Mein erster Impuls war, wegzulaufen, zu rennen, so weit es ging, fort von ihm. Der zweite, direkt auf ihn zuzugehen und ihm so eine reinzuhauen, dass ihm Hören und Sehen verging. Und dann war da noch etwas, ein winzig kleines Gefühl, das sich in meiner Brust regte und mich dazu brachte, nichts als alles in der Welt dringender zu wollen, als von ihm in die Arme genommen zu werden.
Ein tiefes, fast unhörbares Grollen ließ meine Brust erbeben. Nein, das hatte er versaut. Er würde mich niemals wieder anfassen. Dessen war ich mir sicher. Mein Gesicht war eine undurchdringliche Maske, als ich die letzten Schritte auf ihn zu machte und mich ihm gegenüber auf die Bank sinken ließ. Er hob den Blick von seinen Händen und sobald er mich sah, ging ein Strahlen über sein Gesicht, das jedoch nach den ersten Sekunden wieder etwas getrübt wurde, als er meinen Gesichtsausdruck wahrnahm.
„Was willst du hier?", fragte ich ihn und meine Stimme klang so kalt, wie ich sie noch nie gehört hatte. Er schluckte, doch er sah mich ungebrochen an. Ich starrte zurück und legte all meine Wut, meine Verachtung, meine Verbitterung in diesen Blick.
„Es... ist schön, dich zu sehen", sagte er schließlich und seine Mundwinkel zuckten ein wenig, als würde er gerne lächeln, traue sich aber nicht so wirklich. Ich knirschte mit den Zähnen. Er hatte ein blaues Auge, bemerkte ich. Die Haut um sein linkes Auge bildete einen blau verfärbten Rand und der weiße Bereich des Auges um die Iris war rot angelaufen. Unwillig schüttelte ich den Kopf.
„Kann ich nicht gerade von dir behaupten... Wie kommst du hier überhaupt rein? Häftlinge in Untersuchungshaft dürfen nur von ihren Angehörigen besucht werden und ich kann mich nicht erinnern, dass wir geheiratet haben."
„Sagen wir, ich habe die richtigen Leute mit den richtigen Mitteln überzeugt", meinte Ryan, als wäre es die nebensächlichste Sache der Welt, meinen Unit Manager zu schmieren.
„Wie auch immer", lenkte ich das Gespräch auf andere Themen, „ich will nicht, dass du mich besuchst."
Ryan sah mich an und runzelte die Stirn. „Aber, warum nicht?"
Meine Augen verengten sich, als ich ihn musterte und ich spürte das tiefe Grollen wieder in mir hochsteigen. Trotzdem unterdrückte ich es. Ich musste jetzt klar im Kopf bleiben, ich durfte mich nicht von meiner Wut überwältigen lassen.
„Verstehst du nicht? Ich will dich nicht mehr sehen!", präzisierte ich. Ryan sah mich verletzt an und ein winzig kleiner Teil in mir, für den ich mich schämte, wollte seine Hand nehmen, die dort auf dem Tisch vor mir lag.
„Du... du willst mich nicht mehr sehen? Warum?", fragte Ryan.
„Warum?", mühsam musste ich mich dazu zwingen, nicht laut zu werden, „ist das dein scheiß Ernst? Du bist schuld, dass ich hier drin sitze, du hast mich gefoltert, du hast mich verraten!"
Ryans Augen huschten verzweifelt hin und her, fixierten immer wieder mich und huschten dann woanders hin. „Das habe ich doch nicht mit Absicht gemacht...", murmelte er schließlich, „glaubst du denn, ich hatte eine Wahl?"
Ich lehnte mich zurück, ich konnte nicht mehr stillsitzen. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten und streckte sie wieder flach aus, immer wieder, Faust, flach, Faust, flach. In meinem Bauch brodelte die Wut wie Magma in einem Vulkan. Einem Vulkan der kurz davor war, auszubrechen.
„Keine Wahl...", wiederholte ich seine Worte spöttisch, „weißt du was? Ich mache mit dir Schluss. Ich beende hier und jetzt diese gesamte kaputte Beziehung. Das war alles ein Fehler..."
Er schwieg eine Weile, starrte nur auf seine Hände, die immer noch scheinbar entspannt vor ihm lagen.
„Du hältst mich für einen Fehler?", fragte er schließlich und sah endlich wieder auf.
„Ja, und ich weiß nicht, wie dir das mit mir nicht auch so gehen kann. Ich habe deinen verdammten Vater erschossen. Ich habe ihn abgeknallt, direkt in die Brust, verstehst du das?" Wütend starrte ich ihn an. Wieso war er nicht sauer auf mich? Wie konnte er nur so ruhig da hocken?
„Liz, du verstehst das nicht", flehend sah er mich an, „du bist das Beste, was mir je in meinem beschissenen Leben passiert ist. Das mit meinem Vater... das ändert daran nichts."
Ein paar Sekunden schwieg ich, dann schüttelte ich langsam, aber bestimmt den Kopf. „Alles was du sagst, ändert nichts an meiner Entscheidung", ich beugte mich vor, um ihm in die Augen sehen zu können, ich wollte, dass er es wirklich verstand. „Ich mache mit dir Schluss, Ryan Parker."
„Liz, meine Königin, bitte, tu das nicht", bettelte er, seine eisblauen Augen schienen zu schmelzen.
„Nenn mich nicht deine Königin!", fauchte ich ihn an, „nenn mich nie wieder so!"
„Liz, rede mit mir, warum tust du mir das an?" Seine Hände bewegten sich über den Tisch, wollten nach meinen greifen, doch ich zog sie weg.
„Fass mich nicht an!" Nun war ich doch etwas zu laut geworden. Eine Aufseherin in meiner Nähe sah alarmiert zu uns rüber.
„Ok, Liz, ok", versuchte Ryan, mich zu beschwichtigen. Er hob seine Hände, lehnte sich etwas zurück. Die Aufseherin sah etwas beruhigt wieder weg. Nun beugte Ryan sich wieder vor.
„Behandle mich wie du willst, aber ich muss dir noch etwas Wichtiges sagen", verschwörerisch hatte er seine Stimme gesenkt.
„Nein, Ryan, du hast deine Zeit verspielt", gab ich zurück und machte Anstalten, aufzustehen. Ryan sprang auf und hechtete um den Tisch herum. Panisch versuchte ich, von ihm wegzukommen, doch er packte mich am Arm und zog mich zu sich.
„Du musst mir zuhören, nur ganz kurz, es geht um etwas wirklich Wichtiges!", drängte er. Blind vor Wut und Angst hob ich meine Fäuste.
„Lass mich los! Lass mich in Ruhe!", schrie ich und hämmerte wild mit meinen geballten Händen auf seinen Brustkorb ein.
Plötzlich wurde ich von ihm weggezogen. Starke, unerbittliche Hände packten mich am Kragen und zerrten an mir. Seine Hände ließen meinen Arm los und plötzlich konnte ich wieder atmen. Meine Sicht klärte sich und zeigte mir Ryan, der von einer bulligen Aufseherin zurückgehalten wurde.
„Komm nie wieder hier her", schleuderte ich ihm zum Abschied entgegen, dann entzog ich mich der Aufseherin, die mich festhielt und flüchtete regelrecht aus dem Besuchsraum.
Hurra, ich habe endlich mal wieder ein neues Kapitel geschafft. Was haltet ihr davon? Was glaubt ihr, wollte Ryan ihr noch so dringend sagen? Findet ihr richtig was sie getan hat? Ich hoffe, es hat euch gefallen. Voten und kommentieren nicht vergessen ;)
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Dark as midnight
Teen FictionFortsetzung von 'The Dark inside me'! Nachdem Liz den Anführer der Hounds of Hell erschossen hat, eine Gang, die ihr anstrengendes, aber geordnetes Leben zerstört und die Leben ihrer Geschwister bedroht hat, wird sie verhaftet. Beim Versuch, durch e...