wollte ich es mir lieber so erklären, als dass ich die Möglichkeit zulassen wollte, dass er einfach genug von uns gehabt hatte. Auch Mary hing ihren Gedanken nach. Nach ein paar Sekunden atmete sie jedoch tief durch und richtete sich auf.
„Wir müssen es den anderen sagen", meinte sie. Erschrocken stellte ich fest, wie erwachsen und verantwortungsbewusst sie auf einmal wirkte. Sie übernahm meine Rolle...
„Ja", stimmte ich ihr zu.
Es war niederschmetternd, nebeneinander in die Küche zu treten. Wir mussten tatsächlich gar nicht groß etwas sagen. Die anderen sahen es uns an. Ich brachte nur ein „Ich schätze, er ist weg", heraus. Mary nickte dazu. Tylers Blick wechselte innerhalb von Millisekunden von ungläubig zu verbittert. Er wandte den Blick ab, ließ sein Gesicht zu einer verschlossenen Maske werden und während er aus dem Fenster starrte, traten seine Kiefermuskeln hervor.
David sah einfach nur unglaublich verloren aus, den halben Pancake noch in der Hand, den Mund offen. Lilly verzog den Mund und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie drückte Finn, der auf ihrem Schoß saß, fest an sich und vergrub ihr Gesicht in seinen schwarzen, lockigen Haaren.
Ich wechselte einen Blick mit Mary. „Bleibst du hier? Ich rede mit Mai" Mary nickte, setzte sich neben Lilly und legte ihr tröstend einen Arm um die schmalen Schultern.
Ich ging wieder in den Flur. Ich fand Mai im Wohnzimmer, sie saß am Schreibtisch und las etwas auf ihrem Tablet. Sie sah erst auf als ich mich räusperte.
„Hast du ihn gefunden?", fragte sie und runzelte die Stirn, als ich den Kopf schüttelte. Jetzt erst drehte sie sich vollständig zu mir um.
„Hast du überall gesucht?"
„Ja, habe ich. Es ist auch nicht das erste Mal, dass er verschwunden ist." Ich konnte nicht vermeiden, dass sich ein leicht genervter Ton in meine Stimme schlich.
Mai tippte kurz auf ihrem Tablet herum und murmelte dabei: „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie er unbemerkt das Haus verlassen konnte..."
Einige Sekunden später kam Walker ins Wohnzimmer.
„Walker, schick mal eine Fahndungsbitte herum. Nach Marc Aurel Brooks, das Bild habe ich dir geschickt. Sie sollen ihn nicht festnehmen oder verletzen, nur finden und mich informieren." Walker, wie immer kein Freund großer Worte, nickte nur und verschwand wieder.
Mai wandte ihre Aufmerksamkeit wieder mir zu. „Hast du irgendeine Idee, wo er hingehen könnte? Irgendetwas, das uns helfen könnte, ihn zu finden?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich überlege auch schon die ganze Zeit. Aber mir fällt einfach nichts ein." Das war nicht mal gelogen. Ich hatte schon keine Ahnung, wo er die letzten zwei Jahre gewohnt hatte, ganz zu schweigen, von den möglichen Verstecken, die er sich eingerichtet haben könnte.
Mai wirkte unzufrieden, gab sich aber mit meiner Antwort zufrieden. „Sag mir einfach, wenn dir etwas einfällt..."
Den ganzen Vormittag streifte ich unruhig im Haus herum und überlegte, wo Marc wohl war und was er gerade wohl machte. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Aber so sehr es auch wehtat, eine kleine gehässige Stimme in meinem Kopf meinte die ganze Zeit, sie habe es ja schon immer gesagt. Es erschien irgendwie logisch, dass er jetzt wieder weg war, dass die Freude, dass er zurück war, nicht lange angehalten hatte. So wie die Freude mit Ryan auch nicht lange angehalten hatte. Nein, wies ich mich sofort zurecht. An Ryan wollte ich jetzt gar nicht denken, ich konnte nicht noch mehr Negativität ertragen.
Irgendwann traf ich auf Mary, die in ihrem Zimmer auf ihrem Bett hockte. In diesem Moment fasste ich einen Entschluss. Vielleicht war er auch schon den ganzen Tag über in mir herangereift und hatte nur auf den richtigen Moment gewartet, um sich zu manifestieren. Ich schloss die Tür hinter mir.
„Mary, du musst mir helfen", wandte ich mich mit verschwörerischem Unterton an sie. Sofort hellwach, setzte sie sich auf.
„Wobei denn? Was hast du vor?"
„Ich werde Marc suchen. Diesmal werde ich nicht einfach nur warten, dass er zurück kommt", verkündete ich meine zumindest möglicherweise schwachsinnige Idee.
Mary sah mich mit großen Augen an. „Hast du denn irgendeine Ahnung, wo er sein könnte?" Schlau wie sie war, hatte sie sofort die Schwachstelle entdeckt.
„Nein, aber ich halte es nicht mehr aus, darauf zu warten, dass er zurück kommt, ohne zu wissen, ob er zurück kommt. Ich werde ihn irgendwie finden..." Ich redete noch eine Weile auf Mary ein, dann hatte ich sie überzeugt.
„Also gut, wenn du unbedingt meinst... Aber Mai lässt dich ganz bestimmt nicht alleine gehen", wandte sie ein.
„Ich weiß. Ich muss mich heute Nacht aus dem Haus schleichen. Dafür brauchte ich deine Hilfe!"
Yeah, ich habe es endlich mal wieder geschafft, nachdem ich meine Bachlor-Arbeit abgegeben habe, umgezogen bin und meine ersten Arbeitstage hatte, ein neues Kapitel zu schreiben. Es tut mir leid, dass es nur so kurz ist und dass es auch nicht besonders viel Handlung enthält, aber ich musste auch erst wieder reinkommen. Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem :)

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Dark as midnight
Teen FictionFortsetzung von 'The Dark inside me'! Nachdem Liz den Anführer der Hounds of Hell erschossen hat, eine Gang, die ihr anstrengendes, aber geordnetes Leben zerstört und die Leben ihrer Geschwister bedroht hat, wird sie verhaftet. Beim Versuch, durch e...