Ich schlich den größten Teil des Tages mit etwas gedrückter Stimmung herum. Ich machte mir Sorgen. Ich versuchte, Lorena über Karliene und ihre Truppe auszufragen, doch entweder verstand sie mich nicht, oder sie wollte mir nichts darüber erzählen.
Gegen vier Uhr nachmittags rief ich Marc an und er erzählte mir, dass David sich weiterhin gut erholte und auch Mary wieder ein bisschen Farbe ins Gesicht bekam. Ich erzählte ihm nichts von mir und er verkniff sich jegliche Frage. Er schien zu spüren, dass ich nicht unbedingt über meine Zeit hier drin reden wollte. Finn schrie allerdings recht viel. Ich konnte ihn im Hintergrund hören und hatte ein bisschen das Gefühl, Marc wäre leicht überfordert mit der Aufgabe sich um unsere jüngeren Geschwister zu kümmern. Wie sehr ich mir doch wünschte, ich könnte bei ihnen sein.
Am nächsten Tag beschloss ich, mal die Bibliothek aufzusuchen und nach schönen Büchern zu stöbern. Die Langeweile und die Ungewissheit hier drin trieben mich noch in den Wahnsinn. Am Eingang der Bibliothek erwartete mich hinter dem Empfangstresen ein junger, nicht gerade unattraktiver Mann, der mich mit einem breiten Lächeln begrüßte.
„Hi, kann ich dir irgendwie helfen?", fragte er freundlich. Ich wäre fast irritiert zurückgewichen, unter den Inhaftierten hier herrschte ein wesentlich rauerer Ton.
„Äh...", begann ich, immer noch verwirrt, „ich würde gern etwas lesen." Im selben Moment fiel mir auf, wie hirnrissig das klang. Was würde ich denn sonst wohl in einer Bibliothek suchen? Unsicher musterte ich den jungen Mann, doch sein Lächeln hatte sich höchstens noch etwas vertieft, ansonsten zeigte er keine Anzeichen, dass er mich lächerlich fand.
„Ich glaube, dann kann ich dir hier helfen. In welche Richtung soll es denn gehen?"
„Hm, vielleicht irgendetwas Spannendes?", überlegte ich. Der Typ lächelte unvermindert.
„Wenn du den mittleren Gang durchgehst und dich dann nach rechts wendest, kommst du zur Abteilung der Thriller, ein bisschen weiter sind Krimis, falls dir nach Mordfällen steht", erklärte er. Ich nickte schnell und wandte mich von ihm ab in den Gang hinein. Ich hoffte, er hatte nicht mitgekriegt, wie sich mein Gesicht verändert hatte, als er ‚Mordfälle' gesagt hatte. Vielleicht brauchte ich doch eher etwas leichte Kost? Aber was? Nach einem Liebesroman war mich jetzt so gar nicht, viel zu aufgewühlt waren meine Gefühle noch, was meine eigene ‚große Liebe' anging.
Ich landete schließlich bei den Romanen, die in früheren Zeitaltern spielten. Ich stöberte eine Weile herum, las in ein paar Bücher hinein und entschloss mich schließlich für einen historischen Roman, der im 18. Jahrhundert in Europa spielte. Europa klang herrlich aufregend. Mich faszinierte dieser Kontinent, auf dem sich so viele verschiedene Länder, so viele ähnliche und doch unterschiedliche Kulturen auf so engem Raum aneinanderdrängten.
Mit etwas besserer Laune ging ich zum Ausgang der Bibliothek. Der junge Mann hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und war selbst in ein Buch versunken. Ich räusperte mich leise, um ihn auf meine Anwesenheit aufmerksam zu machen. Er schreckte hoch und wäre fast vom Stuhl gekippt. Mit hochrotem Gesicht rappelte er sich auf und nahm mein Buch entgegen. Ich unterdrückte mit all meiner Willenskraft mein Lachen. Es wäre fies, ihn auszulachen, wo er doch vorhin so nett gewesen war.
Nun betrachtete er interessiert das Buch. „Bist wieder von den Thrillern abgekommen, was?"
„Das klang interessant", versuchte ich, meine Entscheidung zu begründen. Er nickte.
„Sag mir, falls es gut ist", er scannte den Barcode, der auf den Buchrücken aufgeklebt war. „Ich bräuchte noch die Nummer deiner Zelle. Du hast eine Woche, es zu lesen. Wenn du es nicht rechtzeitig zurückgibst, kann ich dir verbieten, weitere Bücher auszuleihen."
Ich nannte ihm meine Zellennummer, nahm das Buch und verschwand. Auf dem gesamten Weg zu meiner Zelle rätselte ich darüber, warum ein junger Kerl wie er nicht aufs College ging, sondern stattdessen in der Knastbibiothek arbeitete.
In meiner Zelle angekommen, kletterte ich auf mein Bett, machte es mir gemütlich und freute mich darauf, in einer anderen Welt versinken zu können, für ein paar Stunden meine eigenen Sorgen vergessen zu können.
Das Buch war spannend, es ging um ein junges Mädchen auf einer Insel im Norden von Europa, das unglücklicherweise auf ein Schiff von Händlern gelangte und gegen ihren Willen mit nach Süden genommen wurde. Die Geschichte packte mich und ich bekam kaum mit, wie Lorena irgendwann in die Zelle kam. Gegen zwölf Uhr mittags stupste sie mich so lange an, bis ich endlich reagierte.
„Es gibt Mittagessen", meinte sie knapp und verließ kopfschüttelnd unsere Zelle. Das Blut stieg mir in den Kopf, als ich überlegte, wie lange sie wohl schon versucht hatte, mir Bescheid zu sagen.
Ich schlang das Mittagessen schnell herunter, es schmeckte sowieso nicht, immer vorsichtig mit den Augen meine Umgebung scannend. Ich wollte Karliene und ihrer Gruppe aus dem Weg gehen. Ich wusste zwar nicht genau, was sie von mir wollten, doch ich hatte kein gutes Gefühl bei ihnen und nach Jahren im gefährlichsten Viertel der Stadt, wusste ich, auf mein Bauchgefühl zu hören.
Auch nach dem Mittagessen legte ich mich wieder auf mein Bett und las weiter. Bereits nach einigen Seiten verlor ich jegliches Zeitgefühl und jegliche Aufmerksamkeit für meine Umwelt.
Irgendwann platzte Lorena in unsere Zelle. „Hier bist du...", rief sie mir zu. Sie klang aufgebracht. Ich schreckte hoch und schaute auf meine Armbanduhr. Hatte ich schon wieder etwas verpasst?
„Hoch mit dir, du hast Besucht", erklärte Lorena mir. Ich runzelte die Stirn, hüpfte jedoch vom Bett und machte mich auf den Weg zum Besucherraum. Ich hatte mit Marc nicht ausgemacht, dass er mich heute besuchen würde. War es meine Anwältin, die etwas mit mir besprechen wollte? Ansonsten konnte ich mir niemanden vorstellen, der mich besuchen würde, oder es konnte.
Immer noch verwundert tauschte ich meine Schuhe und betrat mit schweren Schritten den Besucherraum. Ich sah fragend eine Aufseherin an und sie deutete auf einen Tisch, etwas außerhalb meines Gesichtsfeldes.
Ich ging darauf zu, es war bestimmt meine Anwältin. Doch als ich die Person sah, blieb ich stocksteif stehen. Dort, am Tisch, saß Ryan.
So, das wars mal wieder. Was haltet ihr von den neuesten Entwicklungen? Was glaubt ihr, wird sie zu Ryan sagen, und was wird er sagen? Ich hoffe, es gefällt euch. Voten und kommentieren nicht vergessen ;)
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Dark as midnight
Novela JuvenilFortsetzung von 'The Dark inside me'! Nachdem Liz den Anführer der Hounds of Hell erschossen hat, eine Gang, die ihr anstrengendes, aber geordnetes Leben zerstört und die Leben ihrer Geschwister bedroht hat, wird sie verhaftet. Beim Versuch, durch e...